Die Toten Hosen - In Aller Stille
Silvan Gertsch - Auch die Toten Hosen haben eine Achillesverse. Eine unscheinbare, aber empfindliche und verwundbare Stelle. Da kann Campino auf der Single „Strom“ noch so laut schreien: „Am Tag als der Herr uns schuf, da hat er uns in Lärm getaucht!“ Der Lärm ist zwar auf dem neuen Stu...
Die Toten Hosen 2009? Da fallen in erster Linie die musikalischen Experimente auf, die von den Punkrock-Wurzeln wegführen. Der offensichtlichste Beweis ist wohl im Duett „Auflösen“ zu finden, das Campino mit der österreichischen Schauspielerin Birgit Minichmayr eingesungen hat. Die beiden Stimmen schmiegen sich kratzig aneinander. Und wann hat man den Hosen-Frontmann zuvor in solch relaxter Stimmung angetroffen? Alteingesessene Fanatiker werden auch bei „Disco“ im ersten Moment die Stirn runzeln. Eine nicht zu unterschätzende Portion Electro? Ein stampfender Beat zum Einstieg? Das sind nicht gerade die Eigenschaften, mit denen man die Toten Hosen bis anhin in Verbindung gebracht hat. Trotzdem stellt sich nach kurzer Zeit das altbekannte Gefühl der Vertrautheit ein, wenn man sich auf die direkten, mit Augenzwinkern vorgetragenen Worte fokussiert und die rockigen Elemente spätestens ab dem Refrain Überhand nehmen.
Die Texte – ein weiterer Faktor, der sich geändert hat. Wer sich auf die Suche nach dem obligaten Trinklied macht, der wird am Ende der CD resignieren. Natürlich sind Banalitäten („Leben ist tödlich“) nicht völlig über Bord geworfen worden. Aber die Inhalte sind insgesamt nachdenklicher und anspruchsvoller. „Ertrinken“ ist einer dieser Songs, welche die Songwriter-Qualitäten von Campino am deutlichsten unterstreichen: „Und jede Antwort fällt so schwer. Zieht uns tiefer rein ins Meer. Ich ertrink langsam in dir.“
Mit diesen Überraschungen ist allerdings nur ein Teil von „In Aller Stille“ abgehandelt. Der zweite Teil sind die energischen Rocksongs mit Melodien, vor denen es kein Entkommen gibt. Auf „Die letzte Schlacht“ geben sich die Toten Hosen kämpferisch wie zu den besten Zeiten. „Innen alles neu“ ist eine Kampfansage an alle, welche die Düsseldorfer Band verfrüht abgeschrieben haben. Und „Alles was war“ schliesst mit seiner schwermütigen, melancholischen Stimmung nahtlos an frühere Klassiker wie „Niemals einer Meinung“ oder „Paradies“ an. Das neue Album der Toten Hosen ist ein kraftvoller Fusstritt ans Schienbein all jener, die der aktuell grössten Deutschen Rockband seit Jahren Stillstand attestieren.