Karl Bartos: Mit Kraftwerk in Amerika
Patrick Holenstein - Karl Bartos ist ein angenehmer Gesprächspartner. Der ehemalige Schlagzeuger von Kraftwerk hört sehr konzentriert zu, überlegt innert Sekunden, ordnet seine Gedanken und formuliert dann fast druckreife Sätze.
Du bist in deiner Karriere stets mit elektronischer Musik in Verbindung gebracht worden und auch heute sind deine Lieder elektronisch. Wo liegt für dich die Faszination an elektronischer Musik?
Ich würde gerne nicht nur auf diesen Genrebegriff eingehen, wenn ich darf, sondern weiter ausholen. Es war eine Entwicklung, die von Komponisten wie Karlheinz Stockhausen, Pierre Schaeffer oder John Cage in den 40er-, 50er-Jahren aufgegriffen wurde. Sie haben sich zum ersten Mal mit Musik und Geräuschen beschäftigt und diese direkt auf Tonband aufgezeichnet. Das wirklich Interessante war damals, dass der Komponist direkt etwas auf Band aufnehmen konnte, ohne einen Interpreten haben zu müssen, wenn man mal die klassische Arbeitsweise aufgreift. Das war die Umwälzung, egal ob man in der Schule der so genannten Musique Concrète stand wie Pierre Schaeffer oder ob man elektronische Musik machte wie Karlheinz Stockhausen. Was sie beide verband, waren die Ansätze, dass das Magnettonband, der Träger einer Aufzeichnung war, dass nicht Musik komponiert wurde, die wie in früheren Jahrhunderten live auf der Bühne gespielt wurde, sondern dass man diese Schallereignisse aufzeichnete und organisieren konnte. Das war der neue Gedanken, der in den 50er-Jahren zum ersten Mal ausgesprochen wurde. Dem folgten dann die ganzen anderen Techniken. Ich bin in den 50er-, 60er-Jahren gross geworden und habe mich mit Musik und diesen Techniken beschäftigt. Das Interesse ist wahrscheinliche eine Folge dessen.
Wo siehst du deine Einflüsse? Welche Bands haben dich geprägt?
Die Beatles, besonders die ersten Platten wie A Hard Days Night, aber auch die Filme der Beatles und die anderen Platten wie Revolver oder St. Peppers Lonley Hearts Club Band. Aber die Ära Beatles dauerte ja auch nur zehn Jahre. In der Zeit bin ich gross geworden und diese Art Musik war bei uns angesagt. Plötzlich bildeten sich überall Bands und haben diese Musik gespielt. Zuerst wurden Covers gespielt, dann haben einige angefangen selbst zu komponieren, das war das grosse Ding in den 60er-Jahren, da hatte die Musik einfach einen anderen Stellenwert als heute. Diese Musik hat mich zunächst geprägt und beeinflusst. Später habe ich entschieden Musik zu studieren, was ich dann in den 70er-Jahren getan habe. Und dann kam auch schon Kraftwerk um die Ecke gefahren.
Wie kamst du damals zu Kraftwerk?
Düsseldorf ist eine kleine Stadt, 800'000 Einwohner. Da gab es das Musikkonservatorium, das heutige Robert-Schumann-Institut. Die Band hat bei meinem Professor angerufen und gefragt, ob er nicht einen klassisch ausgebildeten Schlagzeuger empfehlen könne, der Kraftwerk auf eine Amerika-Tour begleiten würde. Also bin ich da hin und zack waren wir in Amerika.
Kraftwerk gelten heute noch als eine der wichtigsten Bands in der elektronischen Musik. Wie siehst du das rückblickend als Teil dieser Entwicklung?
Für mich ist es Karlheinz Stockhausen, der die elektronische Musik massgeblich geprägt hat. Bevor ich zu Kraftwerk kam, hatten sie schon Autobahn komponiert und auf dieser Platte ist bereits der Entwurf enthalten, für all das, was in den 70ern, 80ern und 90ern passiert ist. Ich denke, wenn ein Stück Musik, ein Augenblick aufgenommener Zeit, historisch wichtig ist, dann ist es diese Platte.
Etwas anderes: Du hältst im Rahmen des M4Music einen Vortrag über die Evolution des Tonträgers. Kannst du kurz erklären, was du damit meinst?
Man muss sich mal in die Zeit vor 1877 versetzen. Das Telefon war noch nicht da, es gab noch kein Fernsehen, es gab noch kein Radio, es gab eigentlich noch nichts. Um die Kommunikation zwischen Menschen auf eine gewisse Entfernung möglich zu machen, experimentierten die Leute am Telefon und am Phonogramm. Thomas Edison, neben ihm auch viele andere, arbeiteten daran, weil damit unglaublich viel Geld zu verdienen war. Sie alle hatten das Ideal, nicht Musik aufzuzeichnen, sondern Information zu versenden. Die Musikaufzeichnung ist sozusagen ein Beiprodukt gewesen. Und er hat dieses Prinzip entwickelt, wo ein Stylo Kerben in eine weiche Matrize einfräste und die diese rückwärts gesehen wieder abspielen und über einen Hörtrichter, eine Art Lautsprecher, wieder in akustische Schallwellen umwandeln konnten. Vorher war Musik etwas, was man nicht festhalten konnte. Es war so flüchtig, wie der Donner von letzter Woche.Also nur live zu geniessen.Es war nur live zu geniessen und das vergessen die Menschen. In der Zeit vor 1877 war Musik sehr geheimnisvoll und nicht wiederbringbar. Man konnte sie zwar aufschreiben, die Notenschrift war damals schon perfekt, aber den Klang selber konnte man nicht aufzeichnen. Ich zeige in der Lecture auf, wie sich seit 1877 bis jetzt die musikalische Entwicklung und die Inhalte verändert haben. Die Inhalte sind ja immer mit dem Medium verknüpft. Die Medien beeinflussen die Inhalte, die sie transportieren, und ich zeige, wie sich die musikalische Sprache und Kultur weiter entwickelt haben aufgrund dieser Medien.
Wie beurteilst du die Verlagerung von physischen Tonträgern zu Mp3s und Streams? Klingt schlecht, aber offensichtlich ist der Informationsgehalt, um das jetzt mal technisch auszudrücken, dieser Musik wichtiger als die Klangqualität. Die jungen Menschen reagieren auf andere Signale und Inhalte, als das früher der Fall war. Dynamik ist weitestgehend nicht mehr erwünscht, sondern einfach nur ein gleich bleibender Fluss von rhythmischer Struktur.
Qualität wird zum Nischenprodukt. Aber Musikliebhaber, die Vinyl bevorzugen, gibt es wieder mehr.
Glaub ich nicht, das ist ein kleiner Prozentsatz, vielleicht ein Prozent.
Genau das mein ich. Qualität wird zum Nischenprodukt. Heute muss eine junge Band fast wieder Vinyl produzieren, um diese Klientel zu bedienen.
Ja, schon, aber es ist kaum nennenswert. Es ist leider so, dass man mit dem Produkt Musik heutzutage in der Aufzeichnung kein Geld mehr verdienen kann. Im englischsprachigen Raum habe ich oft den Vergleich gehört, dass es so sei, wie wenn man für Schiffe auf dem Ozean eine Zahlstation einrichtet und sie zwingt durch das Nadelöhr zu fahren. Wer tut das? Insofern ist Musik eigentlich jetzt wieder da, wo sie vor 1877 war, aber aus einem anderen Grund. Das Aufzeichnen ist sinnlos geworden, weil sich daraus kein Produkt mehr entwickeln kann. Es wird noch eine Zeit dauern, bis sich etwas etabliert, auf der Bühne und im Diskurs, was da wieder anfliesst. Pop war ja in den Nachkriegsjahren, also in den 50er-, 60er-, 70er-Jahren, entstanden und war ja eigentlich das Verkaufen eines Konsumprodukts. Zum grossen Teil war das Musik. Man konnte das Produkt verkaufen, es passte gut in die westlichen Demokratien, und es wurde auch millionenfach, milliardenfach gekauft. Das funktioniert heute so nicht mehr.
Ich habe diese Woche eine Theorie gelesen, dass man von Mp3s je länger je mehr wegkommt und die Musik gegen Monatsgebühr als Stream jederzeit zugänglich macht. Hältst du das für realistisch?
Ja, das könnt ich mir vorstellen. So ähnlich, wie es mit Wasser oder Strom ist. Ich bin mir nicht sicher, wann die technologischen Anforderungen so weit sind, dass jeder Haushalt neben Wasser, Gas und Strom auch Musik hat. Ich denke, es ist vorgezeichnet, dass all die Medien, die es jetzt gibt, in der Lage sind, etwas einzuführen, das dem nahe kommt. Das wichtigste Medium ist ja jetzt das Fernsehen, aber danach kommen schon direkt das Handy und das Internet. Das Internet ist mittlerweile mit dem Handy verknüpft und wird auch immer mehr mit dem Fernsehen verknüpft werden. Wenn das der Fall ist, wird Google oder sonst jemand dazu in der Lage sein, etwas einzuführen, was dem nahe kommt. Aber das muss über die Provider passieren, weil die die Macht dazu haben. Mit die mächtigsten Firmen in Deutschland, sind die Elektrizitätskonzerne. Doch dann würde wieder all der Mist wie Monopole oder Kartelle entstehen, aber so sind wir Menschen veranlagt.
Glaubst du, dass darunter die Qualität der Musik leiden wird?
Keine Ahnung, wie sich der Markt entwickeln wird. Ich bin kein Soziologe oder Marktforscher, ich kenn mich im Monetarismus nicht aus und mit all diesen Dingen. Ich weiss nur, was beim Menschen am meisten ausgebildet ist, ist das Streben, Profit zu erwirtschaften. Deshalb wird sich Musik irgendwann wieder in eine Formel begeben, mit der man Geld machen kann. Das ist zwangsläufig so, aber das hängt natürlich von den Medien ab, die uns in Zukunft zur Verfügung stehen werden.
Lass und doch noch kurz über deine Show, Live Cinema: The Rhythmic Screen, die du heute Abend spielen wirst, reden. Sie lebt von Klassikern der elektronischen Musik. Was aber ebenfalls spannend ist, sind die Bildwelten, die du live dazu erstellst. Wie muss man sich das vorstellen, arrangierst du die Clips bei jedem Auftritt neu?
Ja, ich mach das so ähnlich wie ein Jazzmusiker. Jazzmusiker haben einen Song, der hat gewisse Strukturen, hier kommt C, da E, dort F und so weiter. Pro Akkord haben sie gewisse Skalen und Möglichkeiten darüber zu improvisieren. Dafür müssen sie aber ein Grundmaterial zur Verfügung haben. So ist das mit meinen Bildern auch. Ich habe eine gewisse Struktur, die sich nicht mehr verändert, aber ich habe gewisse Quellen, die ich variiere und die ich dann prozessiere.
Die Bilder erinnern teilweise an die frühen kubistischen Kurzfilme innerhalb der Advantgarde der Filmgeschichte. Täuscht der Eindruck?
Wie ich vorher gesagt habe, lag in Kraftwerks Autobahn der Entwurf für die nächsten 20 Jahre der Entwicklung der elektronischen Musik. Es ist immer so, wenn ein neues Medium eingeführt wird, gehen die kreativsten und tollsten Köpfe der Künstler an dieses neue Medium heran und arbeiten damit. Das ist meistens so spannend, dass sie schon unglaublich viel ausschöpfen, was in dem Medium enthalten ist. Das war beim absoluten Film der 20er-Jahre auch so, mit den Dada-Filmern zum Beispiel, und das setze sich in den 20er-Jahren durch und wurde noch vor dem 2. Weltkrieg perfekt definiert.
Wie du sagst, war das Medium Film damals noch unerforscht und es ging gerade im kubistischen Film darum, die Leute zu erreichen und Emotionen zu erzeugen. Heute hat man deutlich mehr Filmerfahrung und du kannst auf einen reichen Schatz an Erfahrung zurückgreifen. Was willst du bei den Leuten erreichen, wenn du die Filme zusammenstellst? (Überlegt sehr lange)
Habe ich die Frage etwas missverständliche formuliert? Weisst du, wie ich das meine?
Ja, schon, nur passt meine Antwort nicht zu deiner Frage. (Lacht herzhaft) Grundsätzlich mach ich das ja, weil mich das selber fasziniert. Ich hab nicht mit der Musik angefangen, weil ich die Leute für mich interessieren wollte. Man geht zuerst einmal an irgendetwas heran, weil man sich einen Lustgewinn verspricht. Ich geh ja auch nicht zu Deutschland sucht den Superstar, weil ich mich von Dieter Bohlen niedermachen lassen will. Der Ansporn war ja mal ganz anders und bei allen ernsthaften Leuten ist das hoffentlich immer noch so. Ich hoffe jeweils, dass die Sachen, die ich mache, auch bei den Leuten ankommen. Mehr steckt gar nicht dahinter. Ich versuche einen einigermassen spannenden Entwurf meiner Gestaltung der Zeit mit den visuellen und den akustischen Medien mitzuteilen. Und ich hoffe, dass mir einige folgen und etwas Humor an den richtigen Stellen rüberkommt – und dass die Leute nicht an den falschen Stellen lachen.
Der Link zum Konzertbericht: Wie ein Jazzmusiker in der Technowelt.
Für Informationen: Die Homepage von Karl Bartos.
Bildquelle: www.karlbartos.com
Pics by: Gaby Gerster
Marion von der Mehden
Rüdiger Nehmzow