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20. Mai 2009, 10:28 Kultur

Die Genfer NGOs – ein Unikum in stürmischen Zeiten

Antonio Fumagalli - Kein anderer Schweizer Kanton weist eine derartige Vielfalt an NGOs auf wie der Kanton Genf. Und doch – oder gerade deshalb – sieht die Bewegung unsicheren Zeiten entgegen. Unser Autor wirft einen Blick in einen Wirtschaftszweig, dessen Lebhaftigkeit in der Deutschschweiz wei...

Kein anderer Schweizer Kanton weist eine derartige Vielfalt an NGOs auf wie der Kanton Genf. Und doch – oder gerade deshalb – sieht die Bewegung unsicheren Zeiten entgegen. Unser Autor wirft einen Blick in einen Wirtschaftszweig, dessen Lebhaftigkeit in der Deutschschweiz weitgehend unbekannt ist.

„Association de défense des travailleurs“, „Coopérative de logement pour des personnes en formation“ und „Ecole internationale de la paix“ – die Liste der im Kanton Genf verwurzelten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) könnte beliebig fortgesetzt werden. Es wird keine Statistik darüber geführt, wie viele es genau sind; aber es ist keine gewagte Schätzung, dass sich deren Anzahl allein auf Genfer Boden im hohen dreistelligen Bereich bewegt, womit der westlichste aller Schweizer Kantone Schweizermeister in Bezug auf die NGO-Vielfalt – im welschen Jargon schlicht „Milieu Associatif“ genannt – sein dürfte. Die Gründe dafür sind vielfältig und doch teilweise schwer zu eruieren – es greift auf jeden Fall zu kurz, die Ursache in der kantonalen Gesetzgebung zu suchen, da das eidgenössische Zivilgesetzbuch als Rechtsgrundlage dient.

Ohne Zweifel kreiert die Präsenz von zahlreichen internationalen Organisationen wie der UNO, der WTO und dem IKRK einen optimalen thematischen Nährboden, auf welchem die NGOs ihre Projekte entwickeln, aber eben auch einen direkten Empfänger vor Ort finden können. Ein Beispiel: Im in Genf tagenden UNO-Menschenrechtsrat wird jedes Mitgliedsland der Vereinten Nationen im Turnus für eine sogenannte „Universal Periodic Review“ bezüglich seiner Menschenrechtssituation ausgeleuchtet. Die entsprechenden Regierungen dürfen hierfür ihre Sicht der Dinge präsentieren, das Bild wird allerdings erst durch die meist kritischeren und objektiveren Berichte der in diesem Bereich spezialisierten und von der UNO akkreditierten NGOs komplettiert.

Die Lebendigkeit des Genfer „Milieu Associatif“ hat aber auch eine politische Komponente: Dem traditionell liberalen Kanton ist bewusst geworden, dass die NGOs viele Dienstleistungen, die nicht zum absoluten Grundbedarf gehören, aufgrund der schlankeren Administration mindestens ebenso effizient wie die Behörden ausführen. So kann es sein, dass das Nebenfach für Gymnasialschüler von einem NGO-Vertreter und nicht von einem klassischen Lehrer unterrichtet wird. Durch diese Externalisierung der Leistungen wendet Genf im Vergleich zu anderen, insbesondere Deutschschweizer Kantonen einen relativ stolzen Betrag für die Unterstützung der verschiedenen NGOs auf, was wiederum nicht von allen Parteien goutiert wird: Spätestens seit der Kantonsparlamentswahl von 2005, bei der die bürgerlichen Kräfte einen veritablen Höhenflug erlebten, weht dem „Milieu Associatif“ ein eisiger Wind entgegen. Mittlerweile wird jeder NGO eine externe Kosten- und Leistungskontrolle aufgebürdet, was gerade für kleinere Organisationen einen nicht zu unterschätzenden administrativen Mehraufwand bedeutet, der oft in keinem Verhältnis zum eigentlichen Sinn und Zweck der Übung steht.

Dass die Genfer NGOs aber bereit sind, für ihre Existenzberechtigung zu kämpfen, haben sie spätestens bei der im letzten Herbst erfolgten Wahl des Ad-Hoc-Parlaments, das während seiner vierjährigen Laufzeit eine neue Kantonsverfassung ausarbeiten soll, unter Beweis gestellt: Um ihr Know-how und ihre Interessen auf möglichst effiziente Weise in den Legislationsprozess einbringen zu können, haben sich knapp 500 Genfer Vereine einem Dachverband angeschlossen, der sich dem Stimmvolk mit einer einheitlichen Liste präsentierte. Der Zahltag liess nicht auf sich warten: Im aus 80 Volksvertretern bestehenden Verfassungsparlament konnten immerhin drei Vertreter dieser NGO-Liste Einsitz nehmen. Deren Ziel ist es nun, die von breiten Kreisen anerkannte Legitimität des „Milieu Associatif“ auf konstitutioneller Ebene zu verankern, sodass zukünftig die Auswirkungen der politischen Gezeiten nicht mehr gleich die ganze Bewegung in Frage stellen können.

*Antonio Fumagalli ist in Zürich aufgewachsen und zwecks Studium vor gut vier Jahren nach Genf gezogen. Im Rahmen des Zivildienstes hat er während mehreren Monaten für die Menschenrechts-NGO „Codap“ gearbeitet.

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