Bob Dylan - The Bootleg Series, Vol. 8: Tell Tale Signs – Rare and Unreleased 1989-2006
Philipp Ramer - „Many of my records are more or less blueprints for the songs“, sagte Bob Dylan vor langen Jahren in einem Interview. Ein Statement, das seine Gültigkeit bis heute bewahrt hat. Dylans Lieder, wie sie auf seinen Alben zu hören sind, sind Blaupausen, Entwürfe, Skizzen. Es si...
Die vorliegende Doppel-CD ist bereits die 8. Folge dieser Serie: Unter dem Namen Tell Tale Signs erschliesst sie Rares und Unveröffentlichtes aus den Jahren 1989-2006. In diesem Zeitraum, der interessanten Schaffensperiode des Comebacks nach dem alkoholbedingten Absturz der 80er-Jahre, sind die Alben Oh Mercy (1989), World Gone Wrong (1993), Time Out Of Mind (1997), Love And Theft (2001) und zuletzt Modern Times (2006) erschienen. Die Bootleg-Kollektion enthält 27 Lieder, die im Kontext dieser Platten entstanden sind, sowie vereinzelte Beiträge zu Film-Soundtracks und eine Handvoll Live-Aufnahmen. Die erste CD beginnt mit einer wunderbar reduzierten Version von Mississippi, einem Song, der eigentlich auf Time out of Mind gehört hätte, vier Jahre später letztlich auf Love and Theft erschien. In dieser ruhigen Variante wird Dylans leicht kratziger, ausdrucksstarker Gesang allein von Daniel Lanois’ elektrischer Gitarre begleitet. Well my ship's been split to splinters and it's sinking fast , I'm drownin' in the poison, got no future, got no past lauten die trostlosen Lyrics – und doch schwingt in dem Klagelied durchweg eine Spur leisen Optimismus mit. Unweigerlich glaubt man Dylan, wenn er in der neunten Strophe singt: But my heart is not weary, it's light and it's free , I've got nothin' but affection for all those who've sailed with me. Eine ebenso entspannt-bluesige Version des Songs – diesmal allerdings mit Bandbegleitung – findet sich zu Beginn der zweiten CD. Allein der Vergleich dieser beiden unveröffentlichten Tracks mit dem etwas uninspiriert vertonten Mississippi von Love and Theft führt den effektiven Wert der Bootleg Series vor Augen. Weitere Offenbarungen sind etwa der Alternate Take von Most of the Time ab dem Album Oh Mercy (auf dem der Song mit einem Schleier aus sphärischen Klängen überzogen war), den Dylan hier im Alleingang mit Gitarre und Mundharmonika bestreitet, oder Red River Shore – ein für seine Unbekanntheit berühmter Song, der es aus rätselhaften Gründen nicht auf Time out of Mind schaffte. Eine eindrückliche, kraftvolle Blues-Rock-Live-Version von High Water steht als Highlight am Schluss der ersten CD. Die zweite Platte, insgesamt etwas countryesker geprägt, hat Perlen wie das Robert-Johnson-Stück 32-20 Blues, ein trauriges Altmännner-Cover von Jimmie Rodgers’ Miss the Mississippi (von den Bromberg Chicago Sessions) und, als würdigen Abschluss, das sorgsam orchestrierte ’Cross The Green Mountain vom Soundtrack zum Film Gods and Generals (2003) zu bieten.
Tell Tale Signs ermöglicht einen neuen Zugang zu Bob Dylans musikalischem Werk der vergangenen zwei Dekaden. Die Edition stellt zuweilen grandioses, auf jeden Fall immer interessantes und aufschlussreiches Songmaterial aus Dylans vorerst letzten grossen Schaffensperiode vor. Die CD ist gleichermassen dem Kenner zu empfehlen, der Einblick in die Entstehung und Variation der späten Meisterstücke gewinnen möchte, als auch dem Laien, der sich einen allgemeinen Überblick über das Spätwerk verschaffen will.