Kino: Virgin Mountain
Patrick Holenstein - Die zärtliche Tragi-Komödie «Virgin Mountain» erzählt von einem einsamen, aber herzensguten Mann, dem eine Frau Leben einhaucht.
«Virgin Mountain» zeichnet das liebevolle Portrait von Fúsi, einem Berg von einem Mann, der sanft wie ein Lämmchen ist und sich lieber schubsen lässt als sich zu wehren. Er ist 43 Jahr alt, einsam, lebt mit seiner Mutter in einer kleinen Wohnung in Reykjavik und arbeitet am Flughafen, wo ihn seine Kollegen aus Spass mobben. Als Hobby stellt er historische Schlachten in Miniaturwelten nach und gelegentlich spielt er mit dem Nachbarmädchen. In seiner Welt ist das kein Problem, sie bricht gar auf liebevolle Weise die Routine im festgefahrenen Kosmos von Fúsi, jedoch wird er vom Vater des Mädchens des sexuellen Missbrauchs verdächtigt. Polizeiliche Ermittlungen führen jedoch ins Leere, denn Fúsi würde keiner Fliege etwas zu leide tun. Als er Geburtstag hat, bekommt er einen Gutschein für einen Line-Dance-Kurs geschenkt. Typisch Fúsi. Der traut sich nämlich erst gar nicht, daran teilzunehmen, hört lieber im Auto Radio. Dann schlägt das Leben zu. Vor dem Lokal trifft er die junge Sjöfn und fährt sie nach Hause. Fúsi ist fasziniert. Vorsichtig nähern sich die beiden an, bauen eine zarte Bande auf und Fúsi verliebt sich Hals über Kopf. Doch dann wird das Duo auf eine harte Probe gestellt.
Hoffnungsvolles Stück Independent-Kino
Selten hat «Islands In The Stream» so gut gepasst wie in der Szene, in der der eigentlich eingefleischte Heavy-Metal-Fan Fúsi im Radio den Song für seine Angebetete wünscht und der Radiomoderator - ein alter Freund - ihn ungläublig fragt, ob er sicher sei. Dabei ist der Country-Klassiker jenes Steinchen, das das Mosaik des liebenswerten Riesen symbolisch komplettiert. Denn wenn Kenny Rogers mit Dolly Parton singt, suggerieren sie die heilte Welt, die sich, wenn es sich Dagur Kári Pétursson mit seinem vierten Spielfilm einfach machen wolle, genüsslich entfalten könnte. Stilistisch wirken viele Nahaufnahmen, die einen als Zuschauer schnell mit Fúsi fühlen lassen. Man schliesst ihn sofort ins Herz und beobachtet den sanftmütigen Giganten dabei, wie er seine Wohlfühlzone verlässt und sich auf unsicheres Terrain begibt, dabei aber mehr hilflos treibt als gezielt steuert. Mit tristen Bildern und oft herbstlichen Farben gelingt durch die sensibel erzählte Geschichte das Kunststück, dass aus einer traurigen Prämisse ein hoffnungsvolles Stück Independent-Kino wird.
Der Film lebt allerdings sehr stark vom hervorragenden Hauptdarsteller-Duo. Gunnar Jónsson als Fúsi und Ilmur Kristjánsdóttir als Sjöfn tragen den Film komplett auf ihren Schultern und machen das mit Bravour. Es sind oft die Momente, in denen nicht gesprochen wird, die die Emotionen unterstreichen. Der traurige Dackelblick von Fúsi wirft einen hin und her, mal will man ihm ins Gesicht schreien, dann lieber trösten. Wie das Leben eben so ist. Dazu kommt ein Drehbuch, das auf märchenhafte Romantik verzichtet und mit einer Hauch von Realität eine glaubwürdige Geschichte erzählt. Die Kulturszene von Island geniesst ja eh schon den Ruf, dass sie die Meister der eleganten Melancholie ist. Mit «Virgin Mountain» wird dieser Ruf noch mehr zementiert. Manchmal auf sehr subtile Weise humorvoll, dann wieder gnadenlos tragisch, aber immer im richtigen Masse voller Gefühl.
Fazit: Man leidet, wenn er gemobbt wird. Man freut sich, wenn er bei Sjöfn landen kann. Fúsi ist ein Kerl, den man so schnell nicht mehr vergisst. Eine zartbittere Perle aus Island.
Trailer zu Virgin Mountain
Bewertung: 4,5 von 5 Sternen
- Virgin Mountain (Island, Dänemark 2015)
- Regie & Drehbuch: Dagur Kári
- Darsteller: Gunnar Jónsson, Ilmur Kristjánsdóttir, Sigurjón Kjartansson
- Laufzeit: 117 Minuten
- Kinostart: 18. Februar 2016