Lady Chatterley
Christina Ruloff - Die Herrin, der Wildhüter und die Entdeckung des Ichs: Pascale Ferran verfilmt D.H. Lawrences Skandalroman über sexuelle und gesellschaftliche Befreiung ruhig und französisch stilvoll. 1920 ein Skandal, löst Lady Chatterley heute noch mancherorts Befremden aus.Der Wagen fähr...
1920 ein Skandal, löst Lady Chatterley heute noch mancherorts Befremden aus.
Der Wagen fährt in einer wunderbar ruhig gefilmten Anfangssequenz durchs Tor fort, die Kamera schweift über das alte Landhaus, den Garten und das weite Grundstück und schliesslich über Lady Chatterley (Marina Hands), die etwas resigniert zurückbleibt. In der nächsten Szene sind Jahre vergangen, Lord Chatterley (Hippolyte Girardot), von seiner Frau Clifford genannt, ist aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt.
Gelähmt und an sein Bett und seinen Rollstuhl gefesselt, ist er verbittert und launisch. Als Angehöriger der Führungsklasse lässt er sich nur von Vernunft und Notwendigkeit bestimmen und ist ganz gar bestrebt sich durch seine Behinderung nicht einschränken und aufhalten zu lassen: Er hat Geschäfte zu erledigen, Fabriken zu verwalten, Streiks zu brechen.
Seine Frau versucht sich um ihn zu kümmern, doch seine Behinderung hat die ohnehin schon sehr formelle und kühle Beziehung auf ein Minimum gesellschaftlicher Kontakte reduziert. Jegliche Zärtlichkeit und Anteilnahme unterbindet er, Mitleid verbittet er sich.
Damit ist die junge, ehemals lebhafte Frau völlig vereinsamt; an ein Haus gekettet, an den Speiseplan ihres Mannes gebunden, durch dessen Immobilität jeglicher gesellschaftlicher Tätigkeiten und Ablenkungen beraubt verfällt sie in Depressionen, bis sie das Spazieren und auf den Spaziergängen eine eigene Welt und beschränke Freiheiten entdeckt. Dort lernt sie auch den Wildhüter Parkin (Jean-Louis Coulloc'h) kennen und beginnt mit ihm eine Affäre, die ihren Horizont öffnet.
als Lady Chatterley.
D.H. Lawrances erotischer Roman hat bei seinem Erscheinen 1928 einen unerhörten Skandal ausgelöst; der renommierte Penguin Verlag erstritt sich erst 1960 vor Gericht die unzensierte Veröffentlichung des vermeintlich verdorbenen Werkes, das sich vor allem um eines dreht, nämlich um Sex und „sexual healing“. Dies ist Lawrences Kommentar zur damaligen Zweiklassengesellschaft und sein Vorschlag zu ihrer Überbrückung.
Der Roman gäbe in seiner Naivität aus heutiger Sicht viel Anlass zu billigen Lachern und Lächerlichkeiten, insbesondere was die unbeholfenen sexuellen Annäherungen zwischen den Liebenden betrifft. Doch nicht einmal der lang erwartete Höhepunkt, wo Lady Chatterely eine Blume in Parkins Schamhaare steckt, nachdem die beiden nackt durch den Regen gerannt sind, erweckt auch den kleinsten Anflug von Lächerlichkeit. Die Regisseurin Pascale Ferran und das hervorragenden Schauspielertrio ziehen die Sache mit einer bewundernswerten Ernsthaftigkeit und gleichzeitig mildem Verständnis für alle Personen durch.
Die berühmte Szene, in der sich Clifford mit einem motorisierten Gefährt die Natur zugänglich machen will, stecken bleibt und sich nur mit Parkings männlicher Muskelkraft zum Haus zurückretten kann, löst weniger Verachtung als Mitleid aus – Mitleid mit einem Mann, der, sich seines Defekts bewusst, schrecklich leidet, ihn mit einem hochmütigen Klassendenken zu kompensieren sucht und natürlich scheitert.
In Frankreich hat man den Mut, Sexualität natürlich, ruhig und positiv zu zeigen, bewundert und mit fünf Césars (Bester Film, bestes Drehbuch, beste Schauspielerin, beste Kinematographie, beste Kostüme) honoriert. Zu Recht, denn Lady Chatterley ist eine herausragende Literaturverfilmung, die in dieser Form an Aktualität wenig eingebüsst hat.
Bewerung: 4.5 von 5
ohne Lächerlichkeiten.
Originaltitel: Lady Chatterley
Land: F, GB, BE
Genre: Literaturverfilmung
Dauer: 168 Minuten
Regie: Pascale Ferran
Darsteller: Marina Hands, Jean-Louis Coulloc'h, Hippolyte Girardot
Verleih: Xenix
Kinostart: 12.7.2007