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2. Oktober 2009, 00:55 Music Interview

Interview mit Max Herre

Patrick Holenstein - Wie überall in diesen Tagen war auch bei Max Herre Roman Polanski ein Thema. Noch bevor das Interview begann sassen wir, hoch oben im Marriot Hotel, mit Sicht auf den Platzspitz und das Landesmuseum, und diskutierten Off Topic über die Zukunft des Filmfestivals. Das lockerte di...

Wie überall in diesen Tagen war auch bei Max Herre Roman Polanski ein Thema. Noch bevor das Interview begann sassen wir, hoch oben im Marriot Hotel, mit Sicht auf den Platzspitz und das Landesmuseum, und diskutierten Off Topic über die Zukunft des Filmfestivals. Das lockerte die Stimmung sofort auf, auch wenn wir uns nicht einig waren. Max glaubt der Wirbel und die negativen Schlagzeilen würden dem Festival schaden, ich bin der Meinung, dass das Festival den (vermeintlichen) Imageschaden verkraften kann. Schon beim Diskutieren machte Max einen lockeren Eindruck und liess sich nichts vom stressigen Promotag anmerken. Er sass in Jeans und T-Shirt auf der Couch und biss in einen Pfirsich. Genau wie bei der Polanskidiskussion war er auch im Interview sehr gesprächig und erzählte viel über seine Einflüsse und warum es solange gedauert hatte, bis das zweite Soloalbum erschien.

Wie siehst du dich, den Künstler Max Herre, heute, nach der Veröffentlichung der zweiten Platte?

Entspannt! Bei mir. Auf dem Weg. Auf dem Weg in, sagen wir mal neue Gefilde, in einen neuen Abschnitt meines musikalischen Schaffens. Ich denke, dass dies ein neuer Startpunkt ist, für noch viele weitere Jahre des Songschreibens.

Wenn du Zeilen singst, wie „Der Tag ist kühl, ich bin klar, alles da und endlich nehm’ ich’s wahr“, klingt es, als ob du zwischen dem ersten und zweiten Soloalbum einen Reifeprozess durchgemacht hättest?

Das sind fünf Jahre und ich denke, es ist auch eine prägende Zeitspanne. Egal welche Menschen man in einem Zeitraum von fünf Jahren trifft, man sammelt einfach Lebenserfahrung, das Leben lässt einen halt reifen. Ich habe für mich schon das Gefühl, dass ich durch bestimmte Umstände auch gezwungen war, zu reifen. Ich glaube aber nicht, dass ich da an einem Endpunkt bin weder als erwachsener Mensch noch als Musiker, den wird es wahrscheinlich auch nicht geben. Das macht ja die Freude des Suchens und des Schaffens aus, dass man sich auf dem Weg befindet und nicht das Gefühl hat, dass man durch das Ziel gekommen ist.

Ich möchte gerne auf das neue Album zu sprechen kommen. Es erinnert musikalisch sehr an Bob Dylan zum Beispiel. Auffällig ist, dass Hip Hop, für den du eigentlich bekannt bist, kaum mehr vorkommt. Wie beurteilst du diese Entwicklung?

Es ist schon so, dass ich die letzten Jahre einfach meine Liebe zum Songwriting entdeckt habe. John Lennon hat mal gesagt: „Ein guter Song ist ein guter Song, egal wie man in instrumentalisiert.“ Ich habe für mich gemerkt, dass die Gitarre mein Werkzeug geworden ist, an dem die besten Sachen entstehen, zumindest war das in den letzten zwei Jahren so. Ich habe das Gefühl, dass ich so das, was ich ausdrücken will, am besten in Texte fassen kann. Insofern ist Dylan sicher ein Einfluss, weil er unbestritten der grösste Songwriter unserer Zeit ist. Ich habe Jahre gebraucht, um den Zugang zu Bob Dylan zu finden, weil er natürlich für jemanden, der aus der Soulmusik stammt, da sozialisiert wurde und dann zu urbaner Musik kam, erst mal relativ sperrig ist. Ich denke, das ist eine Frage der Reife und dass man einfach offen bleibt und dass man plötzlich Musik entdeckt, die einen an einem Punkt berührt, wo sie es Jahre zuvor nicht konnte. Dylan war aber nicht der erste, ich bin über zeitgenössische Songwriter in den Folk gerutscht, über Amos Lee oder Ray LaMontagne, dann kamen Leute wie James Taylor und wurden wieder wichtig, Leute wie Neil Young und Nick Drake. Das ist so ein Prozess, der aber die letzten fünf Jahre ablief.

Kürzlich stand in einer Rezension, Ein geschenkter Tag klinge wie deine persönliche Vergangenheitsbewältigung. Ist da was dran?

Ich denke, dass jede Form der Kunst immer auch das eigene Leben beinhaltet, ob du jetzt Literatur nimmst oder die bildende Kunst, dass die eigene Lebenserfahrung und Lebenssituation da immer mit einfliessen. Insofern ist es beim Album sicher auch so. Es ist ein Album, das nahe an mir dran ist, auch inhaltlich, das aber nicht den Anspruch hat, irgendeine Geschichte öffentlich zu sezieren, sondern sich eher mit einer Emotionalität hinter bestimmten Geschichten befasst. Damit ist es sehr nahe bei mir, ist aber trotzdem allgemein genug, als dass jeder Hörer seine eigene Geschichte reinprojizieren kann.

In der gleichen Rezension stand weiter, dass das Album auch eine Art Lebenshilfe für deine Hörer sei. Was sagst du dazu?

Das kann ich so nicht sagen, würde ich mir natürlich wünschen und ich glaube, dass man natürlich als Künstler, als Musiker, probiert Songs zu schreiben, die den Soundtrack zu bestimmten Lebenssituationen liefern, auch zu jenen der Hörer. Man macht das für sich, verarbeitet und beschreibt eigene Emotionen. Mir war es aber wichtig, Songs zu machen, die allgemein genug sind, um eben auch auf die Leben anderer Leute zu passen. So geht es ja mir als Musiker auch, es gibt Songs, die räsonieren in mir zu einem bestimmten Zeitpunkt, weil ich meine Geschichte eben drauf legen kann und ich merke: „Wow, das ist ein Song, da sagt’s jemand für mich.“ Wenn einige der Songs so funktionieren, dann freu ich mich, dann habe ich als Musiker erreicht, was ich erreichen will.

Du hast dir fünf Jahre Zeit gelassen, um Ein geschenkter Tag aufzunehmen. Wieso die lange Zeit?

Ich habe das Max Herre-Album zwischen zwei Joy-Alben (Joy Denalane, Anm. d. Red.) gemacht. Ich bin damals nach Berlin gezogen, habe in verschiedenen Konstellationen in Stuttgart, Berlin oder Hamburg gearbeitet und Musik gemacht und irgendwann waren einige Songs zusammen für ein Album. 2005 habe ich aber sofort wieder angefangen an Joys Album zu schreiben und mit ihr dran zu arbeiten. Das ging bis 2006. Dann haben wir uns im Jahr darauf relativ kurzfristig dazu entschieden, nochmals einige Freundeskreiskonzerte zu spielen und ein Best Of zu machen. Da habe ich die eigene Platte dann nochmals auf Eis gelegt und erst 2008 wieder richtig angefangen gezielt Songs zu schreiben. Ich war auch erst 2008 an dem Punkt, wo ich wusste, in welche Richtung ich gehen will. Dann hat es eineinhalb Jahre gedauert, bis das Album fertig war. Insofern war es nicht eine Zeit, in der ich das Gefühl hatte, dass viel Platz für anderes gewesen wäre.

Das Video zu Geschenkter Tag wirkt wie eine charmante und witzige Hommage an die Stummfilme des goldenen Hollywoods. Bist du Fan des klassischen Hollywood? Wie kam das Video zu Stande? Ich bin auf jeden Fall ein grosser Charlie Chaplin-Fan. Der Lieblingsfilm meiner Mutter ist The Kid, den habe ich natürlich oft angeguckt. Wir haben erst ein Foto-Shooting gemacht und dort entstand auch das Coverfoto. Immer mehr Leute sagten: “Du, das hat ja auch so eine Dreissigerjahreästhetik.“ Also habe ich Zoran Bihac getroffen, mit dem ich schon oft zusammengearbeitet habe, er hat unter anderem Anna gedreht, das erste Freundeskreisvideo und danach Tabula Rasa oder Wenn der Vorhang fällt. Dann haben wir uns überlegt, wie wir es umsetzen wollen und haben gemerkt, entweder man macht das ganz gross mit einem Riesencast und vielen Leuten oder man überlegt sich eine kleine Lösung. So kam irgendwann diese Stummfilmidee raus und ich bin ziemlich glücklich über das Video. Ich denke, dass es diesen surrealistischen Ansatz des Textes ganz gut transportiert.

Du wirst musikalisch gern mit Rio Reiser und Udo Lindenberg verglichen, aber Geschenkter Tag klingt auch nach dem schon erwähnten Bob Dylan oder sogar nach den Rolling Stones....

...der Song ja.

Welche Bands/Musiker zählst du zu deinen Einflüssen?

Alles womit ich mich seit meiner Kindheit gefüttert habe. Ganz früh Udo Lindenberg natürlich, dann waren Bob Marley und Stevie Wonder ganz lange meine musikalischen Helden, dann kamen irgendwann Bill Withers und Curtis Mayfield. Danach hatte ich eine Phase, in der mit Tribe Called Quest, De La Soul oder Nas diese Rapsache ganz wichtig wurde. Wenn ich für die jetzige Platte meine wichtigsten Einflüsse nennen müsste, würde ich Bill Withers nach wie vor nennen, ich würde Udo Lindenberg nennen, ich würde James Taylor nennen, ich würde Dylan nennen und ich würde Neil Young nennen. Aber wie gesagt, es ist irgendwann schwer zu sagen, was alles drin ist, weil ich immer wieder neue Musik kennen lerne, die mich beeinflusst und dadurch, dass sie mich beeinflusst, fliesst sie ein in das, was ich musikalisch mache.

Ein geschenkter Tag klingt aber schon ganz klar nach den Stones.

Ja genau, Sympathy for the Devil, es ist einfach der Beat, der sich daran anlehnt. Ich kann aber nicht sagen, dass die Stones mich sehr beeinflusst haben. Auch die Beatles haben mich beeinflusst, ein Song wie Don’t let me down oder Come Togheter, das ist schon was, das ich anhöre und mir denke: WOW!

Du coverst ja Lindenberg auch. Wieso hast du dich für Wir wollen doch nur zusammen sein entschieden?

Erstens fand ich - der Song ist 73 geschrieben worden-, dass er soundmässig und in seiner Ästhetik gut reingepasst hat, weil sich Lindenberg eben auch an zeitgenössischen Singer/Songwritern orientiert hatte. Neil Youngs Harvest kam 1972, das war die meistverkaufte Platte in Amerika in dem Jahr, und dass das irgendwie rübergeschwappt ist und ein junger, deutscher Musiker das aufgreift und versucht in der Richtung etwas zu machen, liegt irgendwie auf der Hand. Insofern hat sich da der Kreis für mich geschlossen, weil das eben auch ein Teil meiner Referenzen war. Und dann ist es natürlich ein Song, den ich immer kannte, den ich immer mochte, ich habe den auf der Gitarre gespielt und ich dachte, er passt einfach in die Zeit. Der Jahrestag des Mauerfalls nähert sich zum zwanzigsten Mal und wenn der Song noch einmal verstanden wird, dann wohl dieses Jahr, wo diese Geschichte erneut medial so präsent sein wird. So kam das.

Auf dem Album sind interessante Gastmusiker. Am populärsten ist sicher Clueso, der auf gleich drei Songs die zweite Stimme übernahm. Wie war die Arbeit mit ihm?

Toll, immer toll, immer wieder toll. Wenn wir zusammen sind, dann funkt es einfach. Er ist ein sehr aktiver, vitaler Musiker, der vor Energie und Ideen sprüht und es macht immer total viel Spass mit ihm zu arbeiten. Wir haben für Weit weg, ein Album von ihm, schon zusammengearbeitet und da hat sich das schon angebahnt. Wir hatten nach einem Tag einen guten Song und zwar komplett mit Band aufgenommen und getextet und ähnlich war es auch jetzt. Ich bin nach Erfurt gefahren und von Minute eins an haben wir haben wir Sachen entwickelt. Es sind einige für mich entstanden, aber auch was für ihn und ich denke, diese Zusammenarbeit wird weiter gehen.

Ein anderer, sehr spannender Musiker ist Jo Ambros, der als sehr bekannte Jazzmusiker...

…der bekannteste Jazzmusiker auf der CD ist sicher Roberto Di Goia, der Pianist. Er hat Jahrelang mit Doldinger (Klaus Doldinger, Komponist des Themas von Das Boot, Anm. d. Red.) bei Passport gespielt, hat viel Mit Kruder & Dorfmeister gemacht und hat ein eigenes Projekt, das Marsmobil heisst. Frank Kuruc ist auch ein gestandener Jazzmusiker, der spielt die Gitarre auf der Platte, und eben Jo Ambros, auch ein Stuttgarter Bekannter, der die Pedal Steelgitarre gespielt hat bei einigen Songs. Es sind halt alles alte Stuttgarter Seilschaften, inzwischen in Berlin, die da reaktiviert wurden.

Werden dich die beiden auch auf Tour begleiten?

Ich werde die Band, so wie sie auf der Platte ist, auf Tour haben...

Inklusive Clueso?

Clueso werde ich wohl nicht ins Handgepäck bekommen, dazu ist er inzwischen doch etwas zu gross. Aber mit Clueso ist es so, dass wir uns gegenseitig unterstützen, wenn es möglich ist und es sich überschneidet und wir Zeit haben.

Du hast Anfang September im Club Tausend in Berlin erstmals die neuen Songs probiert. Wie war es? Wurden deine Erwartungen erfüllt?

Ich fand es interessant und toll, weil wir haben uns natürlich relativ schnell ins kalte Wasser gestürzt, wir haben zwei, drei Probentage gehabt und dann habe ich gesagt: „Ich will das gleich öffentlich machen.“ Es standen schon Konzerte an und ich dachte, wir brauchen ziemlich schnell schon diese Feuertaufe, damit wir wissen, wie wir unter Druck funktionieren. Und es war gut. Ich glaube, den Leuten hat es auch gefallen. Die Leute wussten ja überhaupt nicht, was da passieren würde, das Album war ja noch nicht draussen, insofern haben sie wohl interessiert zugehört und waren, glaube ich, positiv überrascht.

Im Dezember spielst du in Zürich. Kannst du schon etwas darüber sagen, was man erwarten darf?

Wie gesagt, ich komme in einer kleinen, klassischen Besetzung: Schlagzeug, Contrabass, Klavier, Frank Kuruc spielt Gitarre und ich werde Gitarre spielen und singen und wir stellen vor allem das Album vor, spielen aber bestimmt auch ein paar Songs aus der guten, alten Zeit. Es ist eben eine Band aus gestandenen Musikern, alle in ihren besten Jahren, die natürlich eine Bühne, wie die im Moods, mit ihrem musikalischen Können hervorragend füllen.

Infos: Homepage von Max Herre

- Max Herre spielt am 4. Dezember im Moods in Zürich

- Das Album Ein geschenkter Tag ist ab sofort im Handel erhältlich.

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