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19. März 2009, 11:22 CD / Vinyl

Fiva – Rotwild

Daniel Gremli - Die Münchner Rapperin Fiva hat ein neues Album veröffentlicht: "Rotwild". Eine CD-Kritik als Chat-Gespräch. Urs: Also, Daniel. Ich habe mit präeruptiver Vorfreude die Folie von der neuen CD gerissen, um mir die 13 Tracks zur Gemüte zu führen. Welches ist Dein Lieblingstra...

Die Münchner Rapperin Fiva hat ein neues Album veröffentlicht: "Rotwild". Eine CD-Kritik als Chat-Gespräch.

Urs: Also, Daniel. Ich habe mit präeruptiver Vorfreude die Folie von der neuen CD gerissen, um mir die 13 Tracks zur Gemüte zu führen. Welches ist Dein Lieblingstrack?

Urs: Du Arsch.

Daniel: "Du Arsch" ist dein Lieblingstrack?

Urs: Nein, "Du Arsch" ist auf Dich bezogen. Und zudem ein Ausdruck eines Eisbrechers - denn der erste Track auf dem Album Rotwild scheint mir ein Rundumschlag-Diss gegen den "Sowieso Du" zu sein. Quasi ein musikalischer Chuck Norris Roundhouse-Kick. Aber gegen wen der Song wohl gerichtet ist? Das habe ich nicht geschnallt. Vielleicht, weil mich der Pseudo-Funk-Beat abgelenkt hat.

Daniel: Da kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen, Urs. Aber dein Ausdruck "Pseudo-Funk-Beat" ist ja dann quasi ein Roundhouse-Kick gegen den Produzenten Flip. Hast du etwas gegen Österreicher? (Flip kommt ja ursprünglich von der Linzer Crew Texta.)

Urs: Ich habe nichts gegen Flip - mitunter bin ich sogar süchtig nach den Flips von Snacketti. Linzertorten mag ich auch. Aber ich vermisse die Vielschichtigkeit der Radrum-Beats schon ein wenig (Radrum zeichnete sich ja für die Beats der letzten beiden Alben Spiegelschrift und Kopfhörer verantwortlich). Mich dünken die Flip-Instrumentals teilweise sehr aufgesetzt und dem komplexen Wortgeflecht Fivas nicht gewachsen. Wobei diese Kritik natürlich nicht auf alle Beats zutrifft.

Daniel: Ich muss dir da teilweise recht geben. Auch mir gefallen nicht alle Beats. Klar kommen & dreckig gehen ist da so ein Kandidat. Aber es hat auch ein paar Perlen darunter, wie zum Beispiel Immer noch. Ist übrigens einer meiner Lieblingstracks – um nochmal kurz auf deine einleitende Frage zurückzukommen. (Obwohl diese Frage eigentlich ja so was von Primarschule ist.) Daneben gefallen mir auch Kleinkunst und Will wollen sehr gut.

Urs: Du erwähnst Klar kommen & dreckig gehen als Negativbeispiel, aber irgendwie gefällt mir dieses elektronisch angehauchte Spacesynthesizer-Beat-Experiment zusammen mit der 70er Jahre Roboter-Verzerrstimme. Mit den Perlen muss ich Dir jedoch vollends Recht geben - Immer noch baut eine richtig gelungene Atmosphäre auf. Übrigens würde ich auch Goldfisch als Perle bezeichnen, sei es vom Beat oder vom Text her. Lila hat einen sehr minimalistischen Beat, der aber machtvoll die düstere, dunkle Atmosphäre stützt, während bei Will wollen das samtweiche Beat-Beet die ideale Grundlage bietet, auf welchem Fiva den blühenden Text bettet. Aber trotzdem schaffte es keines der Lieder, mir eine Gänsehaut zu verpassen - im Gegensatz zu Stücken auf dem letzten Album Kopfhörer.

Daniel: Goldfisch finde ich auch grosses Kino. Vor allem diese Textpassage: "...weil wir auch ohne koksen die Nase so voll hatten / von dem posigen Prollen auf proletigen Prollplatten / Und den peinlichen Pappmaché-Puppen in Postpubertät"

Urs: Haha, diese Textstelle habe ich mir auch rausgeschrieben!

Daniel: Das ist Telepathie. Wir sind füreinander geschaffen Urs.

Urs: Ich glaube Fiva ist einfach unser kleinstes gemeinsames Vielfaches. Ansonsten hasse ich Dich nämlich.

Urs: Müsste ich Dich beschreiben, träfe wohl "Hackbrett Schorsch" einigermassen zu.

Daniel: Der "Hackbrett Schorsch" aus Kleinkunst? Danke. Dann wärst du wohl der "Piano Joe" aus demselben Stück, um dir das Kompliment zurückzugeben. Aber auch wenn‘s dort um drei ziemliche Loser geht (die Dritte im Bunde dieser verhinderten Musiker ist "Melody Mandy"), war das bei mir genau so ein Gänsehaut-Stück, wie du es auf dieser Platte vermisst. Grosses Storytelling.

Urs: Also lieber "Piano Joe" als "Joe the Plumber". Stimmt, das Storytelling in dem Stück Kleinkunst ist erste Sahne, kommt aber nicht auf die Gefühlsebenen eines Liedes wie Zeit die mir bleibt oder Tief unten aus dem bereits erwähnten Album aus dem Jahr 1006 (zusammen mit Radrum).

Urs: Natürlich meinte ich das Jahr 2006.

Urs: Apropos Zeit: Ist Dir auch aufgefallen, dass sich Fiva inhaltlich seit dem letzten Album nahe zu den Mittdreissiger Torschusspanik-Gefilde hin bewegt hat? Sei es im Track Profi mit der Erwähnung von „Mamamamamaaa“, im Hauptstadtfieber mit der Erwähnung von Kindern im sozialen Umfeld der post-Generation X und 2000- Zeit oder dann in Will wollen, wo sie von Baum, Haus, Kind und Ring spricht?

Urs: Syntaktisch war mein letzter Abschnitt ein Griff ins Bahnhofsklo, aber gerade deshalb wirst Du es wohl schon verstanden haben….

Daniel: Auf die Alters-Sache wollte ich jetzt gerade auch eingehen. (Deshalb sollte ja dir das Album eigentlich besonders gut gefallen, bei deinem Alter...). Stimmt, ist mir auch aufgefallen. Auch Immer noch passt ein bisschen da rein, dort schwelgt Fiva in den guten alten Zeiten, als man Musikstücke noch "durch Bänderriss" verlor.

Urs: Wenigstens sammle ich beim Älterwerden Erfahrung und Weisheit und nicht nur Coop-Superpunkte durch Dosenbier. Wie dem auch sei, in einem Punkt muss ich Dir wieder zustimmen: In Immer noch läuten Trompeten-Fanfaren - welche mich an Delinquent Habits erinnerten - eine gelungene Retrospektive und Hommage an den Oldschool-Rap ein. Gefällt mir prächtig. Man mag an der Hoffnung festhalten, Fiva werde aber noch lange nicht müde. Apropos, wie gefällt die der namensgebende Track Müde? Mich hat der Pudding-Beat an Wobble-Sauce garniert mit G-Funk Knusperstückchen in seiner Drogerausch-Puff-Musik-Art schwer an Deichkind erinnert...

Daniel: Ist jetzt auch nicht gerade die Art von Beat, die ich auf einer Fiva-CD hören will. Aber textlich hervorragend (wie eigentlich fast alles auf diesem Album). Sehr poetisch. (Fiva hat ja übrigens vor kurzem einen Gedicht-Band herausgegeben, sehr empfehlenswert.) Aber bevor du mich mit deinem Pseudo-Musikkenner-Geschwurbel noch müder machst, als sich Fiva im gleichnamigen Stück darstellt, sollten wir langsam zum Schluss kommen: was ist denn aus deiner "präeruptiven Vorfreude" geworden? Eruptive Begeisterung oder nur ein dickflüssiger Magma-Strom an "Ich weiss nicht so recht, was ich von dieser CD halten soll"?

Urs: Nun, vielleicht fehlt mir das nötige Poesie-Gen oder ich habe mir die CD noch nicht ausgiebig genug zu Gemüte geführt, aber die präeruptive Vorfreude hat sich nicht in einem euphorischem Gewittersturm entfaltet. Es ist ein Geniesseralbum, durchaus. Und ich würde gerne "Ja, ich will!" brüllen, ich "will wollen".

Urs: "Aus uns kann nichts werden, weil wir schon was sind" rappt Fiva im letzten Track Es geht uns gut. Und jetzt habe ich vergessen, was ich eigentlich schreiben wollte. Irgend etwas Schlaues mit Lorbeeren und ausruhen.

Daniel: Ja, das passiert Menschen im fortgeschrittenen Alter halt manchmal.

Urs: Vielleicht sollte ich einfach mit dem chronischen Nörgeln aufhören, denn auch mir geht es gut. Und bald noch besser, wenn ich Dein wüstes Konterfei hier im MSN nicht mehr ansehen muss.

Daniel: Ich bin auch froh wenn du endlich wieder für eine Weile aus meinem Leben verschwindest. Aber um nochmal kurz zum Fiva-Album zurückzukommen: Nach dem grandiosen Kopfhörer waren wohl die Erwartungen bei mir wohl fast unermesslich hoch. Deshalb hat Rotwild gezwungenermassen einen schweren Stand. Aber ich finde es trotzdem ein gelungenes Album - auch wenn es nicht an Kopfhörer herankommt.

Urs: Obwohl meine Anna's Best Pizza fast auf der Tastatur landet weil ich beim Zugeständnis beinahe Mocken huste, muss ich Dir schon wieder recht geben. Da waren wohl auch meine Erwartungen nach dem Kopfhörer-Album zu hoch und vielleicht habe ich mich vom Wandel ("yes we can!") noch nicht anstecken lassen. Ich werde das gelungene neue Album jedoch garantiert noch des Öfteren meinen Gehörgängen anerbieten und kann es ehrlicherweise allen Kopf-Hörern uneingeschränkt empfehlen.

Denn verglichen mit anderen Veröffentlichungen, welche in die Sparte „Deutsch-Rap“ fallen hat Fiva mit ihrem neuen Album Rotwild deutlich gezeigt, dass sie ein eruptiver Poesie-Vulkan ist, in dessen Schatten selbsternannte „Rapkönige“ wie ein Teelicht erscheinen.

Von Urs Langenegger und Daniel Gremli.

Kommentare
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Gamus 20.04.2009 um 15:34
Habe mich übrigens mittlerweile vom Album anstecken lassen - die Fiva entfaltet sich in den Nacken-Nick-Muskeln, im Herz und im Kopf. Wunderbarer Silberling!