Gomorra - Review und grosse Verlosung
Alexander Haab - „Wir sind im Krieg“ – diese Worte stammen weder aus dem Irak noch aus einer anderen Krisenregion, über die regelmässig in den Abendnachrichten über Gebühr berichtet wird, sondern aus unserem südlichen Nachbarland. Dort gibt es natürlich keine Armeeflugzeuge oder Panze...
Gomorra blickt nicht auf die Drahtzieher, die Bosse, die alle „Aktivitäten“ der Organisation koordinieren, sondern zeigt, wie die kommune Bevölkerung Neapels tagtäglich mit dem Treiben der Camorra unvermeidbar konfrontiert wird. Da wäre einmal Roberto (Carmine Paternoster), ein Universitätsabsolvent, der – wie unzählige andere auch – arbeitslos ist und weiss, dass es ohne „Beziehung“ keine Arbeit gibt und nun in ein Dilemma zwischen finanzieller Sicherheit und reinem Gewissen gerät. Oder beispielsweise Totò (Salvatore Abruzzese), ein 13-jähriger Junge, der ohne Vater in einem Wohnblock überdimensionalen Ausmasses aufwächst, wo ein eigener Mikrokosmos herrscht, wo zwei verfeindete Banden eine Fehde am Laufen haben. Totò muss realisieren, dass an gewissen Orten Diplomatie nicht erwünscht ist, denn „entweder bist du für uns oder gegen uns“. Ausserdem gibt es noch Marco und Ciro (Marco Macor, Ciro Petrone), die eigentlich lieber ihr eigenes Ding drehen und sich einen Jux daraus machen, der Mafia manchmal dazwischenzufunken. Mit dem Alta-Moda-Schneider Pasquale und dem Mafia-Buchhalter und Verwalter zahlreicher Bündel Euronoten Don Ciro sind es fünf Menschen mit ihren fünf Geschichten, die zwar im Verlauf des Films nicht miteinander verflochten werden, aber demonstrieren, wie mannigfaltig die Einwohnerschaft Neapels arbeitet, leibt und lebt und sich dennoch dem Kontakt zur ein und derselben Organisation nicht entziehen kann. Die Tätigkeit der Camorra tangiert vielerlei alltägliche, primär nicht mafiös anmutende Branchen – sie erstreckt sich von der Herstellung von Designermode über den Blumenhandel bis zur Müllentsorgung. Geld – „Geld kommt immer an erster Stelle“ – und Waffen – keine kriminelle Organisation in Europa hat mehr Menschen ermordet als die Camorra – sind das tägliche Brot der Camorristi. Dementsprechend krude und unzimperlich fällt die Verfilmung aus, die man wohl am ehesten der Kategorie Dokumentarfilm zuordnen kann, obwohl die einzelnen Protagonisten fiktiv sind.
Basierend auf dem Bestseller von Roberto Saviano, der auf wahren Begebenheiten beruht, was dazu führte, dass Saviano nun unter Polizeischutz lebt, entstand ein Film, der den Zuschauer in eine derart fremde Welt – in das Reich der Camorra – entführt, dass man sich fast krampfhaft vergegenwärtigen muss, dass diese disparate Welt nur einige hundert Kilometer ennet der Schweizer Grenze liegt. Da fünf Geschichten erzählt werden, kommen ein bisschen gar viele Charaktere vor, so dass man guter Konzentration sein muss, um dem Film zu folgen. Gomorra bietet anspruchsvolle Unterhaltung für Leute die nicht die Augen verschliessen, dafür einen tiefgründigen, nachhaltigen Eindruck der Zustände in Neapel erhaschen wollen. Gomorra wurde mit dem Grossen Preis der Jury am Filmfestival in Cannes ausgezeichnet und macht auf eindrückliche Art und Weise bewusst, dass Untergrundorganisationen auch noch im Jahr 2008 fest in der Gesellschaft und der Region verankert sind und dass Sensibilisierungsarbeit auch im Nachbarland dringend nötig ist.
Bewertung: 3.5 von 5
- Originaltitel: Gomorra
- Dauer: 135 Minuten
- Land: Italien
- Regie: Matteo Garrone
- Darsteller: Carmine Paternoster, Salvatore Abruzzese, Marco Macor, Ciro Petrone
- Verleih: Filmcoopi
- Start: 23.10.2008
- Webseite: www.gomorrha-derfilm.de