Les Plages d’Agnès
Christina Ruloff - Was sind wir eine einzigartige Nation! Die französische Regisseurin Agnès Varda porträtiert sich selbst und erzählt dabei aus ihrem Leben. Was am Anfang spannend und skurril Interesse weckt, wird immer mehr zu unstrukturierten Selbstbeweihräucherung und beweist, dass gewisse...
Agnès Varda steht am Strand und dirigiert Kameramänner, Assistentinnen und Statisten so lange herum, bis alles genau so ist, wie sie es sich vorgestellt hat – schliesslich ist das ihr Film, er schildert ihr Leben und zwar aus ihrer Perspektive. Sie inszeniert sich selbst oftmals mit Selbstironie, manchmal mit kindlicher Ernsthaftigkeit und immer als die merkwürdige, aber sympathische Alte von Nebenan.
Eine Reise durch die eigene Vergangenheit - hier ist Agnès Varda sinnbildlich mit dem Segelschiff unterwegs und kommt an - in Paris, in der französischen Kultur.
Wir erfahren also, dass Frau Varda mit dem Kino sehr lange nichts am Hut hatte. Dass sie leidenschaftlich segelt, nach dem Abitur nach Korsika ausgerissen ist, über gute Beziehungen zu einem grossen Theaterregisseur Hoffotografin am Festival in Avignon geworden ist und so nach und nach alle Koryphäen der französischen Kultur kennenlernte: Gérard Philippe wuchs ihr ans Herz, Truffaut und Godard waren gute Kollegen und Jacques Demy wurde ihre ganz grosse Liebe. In dieser Zeit machte sie ihre berühmten Filme und dann kam lange Zeit nichts mehr. Warum? Man kann als Zuschauer nur ahnen, wer oder was sie an weiteren Projekten gehindert hat, vielfach ist in einer Beziehung nicht Platz für zwei Künstler und offenbar war ihr die Familie wichtiger als das Kino. Hier bleibt die sonst geschwätzige Dame auffällig ruhig und der Nachteil einer Autobiografie wird ersichtlich – was nicht ins Selbstbild passt, wird einfach nicht erwähnt.
Alles was die Erinnerungen und die Fantasie hergibt: Eine Szene aus Les Plages d'Agnès!
Problematisch ist vor allem, dass Varda ihr Leben nicht verdichtet und sich weder um eine Struktur noch um einen durchgehenden Stil schert. Sie arbeitet sich von der Wiege bis ins Alter durch ihre Biographie, ohne zu irgendwelchen Schlüssen zu kommen. Warum sie geworden ist, wer sie nun ist und was sie wirklich geprägt hat, bleibt im Dunkeln. War alles nur Zufall? Biographien sind spannend, weil sie dem Leben und den vielen kleinen scheinbar unwichtigen Ereignissen einen Sinn geben und hierarchisieren – hier plätschert alles irgendwie beliebig und ohne Zäsur vor sich hin. Das alte, herzige Bäckerehepaar in der Nachbarschaft ist genauso wichtig wie der Erfolg ihres Erstlings. Wenn Varda sich im Namedropping verliert und unbedingt anbringen muss, wen sie auch noch alles gekannt hat, fragt man sich, was das Ganze eigentlich soll. Der Film ist weder allgemeingültig, noch aussergewöhnlich – er ist in seiner vermeintlichen Einfachheit und Demokratisierung der Erinnerungen manieriert.
Spätestens wenn Varda vor überdimensionalen Vergrösserungen ihrer Fotografien französischer Helden steht und ausgiebig um diese trauert, wissen wir, worum es eigentlich geht: Um die Beweihräucherung der französischen Kultur. Entsprechend wurde das Werk in Cannes mit dem César für den besten Dokumentarfilm belohnt. Ausserhalb des Hexagons ist das nicht nachvollziehbar.
Bewertung: 2.5 von 5
- Originaltitel: Les Plages d’Agnès
- Land: Frankreich
- Dauer: 110 Minuten
- Regie: Agnès Varda
- Verleih: Xenix Filmverleih
- Release: 17. Juni 2010