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10. November 2008, 11:11 Kultur

Hiroshi Sugimoto – Retrospektive

Sonja Gasser - Hiroshi Sugimotos Fotografien leben von Bedeutungsverschiebungen zwischen Illusion und Wirklichkeit. Zu bestaunen sind die grossformatigen Werke mit Bildwelten von faszinierender Schönheit und bizarrer Starrheit vom 25.10.2008 bis zum 25.01.2009 im Kunstmuseum Luzern. Zum letzt...


Hiroshi Sugimotos Fotografien leben von Bedeutungsverschiebungen zwischen Illusion und Wirklichkeit. Zu bestaunen sind die grossformatigen Werke mit Bildwelten von faszinierender Schönheit und bizarrer Starrheit vom 25.10.2008 bis zum 25.01.2009 im Kunstmuseum Luzern. Zum letzten Mal ist diese Ausstellung zu sehen, die bereits in Düsseldorf, Salzburg und Berlin gezeigt worden ist. Präsentiert werden eindrückliche Schwarz-Weiss-Fotografien aus dem seriellen Schaffen des 1948 in Tokyo geborenen, in New York lebenden, Künstlers.

Hiroshi Sugimoto, Polar Bear (Detail), 1967, Silbergelatineabzug, 119,4 x 149,2 cm.

In grösster technischer und bildgestalterischer Perfektion hat Sugimoto einen Eisbären, der soeben eine Robbe erlegt hat, sowie andere Tierszenen festgehalten. Obwohl die Fotografien sehr überzeugen, haftet den Bildern dieser Serie etwas Irritierendes an: Zu ausgewogen für eine zufällig angetroffene Gegebenheit wirkt die Komposition der Tiere in der Landschaft. Dieses seltsame Beklemmen lösen auch die Werke aus der Serie Portraits aus. Voller Lebendigkeit scheinen die Persönlichkeiten in ihren Kostümen aus Zeiten lange vor der Erfindung der Fotografie in den Raum zu blicken. Nicht nur die altertümliche Kleidung befremdet – aus geringer Distanz betrachtet, verlieren die Gesichter an Natürlichkeit.

Wer den Entstehungsprozess der Fotografien kennt, versteht, wo diese unterschwelligen Unstimmigkeiten herrühren. Die unvoreingenommene Vermutung, die Tiere seien in der freien Natur fotografiert worden, führt in die Irre. Im New Yorker American Museum of Natural History sind ausgestopfte Tiere vor Landschaftskulissen aufgebaut worden und damit ein Stück in ihre angestammte Lebenswelt zurückgebracht worden. Mit dem Ablichten dieser Dioramen und der damit einhergehenden Transformation in das Medium der Fotografie gewinnen die künstlichen Szenen weiter an scheinbarer Lebensrealität. Sugimoto spielt damit, zunächst als natürliche Begebenheiten wahrgenommene Tatsachen in konstruierte Bildwelten kippen zu lassen.

Hiroshi Sugimoto, Henry VIII, 1999, Silbergelatineabzug, 93,7 x 74,9 cm.

Ähnlich wie die Fotografien in der Serie Dioramas funktionieren die Porträts. Nach Gemälden aus dem 16. Jahrhundert wurden in Wachsfigurenkabinetten Persönlichkeiten nachgebaut. Vor schwarzem Hintergrund abgelichtet bringt Sugimoto Heinrich VIII. und andere historische Gestalten lebensecht wirkend in die flache Bildwelt zurück. Auch wenn Sugimotos vorerst überzeugend erscheinenden Fotografien der Tierszenen und Porträts sich als künstlich erweisen, darf nicht von Fälschungen die Rede sein. Sugimoto lässt die Täuschung bewusst nicht allzu offensichtlich in Erscheinung treten, verschweigt sie aber keinesfalls vollständig. Vielmehr soll der Betrachter selbst verblüfft das irritierende Moment erfahren, in dem er auf das Konstruierte des Bildes aufmerksam wird.

Vom Spannungsverhältnis zwischen real und irreal leben auch die Seascapes. Auf der Suche nach einer Sichtweise, die für den Menschen seit der Urzeit bis heute unverändert dieselbe war, stiess Sugimoto auf das Meer. Die genaue Ortsangabe im Bildtitel suggeriert zwar die Fotografie eines Meeres, die Aufnahmetechnik mit der exakten Positionierung der Horizontlinie in der Mitte erinnert jedoch an ein abstraktes Bild. Obwohl formal allen Bildern dasselbe Gestaltungsprinzip zugrunde liegt, unterscheidet sich jede Meerfotografie von der andern. Unterschiedliche Tageszeiten und Witterungsbedingungen sorgen für verschiedene Tonwerte von Himmel und Meer sowie für von scharf bis diffus verlaufende Horizontlinien. In eine Reihenfolge gebracht kann von den Bildern eine Geschichte vom Verlauf der Zeit abgelesen werden.

Hiroshi Sugimoto, Ohio Theater, Ohio, 1980, Silbergelatineabzug, 119,4 x 149,2 cm.

Zeit spielt eine wichtige Rolle in Sugimotos Schaffen. Die Seascapes thematisieren das Überdauern und Vorübergehen von Zeit, die Portraits vergegenwärtigen die Geschichtlichkeit. In der Serie Theaters hingegen wird die Zeit festgehalten: Sugimoto liess für die Dauer der Vorführung in Filmtheatern und Open-Air-Kinos die Kamerablende geöffnet. Der in der gesamten Länge auf ein einziges Foto gebannte Film hat sich zu einer weiss leuchtenden Rechtecksfläche summiert. Das von der Leinwand indirekt in den Raum gestreute Licht sorgt für ungewöhnliche Beleuchtungseffekte in den üppig ausgestatteten Filmtheatern. Hier, wo auf den Fotografien selbst die dunkelsten Stellen noch durchzeichnet sind, kommt die Qualität der Silbergelatineabzüge mit dem breiten Spektrum von Tonwertstufen imposant zum Tragen. Der Standort der Theater ist unbedeutend, obwohl die Ortsangaben wie bei den Seascapes in den Bildtiteln erfolgen. Im Vordergrund steht die Idee, einen Film in seiner gesamten Länge auf eine einzige Fotografie komprimieren zu können.

Licht und Dunkelheit in Form von Schatten untersucht Sugimoto in der Serie Colours of Shadow. In den Räumen eines Penthouses in Tokio beobachtete er das Spiel von Licht und Schatten. Wieder weisen die von rechteckigen und winkligen Flächen geprägten Fotografien ins Abstrakte. Dafür werden in der Serie Conceptual Forms abstrakte mathematische Formeln räumlich greifbar. In Form von Gipsmodellen werden diese, ins rechte Licht gerückt, zu monumentalen Skulpturen inszeniert. Erneut wird deutlich, dass es Sugimoto nie darum geht, Gegenstände abzubilden. Wieder ist es die Idee von trügerischem Schein und weitaus banalerem Sein. Sugimotos Arbeit entsteht immer aus einem Reifeprozess heraus. Was er mit seiner Grossbildkamera aus dem späten 19. Jahrhundert belichtet, ist das Resultat langer Vorüberlegungen. So erweist sich die vermeintliche Skulptur als ein Relikt aus dem Zeitalter des mathematischen Modellbaus um 1900, das Sugimoto an der Universität von Tokyo aufgespürt hat.

Hiroshi Sugimoto, Mathematical Form: Surface 0006, 2004, Kuen’s Surface: a surface with constant negative curvature, Silbergelatineabzug, 149,2 x 119,4 cm.

Bestechen Sugimotos Fotografien sonst durch ihre von der Tiefenschärfe bedingte Klarheit, ist es bei der Serie Architecture gerade die Unschärfe, die eine neue Wirkungsdimension erschafft. Die verschwommenen Umrisse der zu Ikonen der modernen Architektur gewordenen Gebäude stehen für die vage Vorstellung, die der Architekt zu Beginn von seinem Bauwerk hatte.

Sugimotos Fotografien sind handwerklich perfekt ausgeführt und irritieren dennoch im Detail. Geringste optische Störungen sind sorgfältig wegretuschiert, feinste Grauwertdifferenzierungen und extreme Detailschärfen sorgen für eine ausgeprägte Bildtiefe. Statt die materielle Welt zu dokumentieren, fotografiert Sugimoto Dinge, die weder sicht- noch greifbar sind, sondern auf gedanklicher Ebene existieren. Die Ideen, die dahinter stecken, verleihen den Werken Substanz. In der Serie wird die Aussage eines Einzelbildes verstärkt. Nicht nur im Kontrast von Schwarz und Weiss ist in Sugimotos Werk Zweipoligkeit präsent: Wahrnehmungsverschiebungen von gegenständlich zu abstrakt, von real zu künstlich sorgen für Spannungsverhältnisse in den Bildern. Die Realität von Sugimotos Bildern befindet sich irgendwo am Übergang von Existenz und Nichtexistenz.

Mehr Infos:

http://www.kunstmuseumluzern.ch
http://www.sugimotohiroshi.com

Quellen:

Kunstmuseum Luzern
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