Immanuel Kant @ Schauspielhaus
Jan Rothenberger - Ein kauziger Kant und sein Papagei reisen per Ozeandampfer nach Amerika? Das ist nicht das Befremdlichste an dieser Schweizer Erstaufführung. Immanuel Kant ist bekanntlich einer der einflussreichsten Philosophen der Aufklärung. In Matthias Hartmanns Inszenierung des gleichnamig...
Immanuel Kant ist bekanntlich einer der einflussreichsten Philosophen der Aufklärung. In Matthias Hartmanns Inszenierung des gleichnamigen Stücks von Thomas Bernhard ist davon nichts zu spüren. Kant (Michael Maertens) ist ein jähzornig-neurotischer Kauz, der nur Nonsens deklamiert. Er schikaniert vom Liegestuhl aus seine Umgebung und monologisiert sinnfrei vor sich hin. Sein einziger Vertrauter ist der Papagei Friedrich, den Kant für intelligenter als die meisten Professoren hält und dessen Aufgabe darin besteht, Kants Aussprüche krächzend zu wiederholen: „Imperativ, Imperativ!“ Um den berühmten Mann herum scharwenzeln dabei munter die üblichen Verdächtigen einer High-Society-Kreuzfahrtclique: Eine Millionärin, ein Kunstsammler, ein Kardinal, ein Admiral sowie eine Menge von Stewards und Bediensteten. Wer nach Möglichkeiten sucht, sich das Stück deutend zu erschliessen, bleibt stecken. Mit der Suche nach einer Interpretation ist man genauso auf dem falschen Dampfer wie Bernhards Figuren. Was sich an wiederkehrenden Motiven aus dem Gesamtwerk des Autoren auch auf dieses Stück in Anschlag bringen liesse, wird von der Inszenierung nicht gestützt. Was da auf der Bühne zu sehen ist, ist eine Irrfahrt, der kein Eisberg vergönnt ist. Die geistlosen Bewunderer, die der im fortgeschrittenen Zerfall befindliche Philosoph unwillkürlich um sich versammelt, deuten dabei an, was für Funktionen ein „Geistesmensch“ für die Gesellschaft haben kann. Dass der sie gar nicht wahrnimmt, sondern sich nur für seinen Papagei und sein Reiseziel interessiert, fällt ihnen dabei nicht auf. Kant, der Königsberg in Wirklichkeit nie verliess, hat sich auf die grosse Fahrt begeben, weil der grüne Star ihn erblinden lässt. Hilfe verspricht ein Besuch bei US-Ärzten unter dem Motto „Augenlicht für Kant – das Licht der Vernunft für Amerika“. Entsprechendes will seine Frau für ihn arrangiert haben. Bei der Ankunft in der neuen Welt hat sie jedoch eine böse Überraschung für ihren Mann vorbereitet.
Was „Immanuel Kant“ zu bieten hat, ist grosses Schauspiel-Theater. Wer sich nicht scheut, seine Erwartungen an einen Plot, verstehbare Figuren oder auch nur einen Zusammenhang mit dem historischen Kant vor der Vorstellung abzulegen, wird mit einer bis ins kleinste Detail liebevoll ausgestalteten Groteske belohnt. In Volker Hintermeiers tollem Bühnenbild – als Schiffsdeck dient eine unmerklich schwankende Plattform – kongregiert eine beeindruckende Schauspielerauswahl, die sich an Bernhards Text austoben darf und ihre Pointen treffsicher setzt. Einzig bei Maertens hat man das Gefühl, dass er nicht die Gelegenheit erhält, etwas wirklich spannendes mit seiner Figur anzustellen, sondern ein wenig gleichförmig bleiben muss. Besonders spektakulär ist dagegen Sunnyi Melles' Millionärin, die sich an jeden halbwegs wichtige Persönlichkeit heranschmeisst und nur neureiche Platitüden von sich gibt. Dabei ist jede ihrer stumpfen Aussagen so herrlich überdreht dargeboten, dass sie eine ganz eigene Komik entwickeln.