DVD der Woche: Brief einer Unbekannten
Christina Ruloff - Wieder ein grosser Regisseur zum Entdecken: Max Ophüls grandiose Verfilmung von Stefan Zweigs Novelle „Brief einer Unbekannten“ ist ein cineastisches Ereignis. Ein gemeinsames Leben, das nie stattgefunden hat: Joan Fontaine und Louis Jourdan in Brief einer Unbekannten„Wenn...
Ein gemeinsames Leben, das nie stattgefunden hat: Joan Fontaine und Louis Jourdan in Brief einer Unbekannten
„Wenn Du diese Zeilen liest, bin ich vielleicht schon tot.“ Stefan Brandt kommt wie üblich Morgens um drei nach Hause getorkelt, als er diesen Brief entdeckt. Er erzählt von einer Frau, einer gemeinsamen Vergangenheit, einer Liebe und einem Leben, das nie stattgefunden hat.
Der Brief stammt aus der Feder von Lisa, die sich im Wien um 1900 noch als Kind unsterblich in ihren Nachbarn, den Starpianisten Stefan Brandt verliebt hat. Der so Bewunderte weiss nichts von seinem Glück und hätte sich sicherlich nichts daraus gemacht, dreht sich sein Leben doch um Musik, um das Wiener Nachtleben und vor allem um die Frauen. Sie hingegen sitzt mit ihrer Mutter in der winzigen Wohnung und träumt von ihrem unerreichbaren Idol, das die Stadt erobert. Am schönsten sind die Nächte, in denen er zu Hause Klavier spielt und sie sich vorstellen kann, er spiele nur für sie allein.
Die Mutter versucht Lisa mit einem Soldaten zu verkuppeln - umsonst.
Als Lisa erwachsen ist, hat sich an ihrer Liebe, ihrer Leidenschaft, nichts geändert. Sie weigert sich, andere Männer zu treffen oder gar zu heiraten und verbringt all ihre Feierabende wartend vor Stefans Haus. Eines Tages wird sie vom Schicksal erhört, sie lernt Brandt kennen, erlebt mit ihm einen traumhaften Abend und verbringt mit ihm die Nacht. Am anderen Morgen verschwindet er und lässt sie schwanger zurück. Die Jahre vergehen, Lisa hat einen älteren Mann gefunden, der sich um sie und ihren Sohn kümmert. Alles scheint in bester Ordnung, bis Stefan auftaucht und sie gegen jede Vernunft wieder in seinen Bann zieht. Er ist freundlich, charmant wie eh und je, doch erkennt er sie nicht wieder... die Katastrophe für Lisa.
Der erste und einzige gemeinsame Abend - ein Traum
Wer Stefan Zweig schätzt, der wird Max Ophüls' Film lieben. Der Meisterregisseur hat in seinen zarten Schwarzweiss - Bildern den Ton der Vorlage genau getroffen: Es dreht sich alles um die unmögliche und unerfüllte Liebe, die am Ende doch die einzig richtige ist. Was den Film nebst den beiden grossartigen Schauspielern Joan Fontaine als Lisa und Louis Jourdan als Stefan zu einem herausragenden und besonderen Erlebnis macht, ist die Kameraarbeit Ophüls’: Sie umkreist ständig alle Figuren, charakterisiert sie und vermag es so ihre Befindlichkeiten exakt auf Zelluloid zu brennen. Sie zeigt die Tragödie, ihre Totalität und Ausweglosigkeit aus den verschiedensten Winkeln. Bei Ophüls ist Cinematographie tatsächlich „Zeichnen mit Licht“ und dies macht den Film zu einem visuellen Erlebnis, wie wir es heute nicht mehr kennen!
Nebst der deutschen und englischen Tonspur mit deutschen Untertiteln gibt es einen interessanten Essay vom Filmhistoriker Tag Gallagher, der Lisa und ihre Rolle der schwachen, leidenschaftlichen Frau zum verrückten, hinterlistigen und masochistischen Vamp uminterpretiert. Was Gallagher zur Kameraführung erzählt, ist spannend; seine kuriosen Interpretationen zur Rolle der Frau haben aber wenig mit den Intentionen von Zweig und Opühls' zu tun.
Bewertung: 4 von 5
Originaltitel: Letter from an Unknown Woman
Land: USA
Genre: Drama
Dauer: 86 Minuten
Regie: Max Ophüls
Darsteller: Joan Fontaine, Louis Jourdan, Marcel Journet, Mady Christians