Simon im Brocki - Videos

Es ist das erste Mal, dass ich das Brocki an der Bertastrasse betrete. Ich wusste gar nicht, dass es nebst dem ebenerdigen Ladenlokal noch aus einem Kellertrakt besteht. Mit dem Jäger-Kribbeln im Bauch gehe ich also die Treppe runter und beginn zwischen den Inseln aus Möbeln und sonstigem Kram hindurchzustreifen. Nichts, was mich auf den ersten Blick wirklich von den Socken reissen würde. Drei dreckig-gelbe, Einsfünfzig grosse „Zöri-Bärchen“ für je 550.-. Zwei Massage-Ledersessel mit Münzschlitz für je 350.-. Ein Feldschlösschen Wurststand-Stehtisch für 140.-. Dazwischen stolpere ich beinahe über die Beine eines Mannes, der wie ein Automech unter einem antiken Tisch liegt und die Platte abklopft.

Als ich quer durch den Raum zu einem Pärchen blicke, welches gerade die Vor- und Nachteile eines Bauernschrankes auflistet, entdecke ich endlich etwas, was viel versprechend aussieht: ein Stapel mit VHS-Kassetten!

Zwei Trainings-Videos vom „No 1 Golfcoach“ David Leadbetter, die Highlights der Eishockey-WM 1985 und Disney’s „Susi & Strolch“. Und dann: Volltreffer! Ein Einführungs-Video zur neuen Mercedes C-Klasse, von 1993. Und die Zusammenfassung des 5. Internationalen Polizei-Musik-Festival in Zürich von 1989. Das kann nur gut sein. Ich kaufe die beiden Kassetten für 3 Franken! Bargain!

Zuhause setzt ich mich mit einer Tasse Kaffee vor die Glotze und schieb das erste Video in den VHS-Spieler: „Lehnen sie sich zurück und lassen sie sich in die Welt der C-Klasse verführen!“ So werde ich es machen. Der Film geht 25 Minuten und soll dem Käufer die wichtigsten Handgriffe und Kniffs seines Autos auf locker flockige Art rüberbringen. Das sieht dann so aus: eine Dame betritt die Mercedes-Vertretung und wird vom Händler auf eine Spritztour geführt. Während ebendieser erklärt er der Käuferin dann alle Knöpfe und Hebelchen am Mercedes. Der Streifen ist miserabel synchronisiert, im Hintergrund trällert Info-Channel-E-Piano-Musik und die Bildqualität erinnert irgendwie an einen Gina Wild-Porno (fragt jetzt nicht). Dies ist womöglich der Grund, weshalb ich das Gefühl nicht loswerde, dass die Beiden da früher oder später noch anfangen könnten, die Beinfreiheit der Rückbank zu testen. Zu meiner Erleichterung haucht die Käuferin dann aber lediglich ein „Er fährt sich schön leicht, toll!“ in die Kamera.

Danach widme ich mich der Polizei-Musik. 60 min in Farbe, steht auf der Hülle, plus ein Hinweis, dass ein solches Festival dabei helfen könne, das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Polizei zu verbessern. Mit Blasmusik?!? … „am Füddle hinger isch fischter“, würde mein Vater dazu nur sagen.

Schnell einmal merke ich, dass dieses Video am meisten Spass macht, wenn man es im Vorspulmodus anschaut. So kucke ich ein Weilchen zu, wie verschiedene Polizei-Orchester wie South Park-Figuren übers Grün des alten Letzigrund wackeln. Köstlich! Nicht minder amüsant sind die Programmauflockerungen dazwischen: Dauerwellen frisierte Polizeihostessen als Mannequins, Polizeihund Tasso als „Solist“ (ach, ich liebe diese Art von Humor) und eine Töff-Pyramide aus orange gekleideten Verkehrpolizisten.

Nach 45 min hängt mir die Marschmusik ganz schön zu den Ohren raus. Zudem habe ich auch nicht wirklich das Gefühl, dass dieses Video jetzt meine Einstellung zu Ordnungshütern signifikant verändert hätte. Um das Taramtamtam aus dem Kopf zu kriegen, beschliesse deshalb noch einmal den Beinahe-Porno von Mercedes zu kucken: „Darf ich jetzt losfahren?“ „Aber klar, das Tor geht gleich auf!“