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24. Februar 2009, 10:12 Kolumnen

Verabschiedende MASSnahmen

Tian Hartmann - Torkelnd taste ich mich vorwärts. Der regennasse Schnee tropft unablässig auf meinen Kopf, die Sicht durch die verschmierten Brillengläser ist minimal. Die Lichter der wenigen Autos, die sich um diese unheilige Zeit noch auf den Strassen verirrt haben, verschwimmen vor meinen ...

Torkelnd taste ich mich vorwärts. Der regennasse Schnee tropft unablässig auf meinen Kopf, die Sicht durch die verschmierten Brillengläser ist minimal. Die Lichter der wenigen Autos, die sich um diese unheilige Zeit noch auf den Strassen verirrt haben, verschwimmen vor meinen Augen. Ich rutsche auf dem glitschigen Untergrund aus, schlage mir das Knie blutig. Halb kriechend, halb gehend bewege ich mich in unförmigen Schlangenlinien vorwärts, heimwärts. Ein Auto hupt, ich schwanke bedrohlich nahe der Fahrbahn. Noch wenige Meter bis zum Eingang im Hinterhof, bald werde ich es geschafft haben. Ein letztes Mal gleite ich auf der massiven Eisplatte vor der Tür aus, verfluche laut lallend den Hauswart, den Winter und überhaupt alles und knalle die Tür hinter mir ins Schloss. Im benachbarten Haus gehen die ersten Lichter an, schwarze, verschlafene Köpfe an den Fenstern. Davon merke ich nichts mehr, schleppe mich die Treppe zur Wohnung hoch und schliesse die Wohnungstür rekordverdächtig nach nur fünf Fehlversuchen auf. Kurz darauf liegen meine Kleider verteilt zwischen Flur, Küche und Bad und ich im Bett. Alles kreist. Allein der Gedanke an die kurze Nacht und das Erwachen am nächsten Morgen verursacht mir elende Kopfschmerzen.

„Trink nicht so viel in Berlin“, hatte mir mein Vater noch mahnend geraten. Werde ich bestimmt nicht tun, hab‘ ich gar nicht vor. Denn im Moment steht mir der Kopf überhaupt nicht nach Saufen, ganz und gar nicht. Und überhaupt, ich bin ja noch nicht einmal in Berlin. Noch torkle ich nächtens durch die Strassen Zürichs, kämpfe verzweifelt gegen die feindlichen Mächte in Form unzähliger Verabschiedungsfeten. Hier ein Freund, da eine Bekannte. Sie alle wollen ein letztes Mal anstossen, locken mit nur noch einem Bier, ein letztes geht noch... Wenn das so weitergeht, dann seh‘ ich schwarz.

„Liebes Internationales-Sekretariat der Soundso-Hochschule, Leider kann ich nun doch nicht als Austauschstudent nach Berlin kommen. Meine Leber hat die Verabschiedungszeremonien nicht überlebt und liegt nun zwecks Generalüberholung im Unispital zu Zürich; ich mit ihr.“

Ich weiss nicht, wie du das überlebt hast, Andi, bevor du nach Helsinki gegangen bist. Das Fortgehen ist ja eine Sache, das unbeschädigte Überleben des Verabschiedungsmarathons eine ganz andere. Bevor ich mir das nahende Auslandsemester lebertechnisch ans Bein streiche, sollte ich vielleicht etwas kürzer treten und priorisieren: Für gute Freunde gibts ein Mass, Kollegen haben Anspruch auf eine gemeinsame Stange. Von flüchtigen Bekannten lass ich mich gerne auf ein Hergöttli einladen und wenn du meinen Namen nicht kennst, dann führe mich nicht in Versuchung. Denn das Fleisch ist schwach, meine Leber aber wird’s dir danken.

Mein alter Herr soll sich mal keine Sorgen machen. Schlimmer geht’s nimmer.

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