Interview mit Mando Diao
Philipp Ramer - «In den 60er Jahren wären wir fucking stars gewesen», meint Björn Dixgård über seine Retro-Rockband ‹Mando Diao›. Mag sein, doch im Prinzip geniessen die fünf Schweden auch zurzeit in Europa und Japan keinen geringeren Status. Dass sie sich dessen sehr wohl bewusst si...
«In den 60er Jahren wären wir fucking stars gewesen», meint Björn Dixgård über seine Retro-Rockband ‹Mando Diao›. Mag sein, doch im Prinzip geniessen die fünf Schweden auch zurzeit in Europa und Japan keinen geringeren Status. Dass sie sich dessen sehr wohl bewusst sind, davon zeugen unzählige Berichte über die Starallüren und Grossmäuligkeit der Jungs. Im Interview hingegen erweisen sich Dixgård und Bandkollege Samuel Giers als freundlich, und nahezu jede potentiell arrogante Aussage wird durch einen Nebensatz relativiert oder mit einem Augenzwinkern entschärft.
students.ch: Das neue Album «Give Me Fire» ist eure bisher abwechslungsreichste Platte, sie weist musikalische Einflüsse von Soul über Disco bis Jazz auf. Was hat euch veranlasst, mit so vielen verschiedenen, ungewohnten Musikstilen zu experimentieren?
Björn: Wir hatten dieses Bedürfnis im Grunde schon immer, bisher ist es aber höchstens auf unseren B-Sides zur Geltung gekommen. Wir haben diesmal hart gearbeitet, um auf einer ganzen LP breite musikalische Variation zu erzielen.
Samuel: Wir nahmen die Songs einzeln und in Abständen auf, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie sie zu einander passen würden. Am Ende war es schwer, eine Tracklist für das Album zusammenzustellen, aber wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Björn: Wir verfolgten keinen roten Faden, wir wollten das Album einfach wie einen Soundtrack zu einem guten Film gestalten.
Was für ein Film wäre das denn?
Björn: Am liebsten einer von Tarantino, oder etwas in der Art von «Twin Peaks».
Samuel: Ein Thriller-Horror-Movie mit einem Schuss Comedy...
Björn: (lacht) ...und ein paar Agenten!
Würdet ihr «Give Me Fire» mehr als ein Pop- oder Rockalbum beschreiben?
Samuel: Schwer zu sagen. Ich denke es ist ein Dance-Rock- oder Soul-Rockalbum. Bestimmt hat es einige Pop-Tracks darauf, aber insgesamt würde ich sagen, ein Rockalbum.
Björn: Yeah.
Und ihr als Band, würdet ihr euch eher als Pop- oder Rockband beschreiben?
Samuel: Ich denke wir sind eine Pop-Rockband. Wir schauen auf zu den ganzen Motown-Künstlern und würden gerne so spielen wie die, aber das ist unmöglich, denn wir sind nun mal nicht, ähm, schwarz (lacht). Aber wir versuchen’s halt, so gut es geht. Wir wollten auf dem neuen Album auch etwas mutiger sein, neue Sachen ausprobieren: Wir setzten zum Beispiel Streicher ein, um die Lieder souliger klingen zu lassen. Zudem haben wir die Salazar Brothers, die aus dem Hip-Hop-Umfeld kommen, als Produzenten engagiert. Sie haben eine andere Herangehensweise an die Musik. Wenn wir das Album alleine produziert hätten, wäre es bestimmt zu retromässig geworden. Dank ihnen aber hat es einen frischen Anstrich bekommen, der Sound ist «sharp». Sie haben viel Wert auf die Drums und den Bass gelegt und sie in den Vordergrund gemischt. Bei Aufnahmen aus den Sechzigern stehen besonders die Drums immer sehr im Hintergrund.
«Give Me Fire» ist oft mit dem «White Album» der Beatles verglichen worden, Gustaf hat es auch in die Nähe von «Exile On Main Street» von den Rolling Stones gerückt. Welcher Band fühlt ihr euch mehr verbunden, den Beatles oder den Stones?
Samuel: Den Beatles.
Björn: Yeah. Ich glaube allerdings, dass wir eher den Stones gleichen, um ehrlich zu sein.
Samuel: Besonders was das Songwriting angeht, wären wir gerne mehr wie die Beatles. Obwohl die Stones auch sehr tolle Songs geschrieben haben, «Satisfaction» beispielsweise, sehr simpel, sehr bluesig. Die Stones gibt es ja immer noch – dafür bewundere ich sie einerseits, andererseits sind sie aber fast schon zu einer Parodie ihrer selbst verkommen. Ich glaube es ist gut, dass sich die Beatles getrennt haben, sonst wäre es bei ihnen wohl auch zu so einer sad story gekommen. (Beide lachen)
Björn: (zu Samuel) Jetzt kriegst du bestimmt einen Anruf von Keith Richards!
In einer deutschen Musikzeitschrift wurde euer Album fernerhin mit «Sandinista» von The Clash verglichen. Stimmt ihr diesem Vergleich zu?
Samuel: Ja, ein wenig schon…
Björn: Sie haben gewissermassen das selbe getan wie wir, sie haben viel schwarze Musik, Reggae und Soul geklaut.
Samuel: Ich denke aber, «Sandinista» ist ein bisschen ausgeflippter als unser Album. Vielleicht wäre «Give Me Fire» ähnlicher geworden, wenn wir ein Doppelalbum daraus gemacht hätten. «Sandinista» hat viele gute Songs, aber ich habe es nur selten am Stück hören können...
Björn: Ja, da dreht man durch, wenn man das macht! (Sie lachen)
Eine letzte Frage zum Album: Was könnt ihr mir über das Artwork erzählen? Für mich sieht es ein wenig nach einer Mischung des «Revolver»-Artworks und einer Art kommunistisch inspiriertem Graphic-Design aus...
Björn: (nickt bei ersterem und präzisiert bei zweiterem:) Eher Bauhaus. Es war ein Experiment. Wir hatten mit dem Fotografen Matt Wignall aus Los Angeles zusammengearbeitet. Als es ans Cover-Artwork ging und wir nicht so recht wussten, was damit anzufangen, fragten wir ihn, ob er eine Idee hätte.
Samuel: Er kennt jede Menge Künstler und hat ein paar von ihnen angefragt, ob sie Lust hätten, eine Seite für unser Booklet beizusteuern. Dann hat er ihnen Fotos von uns zugesandt, und sie haben damit gearbeitet, Collagen gemacht. Die einzelnen Seiten im Booklet sind also ‹richtige›, grossformatige Kunstwerke, die Matt dann wieder abfotografiert hat. Das Artwork ist diesmal aufwändiger als bei all unseren vorhergehenden Alben.
Björn: Matt arbeitet übrigens auch an einem Dokumentarfilm über «Give Me Fire».
Samuel: Ja, er filmt immer noch die ganze Zeit, wir haben keine Ahnung, wann die Sache rauskommt.
Björn: Es passieren halt dauernd aufregende Dinge, die filmisch festgehalten werden wollen!
Sind es denn vor allem Konzert- oder Backstage-Aufnahmen?
Samuel: Das wissen wir auch nicht so genau, es hat auf jeden Fall viele Behind-the-Scenes-Aufnahmen und Interviews mit uns.
Björn: Yeah. Jetzt fällt’s mir übrigens ein – die Documentary heisst «Chinese Democracy» und kommt in 15 Jahren raus! (Sie lachen)
Alles klar! Nun, sagt mal, glaubt ihr eigentlich immer noch, das eure Band besser ist als alle Gruppen der Sixties?
Björn: Nein. Aber wir sind insofern besser, als wir jetzt, hier und heute da sind – und sie nicht!
Samuel: Uns ist sehr wichtig, dass die Leute uns live erleben können. Die Konzerte sind für beide Seiten inspirierend, für das Publikum wie für uns. Ich denke, wir sind so was wie die ‹Beatles von 2009› – wir versuchen’s zumindest.
Würdet ihr sagen, dass ihr die beste aktuelle Band seid?
(Sie lachen) Samuel: Nein, aber wir versuchen, mit all den tollen heutigen Bands mitzuhalten.
Sagen wir, ihr wärt in den 40er Jahren geboren worden und hättet in den 60ern Musik gemacht. Denkt ihr, ihr wärt ebenso erfolgreich gewesen wie die Beatles, die Kinks oder The Who?
Björn: Yeah, pretty much!
Oder noch erfolgreicher?
Samuel: Ich weiss nicht, unmöglich zu sagen...
Björn: Also wenn du uns mit schwedischen Bands der 60er vergleichst, wären wir fucking stars gewesen! (lacht)
Samuel: Ja, es gibt zwar einige gute Songs von damaligen schwedischen Gruppen, aber man hört die Vorbilder schon sehr stark heraus; die Musik war ihnen vollkommen neu, sie wussten nicht recht damit umzugehen.
Björn: Gutes Songwriting gibt es in Schweden sowieso erst seit ABBA.
Mögt ihr ABBA?
Björn: Yeah, ich finde sie grossartig. Ich mag nicht alles, was sie gemacht haben, aber einige ihrer Songs verehre ich total.
Samuel: Sie waren tolle Arrangeure. Die Produktion gewisser Lieder ist schlicht atemberaubend.
ABBA hatten ein tolles Gespür für eingängige Lieder. Was ist euch wichtiger, die Melodie oder der Text eines Songs?
Samuel: Das kommt auf den Song an. Ich denke bei einem einfachen, ‹nackten› Lied sind die Lyrics wichtiger, doch bei den meisten unserer Songs steht die Melodie an erster Stelle, sie macht die Musik aus und treibt sie voran.
Björn: Für dieses Album wollten Gustaf und ich die Lyrics bewusst etwas simpler halten, so dass die Leute sie besser verstehen können. Bei unseren früheren Texten haben wir oft gemogelt, viele seltsame und selbsterfundene Wörter verwendet. Diesmal sind die Texte pretty damn clear, so dass jeder sie verstehen kann.
Welche Pop- oder Rockbands hört ihr zurzeit am liebsten?
Björn: Ich liebe die White Stripes, Black Rebel Motorcycle Club, Johnossi und einige Lieder von Vampire Weekend. Ich mag auch kommerzielle Sachen und Hip-Hop, Outkast zum Beispiel. Ausserdem freue ich mich auf das neue Eminem-Album.
Samuel: Die neue Platte von The View ist ziemlich gut... Es ist eigentlich recht schwierig, bei den ganzen Neuerscheinungen ständig mitzuhalten, wir können ja nicht täglich in den Plattenladen gehen. Deshalb liebe ich iTunes, da kann man sich schnell über eine Band informieren und ein paar Sachen runterladen. So bin ich zum Beispiel auf die White Lies gestossen. Aber eigentlich hören wir vor allem alte Musik, da gibt es immer noch so viel zu entdecken...
Was haltet ihr von Oasis?
Samuel: Ich finde, die haben mindestens drei sehr gute Alben herausgebracht und sind sehr talentierte Songwriter, aber naja, heutzutage... Ich glaube, sie haben ziemlich an Magie eingebüsst. Du hast sie doch kürzlich gesehen, Björn...
Björn: (verdreht die Augen) Aus irgendeinem Grund war Liam Gallagher echt schlecht an dem Abend. Oasis klangen wie ihre eigene Coverband!
Samuel: Hoffentlich passiert uns das nie! Weisst du, es ist wirklich schwer, aufzuhören, wenn du in einer Band bist. Du gewöhnst dich sehr an dieses Leben und brauchst ständig die Kicks, die du beim Konzertspielen kriegst...
Björn: Ja, die Band wird quasi zu deiner zweiten Familie. Man hat ein grosses gemeinsames Interesse, die Musik, und man gibt sich gegenseitig viel Sicherheit. Eine Band zu verlassen is like quitting your family, you know...
Was denkt ihr, würdet ihr machen, wenn ihr nicht Musiker geworden wärt?
Samuel: Hm, schwere Frage... Keine Ahnung, ich hätte wohl irgendeinen langweiligen Job. Ich begann mit zwölf Jahren, Musik zu spielen, dafür gab ich alle anderen Hobbies, Fussball, Hockey und so weiter auf.
Björn: Es ist nicht immer leicht, in einer Band zu sein, es ist mitunter harte Arbeit, aber ich ziehe es jedem anderen Beruf vor!
Samuel: (überlegt) Journalismus wäre vielleicht noch interessant...
Björn: Ja, und wir mögen Sport. Vielleicht hätten wir anstatt einer Band ein Hockeyteam gegründet!
Wieviel wisst ihr über die Schweiz, oder über Zürich?
Samuel: Naja, wir kennen die Alpen ein wenig und wissen, dass die Schweiz ein schönes Land ist. Wir sind heute von Laax nach Zürich gefahren und haben ein bisschen was von der Landschaft gesehen.
Björn: Wir wissen, dass euere Schokolade gut ist, dass euer Käse gut ist, dass ihr tolle Partys habt... Wir wissen, dass ihr shitloads of languages habt (lacht) und dass ihr ein neutrales Land seid, wie Schweden...
Samuel: ... Das ist wohl der Grund, weshalb die Amerikaner immer Switzerland und Sweden verwechseln!
OK, letzte Frage: Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?
Björn: Unser Album erscheint demnächst in Grossbritannien und in den USA. In Amerika kommt es auf einem alten Motown-Label, «Republic», raus, das ist ziemlich aufregend!
Samuel: Wir haben also ziemlich viel Arbeit vor uns, viele Shows, viele Interviews und Promo. Aber es macht Spass!
Na dann viel Erfolg, und danke für dieses Gespräch!
Wenige Stunden nach dem Interview geben Mando Diao im restlos ausverkauften Zürcher x-tra ein mitreissendes Konzert. Verstärkt durch zwei Backgroundsängerinnen und einen Bläser spielen sie sich durch die Hits ihres mittlerweile fünf Alben umfassenden Repertoires. Ein Drittel der Lieder stammt von «Give Me Fire», und die funktionieren live, wie nicht anders zu erwarten, wunderbar. Von der vordersten bis zur hintersten Reihe, vom vierzehnjährigen Girlie bis zum alternden Geschäftsmann bewegt sich alles im Takt zu «Gloria», «High Heels» oder «Mean Street». Zur aktuellen Chartsingle «Dance With Somebody» singt und tanzt schliesslich der ganze Saal im Discokugelnlicht. Nach rund eineinhalb Stunden bedankt sich die Band aufrichtig bei der «great crowd», man beklatscht sich gegenseitig, und es steht fest, dass Mando Diao ihren Vorbildern – zumindest in puncto Bühnenperformance - wieder ein Stück näher gerückt sind.