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13. November 2008, 09:39 Music Interview

Interview: Die Toten Hosen

Silvan Gertsch - Nichts da von Ruhe: Sänger Campino von den Toten Hosen spricht im Interview über das neue Album "In aller Stille", über Discos und über seine Ausflüge in die Schauspielerei.In der neuen Single singst du: „Alles steht unter Strom, vom ersten bis zum letzten Ton.“ Kann man...

Nichts da von Ruhe: Sänger Campino von den Toten Hosen spricht im Interview über das neue Album "In aller Stille", über Discos und über seine Ausflüge in die Schauspielerei.

In der neuen Single singst du: „Alles steht unter Strom, vom ersten bis zum letzten Ton.“ Kann man diese Textzeile als Motto des Albums verstehen?Campino: Für mich war das Motto des Albums immer Energie. Nach dem für uns schönen Unplugged-Erlebnis und nach der etwas verunglückten Studioplatte „Zurück zum Glück“, auf der wir sehr viele Kompromisse eingegangen sind und ein paar Lückenfüller zu viel darauf hatten, wollte ich, dass wir in Bezug auf die Auswahl der Lieder wieder strenger mit uns werden. Und dass wir wieder zu einer Energie zurückfinden, die uns sehr lange ausgemacht hat. Wir sollten nicht irgendetwas vorgeben zu sein, was wir gar nicht sind.

Der Titel des Albums ist ziemlich irreführend: „In aller Stille“.Aber er passt zu unserer „Machmallauter-Tour“. Und die Leute merken ja beim ersten Hördurchlauf, dass genau das Gegenteil auf das Album zutrifft.

Also ist es eine bewusste Provokation?Wir wollten dieses Mal einfach nicht so grossschnautzig daher kommen. Die Alternative zum jetzigen Titel wäre gewesen: „Am Anfang war der Lärm.“ Und da steckt ein gewisses Pathos drin. Damit spielen wir eigentlich immer gerne rum, aber dieses Mal wollten wir das nicht. Irgendwie war es angebracht, bescheidener aufzutreten.

Hängt das mit dem Alter zusammen?Das wäre ein wenig zu weit hergeholt. Alles, was man neu herausbringt, hat etwas mit einer Entwicklung zu tun. Ich würde mein Alter auch immer mitnehmen und nie versuchen, das Reifen, das Älterwerden vor der Haustüre zu lassen. Das kann nicht gut gehen. Man wird beispielsweise Nick Cave nie nach dem Alter fragen oder ob er daran denkt, aufzuhören. Bei Nick Cave rechnet man immer damit, dass er bald wieder einen richtigen Knaller bringt.

Das Album beginnt laut und rockig. Die ersten beiden Songs sind kompromisslos, haben aber textlich den Beigeschmack einer „Wiederauferstehung“.Das erste Lied, „Strom“, ist ein programmatischer Titel. Es ist eine Botschaft an alle Anhänger, dass sie sich keine Sorgen um uns machen müssen. Und „Innen ist alles neu“ ist eher ein ironischer Blick auf eine Situation, die jeder kennt. Man ist gut drauf, fühlt sich prima und wird überall, wo man hinkommt, angequatscht: „Mann, du siehst aber schlecht aus. Was ist denn mit dir passiert?“ Man hat halt manchmal ein Selbstbild, das extrem anders ist als das, was die Leute von einem glauben.

Die Tournee zum Album ist so gut wie ausverkauft. Die Nachfrage nach den Toten Hosen ist riesig. Worauf führt ihr das zurück?Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Tickets so schnell weggegangen sind wie noch nie. Das erfüllt uns alle mit grosser Freude. Wir sehen das als einen Vertrauensvorschuss. Die Leute haben uns in guter Erinnerung und wir wollen ihnen dafür etwas zurückgeben. Das beste wäre, wenn die Menschen nach den Konzerten nach Hause fahren und sagen: Das war toll, da gehen wir beim nächsten Mal wieder hin. Wir haben aber auch schlimme Zeiten erlebt und Denkzettel verpasst bekommen in der Vergangenheit. Ein Schlüsselmoment war das 1000. Konzert als in der Masse ein Mädchen erdrückt wurde. Das lässt einen auf die Bremse gehen in Bezug auf die Euphorie, was Menschenmengen angeht. Da fragten wir uns: „Geht’s eigentlich immer nur um Rekorde?“

Auf dem Album stechen zwei Songs besonders heraus. Der eine ist „Disco“, mit seinem für euch ungewohnten Beat. Der kam aus Spass zustande. Discomusik hat ja auch gewisse Parallelen zu Punkrock. In beiden Metiers wird nicht besonders viel Wert auf Soli gelegt. Und man bezieht eine gewisse Kraft aus diesen nicht selten simpel aufgebauten Stilen. Ich habe ein total ambivalentes Verhältnis zu Discos. Ich geh da immer gerne hin. Und wenn man mal bei Sven Väth war und acht Stunden durchgetanzt hat, dann geht man ähnlich geschafft nach Hause, wie nach einem Rockkonzert.

Du bist aber auch einer, der dort hingeht um zu tanzen? Im Song erwähnst du ja auch die „Rumsteher“.Ich brauch zwei, drei Drinks und die Musik muss auch gut sein – dann tanze ich. In den besten Momenten kann Disco sexy sein. In den schlechtesten ist sie nur ekelig. Zwischen diesen Polen springt man mit seiner Wahrnehmung hin und her.

Der zweite Song, der auffällt, ist „Auflösen“. Wem gehört die weibliche Stimme?Das ist die Schauspielerin Birgit Minichmayr. Ein absoluter Star in Österreich, die auch oft in Zürich und in Berlin Theater spielt. Ihre Leidenschaft ist die Bühne und manchmal dreht sie auch einen Film. Mit ihr zusammen habe ich in der Dreigroschenoper gespielt. Wir haben viel zusammen geprobt und Lieder gesungen. Und als ich sie gehört habe, da wusste ich, dass das die Stimme ist, auf die ich so lange gewartet habe. Ich wollte schon immer mal ein Duett aufnehmen. Aber mir fehlte die richtige Frau dafür. Als ich Birgit getroffen habe, wusste ich: Jetzt oder nie.

Sie kommt eher aus der Schauspiel-Ecke, nicht aus der Musik?Ja, aber sie hat eine tolle Stimme. Sie ist Schauspielerin aus Leidenschaft, sie wird nie Sängerin werden. Das macht sie nur nebenbei. Birgit ist wahnsinnig, die spielt fünf Tage in der Woche Theater. Ein Maniac, ein Workaholic.

Wars schwierig, sie zum Mitsingen zu überzeugen?Nein, das nicht. Sie singt gerne und ist manchmal auch ein Chaot. Sie hat Lust auf Experimente und hatte grossen Spass an dieser Sache.

Brauchst du solche Engagements wie jenes in der Dreigroschenoper oder wie die Hauptrolle im Film „Palermo Shooting“ von Wim Wenders als Ausgleich zum Beruf als Sänger?Ich mache solche Ausflüge immer als Lernender und denke, dass dieses grosse Feld, Sprache, Satzbau und Timing, auf das ich dort treffe, auch für mich als Livemusiker von Interesse ist. Als Sänger muss ich vor Tausenden von Leuten Ansagen machen auf der Bühne. Ich bin überzeugt, dass ich aus solchen Projekten auch immer etwas mitnehme, was ich für die Toten Hosen brauchen kann. Andere Leute besuchen Seminare, um sich weiterzuentwickeln.

Mit Neugierde hat es nichts zu tun? Dass du auch mal in andere Berufsfelder Einblick nehmen willst?Nein. Es ist eine schöne Reise, eine schöne Art, die Ferien zu verbringen und hilft, die Band richtig einzuschätzen. Mir hilft das, zu spüren, dass ich dort, wo mich der Wind hingeweht hat, richtig bin. Nämlich im Proberaum der Toten Hosen. Wenn ich mit der Band auf eine Bühne gehe, spüre ich ganz schnell, dass ich mich wohlfühle. Als ob ich in meinem Wohnzimmer rumlaufe. Und diesen Zustand habe ich weder beim Theater noch beim Film gehabt. In den besten Momenten war das, als ob ich bei Freunden zuhause bin. Aber eben nie bei mir zuhause. Ich werde durch diese Ausflüge auch daran erinnert, wie schön es ist, mit den Jungs unterwegs zu sein und alles mit ihnen zu teilen.

Denkst du, du kannst dieses Wohnzimmer-Gefühl auf der Bühne oder im Film nie erreichen?Das wird schwierig werden. Ich bin ja auch ganz erfüllt von dem, was wir als Band machen. Ich bin nicht darauf aus, in der Schauspielerei Fuss zu fassen. Wenn jemand mit einem interessanten Stoff kommt und die Konstellation stimmt, dann wird der meine Nummer schon rauskriegen, und ich werde dabei sein. Aber es käme für mich nicht in Frage, mich durch einen Filmagenten vertreten zu lassen.

Zurück zur Musik. Auf Wikipedia steht: „Fast alle Texte sind in Umgangssprache verfasst und enthalten nicht selten vulgäre Ausdrücke.“ Amüsieren dich solche Verallgemeinerungen?Die Entwicklung des Internets ist krass. Vor drei Jahren war das noch nicht so. Die Leute haben heute blitzschnell Zugriff auf gewisse Quellen. Wenn da ein Fehler ist, dann rast der durchs Internet, da kann man nichts machen. Ich war kürzlich in einem Kloster, das wollte ich ganz privat halten, weil ich dort hin eingeladen worden bin. Auf meiner Reise in die Schweiz bin ich jetzt sechsmal auf diesen Besuch angesprochen worden. Das wird rasend schnell verbreitet. Aber Wikipedia hat ja auch seine guten Seiten und ich benutze die auch manchmal. Aber ich habe einfach nicht die Energie, falsche Sachen über uns zu korrigieren. So etwas belastet mich auch nicht.

Wie ordnest du das neue Album in Bezug auf die Musik in euer Gesamtwerk ein?Wir haben ein Jahr daran gearbeitet und es ist noch alles ganz frisch. Mir fehlt die nötige Distanz, um das fair zu beurteilen. Wenn da was schiefgegangen wäre, würde ich das momentan auch nicht wahrhaben wollen. Jetzt verteidige ich das erst mal wie eine Löwenmutter ihr Kind. Die Frage könnte ich in einem halben Jahr beantworten, wenn die Hektik vorbei ist. Wenn ich auf unser Gesamtwerk blicke, dann waren die „Auswärtsspiel“, die „Opium“ und die „Horrorshow“ für mich die Meilensteine, bei denen wir am besten waren. Und dann würde ich noch die „Learning English“ nehmen, die zwar nicht besonders kreativ war, weil wir nur Covers gespielt haben, aber sie erzählt viel über die Geschichte des Punkrock. Wenn ich jemandem begegne, der wissen will, was ich im Leben so gemacht habe, dann sind wären das die Alben, die ich ihm präsentiere.

Zum Release eures letzten Studioalbums „Zurück zum Glück“ habt ihr auf MTV die Sendung „Friss oder stirb“ ausgestrahlt. Sind dieses Mal ähnliche Sachen geplant?Nein, das war ein Experiment, ein Versuch mit Kamera. Wir haben diese ganz nah und intensiv an uns rankommen lassen. Deshalb waren wir auch froh, als die Kameras dann wieder verschwunden sind und das alles vorbei war.

Aber das Experiment ist geglückt?Ich denke, es ist spannend, diese Sendungen in zehn Jahren wieder anzuschauen. Ich hoffe, das entwickelt dann einen eigenen Charme. Ich war nicht unglücklich über dieses Experiment. Breiti hingegen hats genervt.

Die Toten Hosen

Die Toten Hosen - In aller Stille (erscheint am 14.11.2008)

Die Toten Hosen live: Am 1.12.2008 im Hallenstadion in Zürich (AUSVERKAUFT)

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