Zum Glück ist eine Hochschule kein Tram
Patrick Holenstein - Hunderte von Menschen mit einer Behinderung sind an Hochschulen immatrikuliert. Doch wie funktioniert ein Studium mit Handicap? Ein Student schildert die Zustände.«Das Schwierigste sind für mich nicht zwingend die akademischen Herausforderungen sondern das Zeitmanagement. Man ...
«Das Schwierigste sind für mich nicht zwingend die akademischen Herausforderungen sondern das Zeitmanagement. Man muss Therapien, Ärzte, Ämter und das Studium unter einem Hut bringen», erzählt Claudio Berther. Der Bündner studiert an der Universität Zürich Jura und weiss wovon er spricht, denn er hat seit Geburt eine cerebrale Bewegungsstörung und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Unterkriegen lässt er sich deswegen nicht. «Ich studiere Jura, weil ich in meinem Leben schon oft mit Gesetzen oder Verordnungen zu tun hatte, die ich nicht kannte», erklärt Claudio Berther und fügt hinzu: «Oft wurde ich damit konfrontiert, wenn es um Kostengutsprachen für meines Erachtens unbestrittene Hilfsmittel ging.»
Er spricht damit ein Stigma an, das auch in der Öffentlichkeit vorherrscht: IV-Empfänger. Oft muss er sich verteidigen, hört Schlagworte wie etwa «IV-Betrug» oder «Es wird ja genug für 'euch' getan!». Fehlende Sensibilisierung spüren Menschen mit einer Behinderung besonders stark. Was aber seine Kommilitonen angeht, so betont Claudio explizit, dass er ausschliesslich positive Erfahrungen gemacht habe. So sei er von Anfang an integriert gewesen und hätte sehr breite Unterstützung erfahren.
Trotz Hürden schon sehr weit
Neben der sozialen Komponente, ist die Mobilität bei Menschen mit einer Behinderung ein wichtiges Thema. Immerhin scheint die Barrierefreiheit in der Schweizer Hochschullandschaft schon sehr weit voran getrieben: «Wenn alle Gebäude so behindertengerecht wären wie die Universität Zürich, dann könne ich mich glücklich schätzen.» Berther spricht damit beispielsweise die Situation bei den öffentlichen Verkehrsmitteln an. Zürich hat sich kürzlich neue Trams geleistet, die Haltestellen sind jedoch noch längst nicht überall behindertengerecht. «Wenn ich vor der Universität aus dem Tram aussteigen möchte, bin ich auf die Hilfe des Chauffeurs angewiesen», bemängelt Berther.
Für Studierende mit einer Behinderung hält ein Studium einige Hürden bereit. (Bild: Colourbox)
In der Hinsicht denkt die Universität Zürich deutlich weiter. Die Räumlichkeiten sind grosszügig mit Rampen ausgestattet, sodass sich Rollstuhlfahrer selbstständig in den Gebäuden bewegen können und rollstuhlgerechte Toiletten gehören zum Standard. Weiter steht an der Universität Zürich ein kleiner Ruheraum mit drei Liegen zur Verfügung, zu dem nur Studierende mit einer Behinderung Zugang haben und der eine Möglichkeit zum Rückzug bieten soll. Die Universität Zürich tut aber noch mehr für Studierende mit einer Behinderung, z.B. durch die Beratungsstelle Studium und Behinderung.
Wichtig für Betroffene
Seit 2003 verfügt die Universität Zürich über die Beratungsstelle Studium und Behinderung (BSB). Geleitet wird die Anlaufstelle für Studierende mit einer Behinderung von Olga Meier-Popa. Für die Ärztin und Sonderpädagogin ist es ein wichtiges Anliegen, Studierende mit einer Behinderung möglichst gut im Studium zu unterstützen. Das bestätigt auch Claudio Berther: «Das Team um Frau Meier-Popa leistet einen grossen persönlichen Einsatz, den ich sehr schätze.» Gerade zu Beginn des Studiums sei er sehr dankbar für die Hilfe seitens der BSB gewesen. Meier-Popa unterstreicht dies: «Das Sammeln und Vermitteln von Informationen zum Thema Studieren mit einer Behinderung ist von grosser Bedeutung für die betroffenen Studierenden.» Doch es geht weit darüber hinaus, denn die BSB vermittelt auch Hilfsdienste. Dies können Schreibdienste sein oder Hilfe bei Prüfungsvorbereitungen, aber auch Unterstützung bei der Einführung ins studentische Leben mit einer Behinderung. Dazu gehört ebenfalls die Interessensvertretung bzw. die Öffentlichkeitsarbeit, sprich das Engagement bei verschiedenen gesamtschweizerischen Projekten.
Schweizweite Übersicht über Behindertentauglichkeit
Besondere Beachtung verdient das engagierte Projekt Uniability, welches die Idee konsequent weiter trägt. «Wir versuchen mit der Plattform die Informationen verschiedener Hochschulen unter ein Dach zu bringen», erklärte Olga Meier-Popa. Bereits sind einige hilfreiche Links über die Website von Uniability abrufbar. Genau wie die Sammlung an Informationen der Universität Zürich, wird Uniability schrittweise ergänzt und ausgebaut. «Dort sollen Informationen über rollstuhlgerechte Parkplätze, Pulte und Sanitäranlagen sowie induktive Höranlagen zur Verfügung stehen, die den Mehraufwand für Studierende mit einer Behinderung reduzieren», bringt es Meier-Popa auf den Punkt.
Gedacht ist sowohl die BSB als auch Uniability nicht nur für Menschen mit Mobilitätsbehinderung, sondern auch für Betroffene mit Seh- oder Hörbehinderung oder mit einer chronischen Krankheit. Wird die BSB aber auch genutzt? Zahlen zeigen, dass die Anzahl der Anfragen ständig steigt. Dies sei zu erwarten gewesen, erklärt Meier-Popa, da die BSB als Vermittlerin zwischen den Anforderungen und Bedürfnissen der Menschen mit Behinderung und den Anforderungen an der Universität fungieren würde.
Leben nach dem Pfadfinder-Prinzip
Wie wichtig ihm der Einsatz der BSB ist, betont Claudio Berther nicht nur, er revanchiert sich auch: «Für mich ist es ein Geben und Nehmen, darum versucht ich etwas beizusteuern.» Er hat beispielsweise beim Übersetzten der Homepage ins Englische geholfen und zusätzlich wird er im kommenden Semester einer Austauschstudentin mit Sehbehinderung bei der Integration helfen.
Hier gibt es mehr Informationen zur Beratungsstelle Studium und Behinderung: BSB.
Bilder: Colourbox