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9. November 2010, 03:02 Kolumnen

Shots no. 13: Reiseführerrandnotizen

Dominik Mösching - Weltrekord: In Buenos Aires kommen rund 800 Psychologen und Psychoanalytiker auf 100'000 Einwohner. Das sind sogar acht mal mehr als in Woody Allens neurotischem New York.

Auf der Reise von Nordamerika in die argentinische Kapitale las ich mich ein wenig in die Stadt ein, in der ich in den nächsten Wochen ein paar dezente Fetzen Spanisch aufzunehmen gedenke. Ich stolperte über die Psychologen-Dichte und liess den Reiseführer sinken. Wieder einmal so eine Information aus der Kategorie Random Facts. Doch ich mag solches Zufallswissen. Beim Smalltalken durchdringt es tatsächlich manchmal die imposant strahlenden Rüstungen, die wir uns für Situationen erstmaligen Zusammentreffens aufbauen. Dann blitzt für einen Moment ehrliches Erstaunen in den Augen des Gegenübers auf. Ein Hinweis für eine neugierige, ergo: interessante Person hinter der Rüstung. Denn wer noch nicht zu staunen verlernt hat, weiss zum Glück nicht alles und erst recht nicht alles besser.

Zum Thema "kennenlernen" existiert tonnenweise Literatur. Wann wir uns wahnsinnig nett, überaus sympathisch oder gar verdammt attraktiv finden (und warum das häufig schon in den ersten Sekunden klar ist), wissen wir trotzdem nicht so recht. Geht’s um gleich und gleich gesellt sich gern, oder sind es doch die Gegensätze? Setzen wir mit Fortbewegungsmittel, Wohnung und Kleidung bewusst und unbewusst Statusduftmarken, welche andere anziehen oder abstossen – oder entscheiden gar echte Mikro-Geruchsspuren über Sympathie und Antipathie, wie Forscher herausgefunden haben wollen?

Dass wir Menschen uns wie Atome zufällig anziehen, abstossen und auf unser lebenslangen Bahn immer gewisse Wegstücke mit jeweils anderen teilen, wird einem auf Reisen besonders bewusst. Unterwegs bekommt unser Zeitempfinden eine räumliche Dimension: "Gestern" und "morgen" lassen sich nicht mehr nur als Datum in einer Agenda einkreisen, sondern auch als Orte auf einer Landkarte. Gleichsam korrespondiert die Einmaligkeit eines bestimmten Augenblicks mit der Einmaligkeit einer bestimmten Aussicht aus dem Zugfenster. Beides kommt nicht wieder. Und so kommen und gehen die Landschaften, die Städtenamen und die Bekanntschaften; doch im Reisemodus lernt man, Adieu sagen zu geniessen. Weil jedes Wegstück gerade in der Endlichkeit seine Wichtigkeit hat.

Ich brauchte die Reiselektüre nicht wieder aufzunehmen. Ich war nun psychologisch bereit für Buenos Aires.

Wo komm’ ich her, wo geh’ ich hin? Golden Gate Bridge (San Francisco) im Nebel.

Hola, Argentina. Wollen wir uns kennenlernen?

Adieu sagen: Botschaft der Plakatgesellschaft anlässlich des Todes von Ex-Präsident Néstor Kirchner.

Bisherige Shots From the Road findest du hier.

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