Babel, Backstuben, Berlin
Tian Hartmann - Da soll noch einer behaupten, Berlin sei für einen Austauschstudenten keine Herausforderung! Ich werde ja immer wieder gefragt, meist mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton, wieso ich ausgerechnet nach Berlin gegangen bin. Ein Austauschsemester, so scheint es, gehört sich fü...
Berlin gleich Deutsch. Dachte ich auf jeden Fall vor meinem Abflug. Naiv bin ich nicht, darum habe ich eine beträchtliche Portion Türkisch, Russisch und Arabisch einberechnet. Was mir hier jeden Tag begegnet, hat aber in meinen ärgsten Albträumen keinen Platz gefunden. Eine seltsame Abart unserer Sprache, ein mutantenhaftes Geschwür schleicht sich durch die Gassen Berlins, grinst frech drohend von den grauen Wänden und scheint sich in karnickelhafter Weise zu vermehren. Das Monster ist eine grausame Kreuzung Deutscher und Englischer Sprache, ein mordender Hybrid. Er lauert mir auf, verfolgt mich und springt just in dem Moment hervor, wenn ich ihn am wenigsten erwarte. Beispielsweise frühmorgens auf dem Weg zur Uni. Ich will mir vor der ersten Vorlesung eine Schrippe - so nennen sie hier Brötchen - besorgen und gehe dafür einen kleinen Umweg zur nächsten Backstube. In froher Erwartung auf den wohlriechenden Weihrauch frischer Backwaren biege ich um die Ecke. Es trifft mich aus heiterem Himmel. Da lauert es wieder, das fiese Monster. Dort wo einst ,Bäckerei‘, ,Backstube‘ oder ,Konditorei‘ gestanden haben muss, über der Tür, dort hängt jetzt ein grosses Schild, auf dem es sich die Bestie in fetten roten Lettern auf weissem Grund bequem gemacht hat. ,BACK SHOP‘. Was zum Teufel ist das? Mir schaudert. Beim Anblick des Schildes denke ich an gewaltsame Rückenhaarentfernung durch zarte russische Stahlarbeiterhände oder ähnliches. Bestimmt nicht an warme, frischgebackene Brötchen. Ich verzichte kurzerhand auf das Frühstück - Morgenessen gibt es nicht - und flüchte hungrig in die Vorlesung.
Noch viel schlimmer ist es einem meiner Schweizer Kumpels hier in Berlin ergangen. Auch er ein Austauschstudent, ein aufgeweckter, gutaussehender und zuvorkommender junger Mann in unserem Alter. Schwiegermamas Liebling weltweit. Es begab sich, dass er eines Abends im Ausgang ein junges, hübsches Berliner Mädel kennen gelernt hatte, mit ihr tanzte, scherzte und trank. Am Ende des Abends, zu Beginn der Nacht, begleitete ihn dieses Berliner Mädel nach Hause. Hand in Hand, fröhlich scherzend gingen sie durch die Nacht. Bei ihm zuhause, ich nenne ihn Roland, setzten sie sich aufs Sofa, tranken womöglich etwas, es folgte vielleicht auch ein erster, schüchterner Kuss. Das Berliner Mädel pflegte zu rauchen und wollte sich dafür auf den Balkon begeben. Roland, zuvorkommend wie er ist, sorgte sich um das Berliner Mädel und ihre kalten Füsse und bot ihr, freundlicherweise und ohne Hintergedanken, an: „Willst du Finken?“
Das Berliner Mädel stutze einen kurzen Augenblick, fasste sich aber sofort wieder. Abgebrüht, wie sie sind, und nur leicht irritiert erwiderte sie ihm: „Geht leider nicht, ich habe meine Tage“.
Berlin ist kein Pflaster für Pantoffelhelden.
Lapin Kulta oder Berliner Kindl? Der Austauschbattle auf students.ch