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23. April 2009, 11:13 Politik

Nadine Masshardt: Ein Tschernobyl ist genug

Nadine Masshardt - Ich war eineinhalb Jahre alt als am 26. April 1986 der Reaktorblock IV des Atomkraftwerks Tschernobyl bei einem Test ausser Kontrolle geriet und explodierte. In der vier Kilometer entfernten Stadt Prypjat lebten damals 48'000 Menschen. Sie genossen einen der ersten warmen Frühli...

Ich war eineinhalb Jahre alt als am 26. April 1986 der Reaktorblock IV des Atomkraftwerks Tschernobyl bei einem Test ausser Kontrolle geriet und explodierte. In der vier Kilometer entfernten Stadt Prypjat lebten damals 48'000 Menschen. Sie genossen einen der ersten warmen Frühlingstage und waren sich kaum bewusst, dass in der Nacht eine der schlimmsten Umweltkatastrophen aller Zeiten geschah.

Prypjat ist heute eine Geisterstadt. Hunderttausende wurden nach dem Reaktorunfall aus betroffenen Gebieten evakuiert. Um Tschernobyl entstand eine 30-Kilometer-Sperrzone. Die Schilddrüsenkrebs-Quote in den betroffenen Gegenden der Ukraine, von Belarus und Russland lag zehn Jahre nach dem Unfall 200 Prozent höher als zuvor. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind alleine in diesen Ländern vier Millionen Menschen vom Unfall betroffen.

So sicher Atomkraftwerke auch gepriesen werden: Technische wie menschliche Fehler sind nie ausgeschlossen. Das zeigten letztes Jahr kleinere Stör- und Unfälle in Frankreich oder der Beinahe-AKW-Unfall in Schweden im Juli 2006. Gefahren bei einem Unfall, die ungelöste Entsorgungsfrage sowie extrem teure Kosten zum Bau von AKW verdeutlichen, dass der Neubau solcher Anlagen Fehlinvestitionen in eine gefährliche und veraltete Technologie sind.

Das AKW Mühleberg bei Bern gehört mit seinen 37 Jahren weltweit zu den ältesten noch in Betrieb stehenden Reaktoren. Ein unbefristeter Weiterbetrieb ist wegen der immer grösser werdenden Risse im Kernmantel unverantwortlich.

Wir setzen heute besser auf mehr Energieeffizienz und auf eine Vorwärtsstrategie bei erneuerbaren Energien. Deren Potential ist noch lange nicht auch nur annähernd ausgeschöpft. So verhindern wir, dass nachfolgende Generationen die Risiken der AKW tragen müssen. Denn ich hoffe, dass die Kinder meiner Generation nicht geboren werden, wenn wieder ein Unfall geschieht. Am Tschernobyl-Jahrestag diesen Sonntag werde ich auch daher an der Veranstaltung in Bern gegen die unbefristete Betriebsbewilligung „Kein Tschernobyl in Mühleberg“ dabei sein.

Nadine Masshardt, 24, jüngste Grossrätin (SP/JUSO) im Kanton Bern, Stadträtin in Langenthal und MA-Studentin der Geschichte und Philosophie.

www.nadinemasshardt.ch

Nadine Masshardts erste Kolumne

Die Politkolumne auf Students.ch

Kommentare
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NadineMasshardt 06.05.2009 um 18:30
Liebe Kommentierende, lieber Christian,

Zuerst einmal: Ich freue mich, dass meine Kolumne eine angeregte Debatte ausgelöst hat. Das Thema wird in den nächsten Jahren eine der grossen wirtschafts- und umweltpolitischen Fragen sein. Deshalb macht es auch Sinn, dass wir uns eingehend und seriös damit beschäftigen. Dabei ist ein Wettbewerb verschiedener Ideen sicher fruchtbar und sinnvoll. Persönliche Vorwürfe und Unterstellungen von Christian ("Kriegsrhetorik", "realitätsfremd", "von vorgestern") dagegen eher weniger.

Der Bau neuer Atomkraftwerke verschlingt Riesensummen und verursacht radioaktive Abfallberge, die nach wie vor nicht sicher entsorgt werden können. Keine Versicherung der Welt ist bereit die nötigen Risiken möglicher AKW-Unfälle zu decken. Deshalb macht es einfach mehr Sinn, die finanziellen Mittel in den massiven Ausbau erneuerbarer Energien zu investieren. Diese schaffen Arbeitsplätze und Wertschöpfung bei uns in der Schweiz und führen zu einer umweltfreundlichen, dezentralen Versorgung. Sie machen uns somit auch weniger abhängig von Uran aus anderen Weltgegenden. Wichtig ist auch mehr Energieeffizienz, also Einsparen von unnötig verschwendeter Energie. Gerade im Gebäudebereich, aber auch bei Maschinen und Geräten wird heute oftmals noch viel Energie unnötig verbraucht. Zudem ist Atomstrom klar nicht CO2-frei: Miteinberechnet werden müssen für die CO2-Bilanz auch Bau, Betrieb und Entsorgung der Kraftwerke sowie der Abbau des Urans.

Wir sollten hier die Diskussion nicht beenden – vielmehr hat sie erst begonnen. Und darauf freue ich mich. Denn ich bin überzeugt, dass wir eine Lösung finden werden, die auch für die zukünftigen Generationen tragbar ist. Das ist eine Frage des Willens.
cwasi 25.04.2009 um 19:48
Liebe Nadine,
Schade, dass du als junge Person so realitätsfremd argumentierst. Die Kriegsrhetorik gegen die KKW-Technologie mit Tschernobyl-Argumenten ist einfach von vorgestern. Alle, die jetzt gegen die Betriebsverlängerung von Mühleberg demonstrieren muss ich darauf hinweisen, dass die Stromlücke unbarmherzig zuschlagen wird. Ihr habt keine Alternativen zu bieten - oder eine CO2-Schleuder à la Gaskombi-Kraftwerk? Nein, ich bitte alle, die morgen an dieser reisserischen Demo teilnehmen, sich doch dafür einzusetzen, dass ein neues Ersatz-KKW in Mühleberg gebaut wird, das nochmals sicherer ist und erst noch viel mehr Strom produziert.
Eine Meinungsumfrage zeigt klar und eindeutig, dass ca. 56% der Bevölkerung den Ersatz des KKW-Mühleberg am gleichen Standort befürwortet. Das neu gegründete Forum Pro Mühleberg gibt dieser bisher schweigenden Mehrheit der Bevölkerung eine Stimme und fordert die Schliessung der Stromlücke über den Ersatz des Kernkraftwerks in Mühleberg. Die Vorteile dieser Energiestrategie sind deutlich:
- CO2-freie Produktion mit ca. 1400 MW Leistung auf kleinem Raum (früher nur 355 MW)
- Grosse Versorgungssicherheit mit Uran (Nordamerika, Australien, Europa)
- Gute Integration des Ersatz-KKW in die Landschaft
- Dezentrale Kraftwerksverteilung in der Schweiz mit Mühleberg
- 1300 Arbeitsplätze, 400 Mio. Franken Wertschöpfung
www.forumpromuehleberg.ch
mib81 24.04.2009 um 16:48
Danke für die Ausführung, aber die Diskussion wird langsam zu zeitintensiv, muss ja auch noch was arbeiten Ich kann die Meinung verstehen und respektiere sie natürlich auch, allerdings unterscheiden wir uns genau in diesem einen wichtigen Punkt: Ich halte es für ein mehr als vertretbares Risiko, ein neues AKW zu bauen, wenn man so einer Stromrationierung entgegenwirken kann. Ob Mühleberg nun
zu alt und sanierungsbedürftig ist, um weiterbetrieben zu werden, kann ich nicht beurteilen, stufe dies aber zumindest als Möglichkeit ein. Ich bin es einfach mittlerweile etwas müde, wenn von den AKW-Gegner immer die Tschernobyl-Katastrophe als DAS Argument gegen Atomstrom benutzt wird...
mib81 24.04.2009 um 13:31
>Die Sicherheitsstandards waren sicher auch in Sovjetischen Kraftwerken angemessen.

Genau das denke ich eben nicht. Aber da dies niemand mehr überprüfen kann, lassen wir das Thema lieber. Ich denke aber, dass der Mensch sehr wohl in der Lage ist, komplexe Systeme zu kontrollieren. Sonst wären wir nicht so weit gekommen.
Was Mühleberg betrifft, nun, ich kann hier aus der Entfernung den Zustand der Anlage nicht beurteilen. Natürlich wäre eine Stillegung mit anschliessendem Bau eines neuen AKWs dem weiteren Betrieb von Mühleberg vorzuziehen.

>Wenn Strom mal knapp wird, dann wird er auch rationiert. War früher normal, heute seltener, da wurden die Waschmaschinen vom Ewerk zentral über Mittag abgeschaltet.

Wäre heutzutage unmöglich. Stell dir vor, was alles vom Strom abhängt, es geht heute schlicht und einfach nichts mehr ohne Strom. Man kann dennoch entgegenwirken mit effizienteren Geräten und erneuerbaren Energien. Sonnenkollektoren auf jedem Dach? Gerne! Minergiehäuser? Absolut! Der Bevölkerung ein Bewusstsein für sparsamen und effizienten Umgang mit Strom vermitteln? Geht klar! Falls es für den Energiebedarf dennoch ein oder zwei neue AKWs braucht, ist dies einer Rationierung in jedem Fall vorzuziehen. Du sagst, meine persönliche Freiheit ist der Allgemeinheit egal. Nun, das trifft sicherlich zu, nur bin ich mit meiner Meinung nicht alleine. Otto Normalbürger wird vielleicht erst denken, Atomenergie, nein danke, dann aber schnell zurückkrebsen, wenn er feststellen muss, das dann die Live-Uebertragung seines heissgeliebten Fussballmatches auf dem Spiel steht. Im Gegensatz zu Wasser kann Strom produziert werden, ist also keine schwindende Ressource wie beispielsweise Erdöl.

Meine persönliche Freiheit hab ich übrigens ganz bewusst und politisch unkorrekt aber mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen ins Spiel gebracht. Man darf auch mal egoistisch sein. Ausserdem, und jetzt wirds philosophisch, geht es jedem unterm Strich um das Wohl seiner Bekannten, Verwandten, Freunde und sich selbst. "Die Gesellschaft" ist dem einzelnen ziemlich egal. Darum ist auch der Kapitalismus die global vorherrschende Wirtschaftsform.
mib81 24.04.2009 um 10:55
Nein, die Sovjets waren sicher nicht einfach Idioten, es ist aber kein Geheimnis, das dort schon damals längst nicht dieselben Sicherheitsstandards gegolten haben wie in den westlichen Ländern. Deiner Logik von "je länger ein GAU ausbleibt, desto wahrscheinlicher wird er" kann ich auch nicht ganz folgen. Es geht hier schliesslich nicht um Erdbeben und Plattentektonik. Oder steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich mit dem Auto in einen Baum crashe, je länger ich unfallfrei fahre? Die Argumentation "das eine Katastrophe im Bereich des Möglichen" liegt, kann man auf nahezu alles anwenden. Ich könnte beispielsweise morgens in der Dusche ausrutschen. Oder, um im entsprechenden Verhältnis zu bleiben, ein Asteroid könnte die Erde treffen.

Eben, gerade dieser von dir angesprochenen Rationierung von Strom kann mit dem Bau neuer AKWs entgegenwirken, wie bereits erwähnt darf und SOLL das auch in Kombination mit der vermehrten Nutzung von erneuerbaren Energien geschehen. Aber eine Rationierung? Nein danke, das wäre ein inaktzeptabler Eingriff in meine persönliche Freiheit. Dafür wohne ich auch gern neben einem Kühlturm, wenn es sein muss.

Worin ich dir aber Recht gebe, ist die Tatsache, das es viel Unsinn auf dem Markt gibt, ich sehe da beispielsweise in die Richtung von digitalen Fotorahmen und den bewegungssensitiven Lampen, welche mittlerweile an fast jedem Wohnhaus angebracht sind und sich einschalten, wenn man gefühlte Kilometer weiter weg durchläuft. Man könnte auch sehr wohl darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, das jedes Geschäft in Städten über Nacht sein Schaufenster beleuchtet haben muss. Hier sollte man ansetzen.
mib81 24.04.2009 um 02:04
Erstens denke ich nicht, dass man die Technik eines armen Ostblockstaats vor 20 Jahren mit jener der heutigen Zeit vergleichen kann, zweitens ist es mir lieber, wir bauen ein neues AKW, welches, salopp gesagt, VIELLEICHT die Umwelt verpestet, als vier Kohlekraftwerke, welche laufend das Klima mit CO2 belasten. Drittens sind die Sicherheitsvorkehrungen in heutigen AKWs ja genau so aufgebaut, dass sie menschliche und technische Fehler berücksichtigen. Es muss sich schon eine ganze Kette an technischem und menschlichen Versagen ereignen, dass etwas schief läuft. Darum waren das, wie sie schreiben, letztes Jahr auch kleinere Störfälle. Und keine Katastrophen.

Ja, ich bin ein Freund alternativer Energien. Diese müssen dringend erforscht werden, damit sie oder andere eines Tages eine vollwertige Ergänzung, besser sogar Ersatz darstellen. Davon ist man aber noch weit entfernt. Die 2000 Watt Gesellschaft ist für mich keine Alternative. Wird dann vorgeschrieben, welche TVs, Computer, Spielkonsolen, Lampen, Autos etc. ich kaufen und wie lange am Tag ich sie nutzen darf?