Richard Ashcroft (deutsch)
Silvan Gertsch - Students.ch unterhielt sich mit der Britpop-Ikone Richard Ashcroft vor dessen Auftritt im Volkshaus über die Vogelgrippe und introvertierte Rockstars. Deutsche Version. Music is power: Richard Ashcroft!Students.ch: Wie würde die Welt aussehen, wenn du tatsächlich “the keys t...
Music is power: Richard Ashcroft!
Students.ch: Wie würde die Welt aussehen, wenn du tatsächlich “the keys to the world” besitzen würdest?
Richard Ashcroft: (lacht) Nun, die Sache ist die, dass es keine perfekte Welt wäre weil wir definitiv nicht verstehen würden, worum es bei Perfektion, Enttäuschung oder Aufregung geht. Im Song „Keys to the World“ auf dem Album spricht der Erzähler zu jemandem, der durch eine wirklich harte Zeit gegangen ist und der sagt: “Ich besitze die Schlüssel zur Welt. Ich habe alles!“ Aber was sollen wir machen, wenn wir dorthin gelangen? Die Welt ist ein korrupter und selbstmörderischer Ort. Es gibt Leute, die darauf vorbereitet sind, im Namen der Religion Selbstmord zu begehen. Die Welt selber begeht auch Suizid. Was du finden musst, ist Erlösung. Und genau deshalb ist Musik Kraft. Es geht darum, Musik zu hören, zu performen und darüber nachzudenken. Es gibt keinen Schlüssel, keinen spezifischen Schlüssel. Es geht nur darum, seinen individuellen Weg durch das Leben zu finden.
Bist du religiös?
Ich liebe Jesus Christus, aber was in seinem Namen geschehen ist, ist eine andere Sache. Leute haben Jesus Christus entführt. Ich folge keiner religiösen Doktrin, aber ich bewundere einzelne religiöse Figuren wie Franz von Assisi. Ich verspüre grosse Liebe gegenüber solchen Leuten. Ich halte Ausschau danach, was Leute in einem religiösen Moment finden. Ich denke, dass ich dies durch die Musik finde. Musik ist der Schlüssel zu einem Ort, an dem mit Schmerzen umgegangen werden kann, einem neuen Ort der Ekstase. Leute erhalten eine religiöse Ekstase.
Du bist jetzt seit einiger Zeit unterwegs…
Ja, das geht schon eine Weile so. Aber nicht so lange wie bei Neil Young oder Bob Dylan. Dylan veröffentlichte eines der besten Alben dieses Jahres. Das gibt mir Hoffnung, dass ich noch nicht einmal begonnen habe.
Denkst du das wirklich?
Ja, auf eine gewisse Art und Weise schon. Ich denke nicht, dass ich die besten Songs schon bereits geschrieben habe.
Du betrachtest diejenigen auf Urban Hymns also nicht als deine besten Songs?
Das sind meine Songs. Ich habe sie geschrieben. Wenn du Urban Hymns anschaust, dann steht da: Geschrieben von Richard Ashcroft. Es heisst nicht, dass die von The Verve stammen, sondern sie sind von mir. Es sind grossartige Songs, es geht auch nicht darum, diese zu toppen. Viel mehr geht es darum, sich in verschiedene Richtungen zu bewegen und verschiedene Farben auszuprobieren. Ich sage nie, dass jedes Album besser wird, es geht immer ums gleiche. Ich denke, dies ist das Problem: Jedermann will ein Comeback, jeder will irgend etwas sein. Wenn ich sterbe, sollen alle Songs zusammen als eine Einheit wahrgenommen werden.
Und die Plattenfirma wird ein Greatest Hits Album daraus machen.
(lacht) Genau. Oder ein Box Set...
In deiner Biographie steht, dass du eine schüchterne und introvertierte Person seist. Wie passt das mit deinem Leben als Rockstar zusammen?
Keine Ahnung, was Rockstar bedeutet. Rockstar ist etwas, das in den 70ern kreiert wurde. Ich weiss nicht, was das alles bedeutet. Ich schreibe nur Songs, ich spiele sie live, ich reise, ich bringe meine Söhne zur Schule, manchmal verliere ich meinen Verstand, ich bin deprimiert, aufgeregt. Manchmal bin ich glücklich. Es gibt keinen Unterschied zwischen mir und jemand anderem.
Ist es richtig, dass die Songs auf der Verve-Platte Urban Hymns drogenlastig sind?
Drogenlastig? Nicht wirklich. Ich denke, das trifft auf das zweite Album Northern Soul zu. Aber nicht auf Urban Hymns. Der Songwriter-Ansatz war der gleiche, die Musiker verschieden. Der Produzent ist immer noch der selbe geblieben.
Was würdest du als deinen bisherigen musikalischen Höhepunkt bezeichnen?
Die Songs zu schreiben um mit den Leuten zu kommunizieren, Leute zu berühren, die Eier zu haben, gewisse Linien zu singen. Es ist einfach, eine kleine Band oder ein kleiner Songwriter zu sein, der zehn Songs und 50 Fans hat. All dies auf die Bühnen dieser Welt hinauszutragen ist eine andere Angelegenheit. Dies zu tun, ist grossartig. Es ist etwas, an das ich glaube. Mich hat nie jemand gestylet, niemand hat mich je angezogen, niemand hat mir je gesagt, was ich sagen soll und niemand hat mir je gesagt, was ich singen soll. Das ist das grösste: Es muss für dich selber stimmen.
Du sagtest, dass 2006 ein gutes Jahr werden könnte, wenn wir alle die Vogelgrippe überleben. Das Jahr ist fast vorüber...
All die Vögel sind noch nicht angekommen. Musikalisch war es ein superbes Jahr, es ging nur vorwärts. Mit diesem Album habe ich einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Meine Gruppe an Fans ist weltweit angewachsen, was brillant ist. Das ist aufregend für die nächste Platte. Ich denke, die Geschichte wird sagen, wie merkwürdig es ist, dass ein Typ all diese Songs geschrieben hat. Es wäre interessant gewesen, zu sehen, was passiert wäre wenn die Songs auf Urban Hymns meine erste Solo-CD geworden wären. Ich freue mich auch aufs nächste Jahr, weil dann meine neue Platte rauskommen wird.
Würdest du also sagen, dass du zur Zeit ein „lucky man“ bist?
Oh ja. Nur schon, dass ich immer noch hier bin, dass ich zu euch sprechen kann, dass ich ein Konzert weit weg von zuhause spielen kann, dass die Leute Tickets gekauft haben – das ist unglaublich. Ich habe eine Familie, eine Frau, eine Karriere. Natürlich bin ich ein glücklicher Mensch. Will jemand eine Zigarette? Ein Bier?
Vielen Dank, Richard.
Es war mir eine Freude.