Maigret und die Alte
Christina Ruloff - Plötzlich sitzt da eine alte Dame in Maigrets Büro im Quai des Orfèvres – eine nette, charmante, etwas skurrile und vor allem selbstironische Alte, die gar nicht so alt wirkt. Madame Besson glaubt, man habe einen Mordanschlag auf sie verübt. Zwar musste ihr Dienstmädchen R...
Eine feine Gesellschaft sind die Bessons, man ahnt es. Was man nicht ahnen kann, ist wie durchtrieben und eigennützig sich alle Beteiligten in dieser makabren Geschichte verhalten. Maigret beziehungsweise Simenon schildert die üblichen Verdächtigen in den buntesten Farben und charakterisiert sie wieder einmal fabelhaft: Er interessiert sich weniger für den Mord als für die niedrigen Antriebe, Ressentiments, Ängste, Rachegelüste und Bosheiten, die die meisten Menschen umtreiben. Kein Wunder trinkt Maigret mehr als nur einen Calvados über den Durst, um einen klaren Kopf und die notwendige innere Ruhe zu behalten – das Menschenbild, das gezeichnet wird, ist schlicht vernichtend. Und nicht einmal das in der Jugend so geliebte Meer mit seinem weissen Schaum kann ihm noch eine Freude bereiten. Die Zeit vergeht, man lernt die Welt kennen und distanziert sich langsam aber sicher von allem – so scheint Simenon zu sagen.
Maigret und die alte Dame stimmt melancholisch, und liest sich in einem Zug. Denn wer einmal anfängt, legt das Werk nicht mehr aus der Hand. Das ist keine neue Erkenntnis, aber gerade in der Adventszeit ist es sinnvoll und wichtig, ein gutes Buch weiterempfehlen zu können.
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