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23. Februar 2008, 17:24 Music Kultur

Der Kaufmann von Venedig @ Schauspielhaus

Christina Ruloff - Laurence Olivier hat es schon getan, Al Pacino und in unserem Sprachraum Fritz Kortner. Nun gibt der grosse Schauspieler Robert Hunger-Bühler (der in Peter Steins „Faust“-Aufführung den Mephisto gespielt hat) den Shylock im Kaufmann von Venedig... und wie! Er erlebt alle St...

Laurence Olivier hat es schon getan, Al Pacino und in unserem Sprachraum Fritz Kortner. Nun gibt der grosse Schauspieler Robert Hunger-Bühler (der in Peter Steins „Faust“-Aufführung den Mephisto gespielt hat) den Shylock im Kaufmann von Venedig... und wie! Er erlebt alle Stadien des menschlichen Daseins auf der Schattenseide des Lebens, Verletzung, Enttäuschung, Verzweiflung, aber auch Wut, Gier und natürlich Hass, nur um am Ende betrogen und kleinlaut mit „Entschuldigung, mir ist nicht gut“, abzutreten: Robert Hunger-Bühler gibt einen ganz anderen, nicht nur tragischen, grandiosen Shylock. Mit Shakespeare hat Stefan Puchers langatmige Inszenierung leider aber nur noch ganz am Rande zu tun.

Im Venedig des späten 16. Jahrhunderts muss sich der Titel gebende reiche Kaufmann Antonio Geld leihen, und zwar ausgerechnet von dem gehassten Juden Shylock. Antonio will mit den 3000 Dukaten nämlich seinem Freund Bassanio helfen, die schöne und vielumworbene Erbin Portia auf ihrem Landgut Belmont zu gewinnen. Geld ist zwar gut und für eine standesgemässe Werbung unerlässlich, die „inneren Werte“ zählen aber mehr: Daher muss Bassanio unter drei verschlossenen Kästchen das richtige – natürlich das vermeintlich unscheinbare! – wählen, was ihm erstaunlicherweise gelingt. Eine Hochzeit findet statt und alles wäre gut und schön, könnte Antonio Shylock nur die 3000 Dukaten zurückzahlen. Dieser fordert nun aber das ungeheure und mörderische Pfand von einem Pfund Fleisch von Antonio und geht vor Gericht.

Robert Hunger-Bühler und Jean-Pierre Cornu spielen als Shylock und Antonio grossartig.

Selten hat der verlassene und einsame Antonio so Mitleid erregt, wie in der beeindruckenden Interpretation Jean-Pierre Cornus. Schon zu Beginn weiss er nicht, was ihn so traurig macht, doch wenn er es sich zugestehen würde, würde sich sein Schicksal ändern? Antonio würde sich mit Freuden ein Pfund Fleisch für seinen Freund Bassanio herausschneiden lassen, würde dieser ihn nur endlich verstehen! Dabei – eine bittere Ironie in diesem grossen Shakespeare Stück, die Cornu und Hunger-Bühler was Kleidung und Frisur, vor allem aber auch was die seelischen Abgründe betrifft, herausheben – gleichen sich der venezianische Kaufmann und der Jude verdächtig, ergänzen sich, sind ein negatives Spiegelbild des anderen: Klagt Antonio lebensmüde und verbittert, tobt Shylock wahnwitzig und verzweifelt. Hunger-Bühler und Cornu spielen beiden einfach grossartig, ziehen das Publikum in ihren Bann. Der Kaufmann von Venedig ist schlicht glänzend besetzt.

Neben der anstrengenden Überlänge, die dem Stück Fokus und Spannung nimmt, mühsamen Gesangseinlagen und dem bizarren und abrupten Schluss hat die Inszenierung Stefan Puchers vor allem einen gewichtigen Haken: Sie hat kaum etwas mit Shakespeare zu tun. „Das Schlimmste wäre, aus diesem Stück so ein Moral-Ding zu machen“, hat der Regisseur erklärt, und so bleibt nichts unversucht, dem Shakespeare Stück seine ernsthafte Vielschichtigkeit auszutreiben. Portia, die in einer Art Fernsehgewinnspiel (à la „Geh aufs Ganze“) als Hauptpreis fungiert, wird von den eingeblendeten Mächtigen und Schurken unserer Welt begehrt: Ahmadinejad, Kim Jong-il, Sarkozy und Bush geben sich die Klinke. Fabian Krüger gibt als Prinz von Arragon eine Persiflage des mehrbesseren Züri-Typs, der in breitem Züridütsch erklärt, dass er schon mal ein gutes Buch liest, ins Theater geht und auf den Rest der oberflächlichen Menschheit herabschaut. Es wird King Kong eingeblendet, gerappt, geknutscht und irgendwann gibt der Psychoanalytiker Paul Parin auf Video seine Interpretation des Stücks zum Besten. Das eigentliche Problem, der Konflikt des Juden Shylock mit der Gesellschaft und in der Gesellschaft geht in all dem Klamauk unter. Stefan Pucher hat in Erwägung gezogen „den Juden Shylock durch einen Muslim, einen Fundamentalisten zu ersetzen“, es aber dann bleiben lassen. Ist Shylock denn ein Fundamentalist? Ist er nicht ein Mensch? Was hätte Shakespeare wohl gesagt?

Der Kaufmann von Venedig unterhält anständig, hat aber mit Shakespeare kaum noch etwas zu tun.

Der Kaufmann von Venedig im Schauspielhaus: Daten und Informationen hier!

Antonio leidet im Turm, während sich die Beautiful People bei Portias Hochzeit vergnügen.

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