Ganz normal

19.12.2007 um 11:36

Ganz normalWieder einmal ein Tag in einem ganz normalen Bus der Linie 20 in Bern.. Türen öffnen sich, Leute steigen ein und aus. Gelangweilt sitzt man da und warte darauf, dass der Bus sich endlich in Bewegung setzt. Wie an einem ganz normalen Tag, versucht jeder sich einen Platz zu ergattern, möglichst in einem Abteil für sich allein. Man will sich ja nicht zu nahe kommen, normal. Der Junge mit dem Discman auf voller Lautstärke, welcher einem das Trommelfeld aus Übelste strapaziert, geht den meisten auf den Geist. Er schient den Zweck des Alleinhörens nicht verstanden zu haben. Und dann erst diese überschminkte Madam mit ihrem kläffenden Köter. Tötende Blicke wirft man jener Person zu, die sich den letzten freien Sitzplatz schnappt und denkt sich „nicht normal, so etwas“.Bis dann diejenige in den Bus steigt, die alles andere wieder ganz normal erscheinen lässt: die Verrückte. Eine johlende, nach Alkohol stinkende Frau, die entsetzte Ausdrücke auf den Gesichtern der Mitreisenden hervorruft. Man schaut sich verstohlen um und findet sich bestätigt auf dem Gesichtsausdruck der anderen. Eine plötzliche Solidarität scheint sich aufzubauen und man wirft sich mitfühlende Blicke zu. Sogar der schicken Dame scheint man plötzlich wohlgesonnen zu sein. Ihr Hündchen ist ja auch ganz süss und sie gehört ja schliesslich zu uns, den Normalen. Der Discman- Junge schaltet sogar sein Gerät ab, um der Verrückten zuzuhören, denn was gibt es Interessanteres, als Leute, welche sich so unpassend in Szene setzen?Schüttelt man den Kopf, nickt der Nachbar verständlichst. Verdreht man die Augen, folg ein zustimmendes Seufzen mindesten dreier Mitleidenden. Ein Zusammenhaltsgefühl, das beinahe an die weihnachtliche Warmherzigkeit erinnert, entsteht. Unsere kleinen Anomalien, wie das Essen von Bananenschalen, das Einschlafen nur mit Teddy und das Sammeln von Pet-Flaschen scheint auf einmal völlig normal. Die sonst so umstrittene und vorsichtig gefasste Definition von `normal` scheint ganz einfach: wir sind es, diese Frau nicht. Und am Abend, zuhause beim gemütlichen Zusammensein mit der Familie, wird bis ins kleinste Detail von der verrückten Frau im Bus erzählt. Und man kann sich noch einmal so richtig schön normal fühlen…