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17. Oktober 2010, 00:00 Movie

Sennentuntschi

Gregor Schenker - Michael Steiners jüngster Film hat so einiges an Turbulenzen hinter sich; die Berichte über die argen finanziellen und sonstigen Probleme der Produktion hielten die Öffentlichkeit über Monate auf Trab. Grosses Drama, bevor das Werk überhaupt fertiggestellt war. Zum Glück gr...

Michael Steiners jüngster Film hat so einiges an Turbulenzen hinter sich; die Berichte über die argen finanziellen und sonstigen Probleme der Produktion hielten die Öffentlichkeit über Monate auf Trab. Grosses Drama, bevor das Werk überhaupt fertiggestellt war. Zum Glück griff unter anderem die Constantin Film Schweiz rettend ein und so konnte Sennentuntschi, zwei Jahre nach Drehschluss, am Zurich Film Festival seine Premiere feiern und ist jetzt in den Schweizer Kinos zu sehen. Und das Werk hat es verdient, unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte beurteilt zu werden.

Zur Story: In der Gegenwart stösst ein kleines Mädchen bei der Pilzsuche in den Bergen auf ein Skelett. Rücksturz ins Jahr 1975: Der örtliche Pfarrershelfer erhängt sich in der Kirche, wenig später kommt eine verstörte, stumme und erschöpfte junge Frau (Roxane Mesquida) von der Höhenalp herab. Dorfpolizist Sebastian (Nicholas Ofczarek) nimmt sie bei sich auf und versucht herauszufinden, wer sie ist. Probleme macht ihm dabei der Pfarrer, der die Unbekannte für einen Dämon hält.
Eingeflochten in diese Geschehnisse sind Rückblenden zu den Ereignissen auf der Höhenalp: Der Städter Martin (Carlos Leal) leistet beim Ziegenhirten Erwin (Andrea Zogg) und dessen sprachbehinderten Helfer Albert (Joel Basman) Freiwilligendienst. Eines Abends basteln sich die drei Kerle im Absinth-Suff ein Sennentuntschi, eine lebensgrosse Puppenfrau, und erwecken dieses zum Spass zum Leben – und stellen am Tag darauf fest, dass tatsächlich eine junge Frau bei ihnen in der Hütte steht …

Auf den ersten Blick weist Sennentuntschi erstaunliche Parallelen zum deutschen Drama Tannöd auf: Beide Filme spielen in abgelegenen, ländlichen Gebieten, haben grausame Morde auf einsamen Höfen zum Thema, verfügen über eine komplexe Erzählstruktur mit verschiedenen Zeitebenen und sind stark von Horrorfilm-Elementen geprägt, obwohl sie eine bodenständige Krimihandlung erzählen (nein, Sennentuntschi ist keine Verfilmung der Sage, sondern ein Thriller, der sich bloss daran anlehnt). Michael Steiner (Mein Name ist Eugen, Grounding) und sein langjähriger Drehbuchautor Michael Sauter (Strähl) betonen allerdings das Mystery-Element stärker, lassen das Publikum länger im Ungewissen und klären am Ende dann doch nicht alles Übersinnliche auf.

Zudem ist Sennentuntschi um einiges saftiger als Tannöd, was Sex und Gewalt anbelangt: Neben expliziten Vergewaltigungsszenen gibt es einige ziemlich blutige Effekte (harmlos ist das Werk also nicht) und der Horrorfilm-Fan wird Genre-Andeutungen von Ein Zombie hing am Glockenseil über Der Exorzist bis hin zu The Texas Chainsaw Massacre erkennen. Aber nicht nur mit Horror, sondern auch mit dem Western oder eben dem investigativen Kriminalfilm wird hier gespielt.
Wohlgemerkt: Auch jenseits davon ist diese Geschichte um sexuelle Gewalt, religiöse Verblendung und alte Schuld äusserst packend – nicht zuletzt dank der ausgezeichneten Darsteller, die wunderbar ambivalente Rollen spielen dürfen (hier gibt’s kein simples Schwarzweiss).
Der Zuckerguss auf dieser düsteren Melange ist die Filmmusik von Adrian Frutiger (The Ring Thing, Grounding), der in seine unheimlichen, aber rhythmisch treibenden Themen Anflüge von Volksmusik einbaut und damit etwas schafft, das man sich unbedingt auf CD zulegen muss.

Fazit: Der Film hat möglicherweise einige Längen sowie Fragwürdigkeiten (war die Rahmenhandlung wirklich notwendig? Woher beherrscht das stumme Mädchen das Nähen von Puppen?) und das Spiel mit den Zeitebenen ist vielleicht nicht ganz so gelungen, wie gedacht, aber alles in allem ist Sennentuntschi ein erfrischend kompromissloses und überraschend starkes Werk, das man dem Schweizer Filmschaffen gar nicht zugetraut hätte. Unbedingt ansehen!


Jetzt im Kino.

Kommentare
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marc 22.10.2010 um 11:03
Genialer Film, nur zu empfehlen!