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4. Januar 2012, 14:46 Kultur Movie

Kino: Drive

Gregor Schenker - Kultregisseur Nicolas Winding Refn inszeniert einen Film Noir mit Ryan Gosling in der Hauptrolle. "Drive" ist grandioses Musikvideo, pure Ästhetik, Kino in Reinform.

Die Geschichte von Drive ist denkbar simpel: Der namenlose Held (Ryan Gosling) arbeitet bei Tag in einer Garage und gelegentlich als Stuntfahrer für Hollywood, bei Nacht verhilft er Verbrechern zur Flucht. Hinter dem Steuer ist er derart unübertrefflich, dass sein Förderer Shannon (Bryan "Breaking Bad" Cranston) mit ihm in die Welt der Autorennen einsteigen will.
Inzwischen lernt der Fahrer seine Nachbarin, die alleinerziehende Mutter Irene (Carey Mulligan), näher kennen und entwickelt schliesslich Gefühle für sie. Doch sie gesteht ihm, verheiratet zu sein: Ihr Mann Standard (Oscar Isaac) wird demnächst aus dem Gefängnis entlassen. Als der Ex-Häftling wieder zuhause ist, wird er von der Mafia unter Druck gesetzt. Irene zuliebe entschliesst sich der Stuntfahrer, ihm zu helfen. Doch der Raubüberfall, der Standards Schulden tilgen soll, läuft furchtbar schief. Der Gangsterboss Bernie (Albert Brooks) und seine rechte Hand Nino (Ron Perlman) heften sich an ihre Fersen.

Drehbuchautor Hossein Amini (The Four Feathers) hat aus der poetischen Romanvorlage des bisher selten verfilmten Schriftstellers James Sallis eine effiziente, in ihrem Ablauf äusserst konsequente kleine Rachestory um einen Mann im hoffnungslosen Kampf gegen die Mafia entwickelt. Eine wirklich gute Verfilmung übersetzt aber nicht einfach die Geschichte der Vorlage für die grosse Leinwand, sondern hebt sie mit den spezifischen Mitteln des Filmes auf eine ganz neue Ebene. Genau dies ist Nicolas Winding Refn gelungen.

Der dänische Regisseur, der bereits mit der Pusher-Trilogie, dem Boxerdrama Bronson oder mit Valhalla Rising auf sich aufmerksam machte, inszeniert mit Drive seinen ersten Hollywoodfilm. Dies hat er dem Hauptdarsteller Ryan Gosling (Lars and the Real Girl, The Ides of March) zu verdanken, der sich seinen Regisseur aussuchen durfte, nachdem er die Hauptrolle angeboten bekam. Für Drive hat Refn einen Stil geschaffen, der Elemente des Film Noir mit der schrillen Neon-Ästehtik der 80er-Jahre verbindet. Die sorgfältig ausgeleuchtete Sets und die betonte Langsamkeit erinnern an das surreale Werk von David Lynchs.
Nicht minder beeindruckend ist die Tonspur: Treibende, minimalistische Beats treffen auf unterkühlte, aber träumerisch schöne Popsongs. Drive ist ein hundertminütiges Musikvideo, eine filmgewordene Meditation. Ein stilles Werk, in dem die plötzlichen Gewaltausbrüche einen umso stärkeren Effekt haben. Kehlen werden aufgeschlitzt, Schädel mit dem Stiefel eingetreten. Die Actionszenen lassen einen atemlos zurück.

Die Schauspieler sagen nur das Nötigste, spielen zurückhaltend. Es gibt kein Pathos, keine überflüssigen Versuche der Psychologisierung. Die Figurendarstellung beschränkt sich auf das Grundsätzlichste, hinterlässt aber gerade deswegen einen bleibenden Eindruck. Ryan Gosling bewegt sich in der Hauptrolle zwischen Steve McQueen und dem jungen Clint Eastwood; sein namenloser Fahrer tut, was er tun muss, verliert aber nie seine menschliche Wärme. Selten hat man mit einem Protagonisten derart mitgefühlt, hat es einem beim Unvermeidlichen den Magen umgedreht wie hier – obwohl er kaum den Mundwinkel verzieht.
Auch sonst: Ein leises Lächeln von Carey Mulligan (Shame), ein einzelner Halbsatz aus dem Mund von Albert Brooks (Taxi Driver) reichen aus, um ganze Geschichten zu erzählen.

Drive ist ein Meisterwerk des Minimalismus, ein traumhafter Rausch von Bildern und Musik. Eine Meditation über Gewalt und Liebe. Pure Ästhetik. Kino in Reinform.


Bewertung: 5 von 5


  • Titel: Drive
  • Land: USA
  • Regie: Nicolas Winding Refn
  • Darsteller: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Ron Perlman
  • Verleih: Ascot Elite
  • Start: 5. Januar 2012
Bilder von Ascot Elite
Kommentare
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dollarhyde 11.01.2012 um 21:02
Ist natürlich auch subjektiv, nicht wahr.

Im Vergleich zu Kubrick oder Lynch fand ich es wiederum gerade reizvoll, dass "Drive" eine simple, minimalistische Geschichte in diesem Stil erzählt.
dollarhyde 11.01.2012 um 12:57
Ein maximal 30minütiger Kurzfilm erreicht kaum die meditative Wirkung von "Drive". Der muss schon so lang sein, wie er ist.

Und das von wegen Identifizierung hab ich auch schon anderswo gehört. Kann ich nicht nachvollziehen. Ganz im Gegenteil find ich es wunderbar, dass der Film auf die sonst übliche übertriebene Emotionalisierung verzichtet. Er kaut dem Zuschauer die Gefühle der Figuren nicht vor. (Einer der Gründe, weswegen ich auch Kubrick oder Lynch so sehr schätze.)
Wie ich auch im Review versucht habe zu vermitteln: Ein gut gespieltes subtiles Lächeln erzählt mehr als tausend Liebesschwüre.

Und madebyl hat definitiv zu wenig Filme gesehen.
madebyl
madebyl 10.01.2012 um 11:42
schlechtester Film den ich je gesehen habe
dollarhyde 10.01.2012 um 04:26
"Drive" ist einerseits eine Übung in erzählerischem Minimalismus (weswegen eine komplexere Story keinen Sinn machen würde), aber andererseits ein stilistischer Exzess (weswegen auch die Gewaltdarstellung nur konsequent ist). Da führt die Forderung nach mehr Story oder weniger Brutalität in meinen Augen gerade an dem vorbei, was der Film sein soll.