Interview mit Wurzel 5
Silvan Gertsch - Sie rappen über Studentinnen, die sich vor der Kamera ausziehen - und beziehen sich damit nicht mal auf den Campusgirls-Kalender. Trotzdem haben wir mit Wurzel 5 ein Interview gemacht. Die Berner Rapper gehen mit ihrem neuen Album in die letzte Runde. Wieso und warum erklären R...
Wieso geht ihr in die letzte Runde?
Serej: Weil wir fünf Jungs sind, die sich seit eh und je kennen und die die letzten 15 Jahre ihres Lebens – oder zumindest einen grossen Teil davon – mit der Musik verbracht haben. Jetzt ist die Zeit reif, zu sagen: Es war eine geile Zeit. Schön, habt ihr uns über die Jahre begleitet. Schön, sind immer neue Leute dazu gekommen. Aber wir treten ab, wenn wir auf dem Zenit sind.
Ist euch der Entscheid schwer gefallen?
Serej: Wir wussten schon bevor wir ins Studio gegangen sind, dass es unser letztes Album wird. Aber dass sich der Abschied wie ein roter Faden durch die Songs zieht, das hat sich dann ergeben.
Hängt der Rücktritt auch damit zusammen, dass ihr in ein gewisses Alter gekommen seid und dem Image der bösen Buben, das euch seit der Anfangsphase anhängt, nicht mehr gerecht werden könnt?
Baldy: Wir sind noch immer böse Buben.
Serej: Ab und zu sind wir böse, tendenziell aber lieb. Wir sind nicht mehr so hemmungslos, unbeschwert, frisch von der Leber weg. Das mit dem Alter ist mitunter ein Grund dafür. Ich bin jetzt 32 Jahre alt, arbeite 90 Prozent. Der andere heiratet...
...welchen anderen meinst du?
Serej: Nein! Keiner von uns, das war nur so ein Beispiel. Der andere heiratet, will eine Familie, einen Gang runterschalten und die Freiheit geniessen. Wir haben halt beschlossen, keine Alben mehr aufzunehmen.
In der Tageszeitung „Bund“ habt ihr vor sechs Jahren angedeutet, dass Rap vergänglich sei. Hattet ihr damals euren Abgang schon im Hinterkopf?
Baldy: Das war, als wir das Album „Verdächtig“ aufgenommen haben. Nein, damals waren wir noch mittendrin und dachten überhaupt nicht an ein Ende.
An gleicher Stelle deutet ihr aber auch an, dass ihr euch kaum vorstellen könnt, mit 30 noch aufzutreten.
Baldy: Stimmt. Das haben wir wohl in weiser Voraussicht gesagt.
Serej: Wenn man das erste Album aufnimmt, dann hat man das Gefühl: das ist das Leben. Ich finde es spannend, dass du das aufgegriffen hast. Wir haben uns darüber zu dem Zeitpunkt aber sicher noch keine Gedanken über das Ende gemacht.
Blicken wir noch weiter zurück. An den Songs für euer Debutalbum „Jugendsündä“ habt ihr noch auf der Zugfahrt ins Studio nach Zürich gearbeitet. Fehlt euch diese Spontaneität heute?
Serej: Unser neues Album kommt dem ersten am nächsten. Beide sind unter krassem Zeitdruck entstanden. Deshalb sind wir noch immer so spontan. Zumindest habe ich dieses Gefühl. Wir gingen ins Studio, haben Texte geschrieben, gingen in die Kabine, um aufzunehmen, dann kam der nächste an dir Reihe. Was fehlt? Welcher Text ist nicht geil? Noch einmal aufnehmen. Refrain ändern. Mischen. Die Hälfte des Albums entstand in zweieinhalb Wochen. Ds düre.
Aber ihr habt ja gewusst, dass es euer letztes Album wird. Wieso habt ihr da nicht mehr Zeit investieren wollen?
Serej: Wir können nicht anders. Jeder von uns arbeitet, dann scheint die Sonne, man schiebt es hinaus. Es gibt immer Gründe, die Albumaufnahme hinaus zu zögern. Wir haben Freude am Aufnehmen, sind aber nicht verbissen.
Baldy: Wir wollten uns wirklich für einmal genügend Zeit nehmen und haben vor einem Jahr angefangen. Aber wenn wir keinen Druck haben, dann versandet es irgendwie. So gingen die Monate vorbei, bis wir nur noch eineinhalb Monate Zeit hatten und erst fünf Songs fertig hatten.
Serej: Alles ging Schlag auf Schlag. Wenn du dir jetzt das Album durchhörst, entdeckst du viele Sachen, die man hätte besser machen können. Andererseits gibt es auch viele Dinge, die wir verschlimmbessert hätten, wenn wir mehr Zeit investiert hätten. Genau das sind die Parallelen zu „Jugendsündä“, unserem ersten Album. Auch auf „Verdächtig“ und „Teamgeist“ hatten wir Stress. Aber viel mehr Spielraum. Diese zwei Alben kommen meiner Meinung nach etwas steif daher. Jetzt schliesst sich der Kreis.
Eine eurer grössten Stärken ist die Selbstironie in den Texten. Hat die in der heutigen Hip-Hop-Kultur überhaupt noch Platz?
Baldy: Im Hip-Hop ist es so, dass sich alle immer zu ernst nehmen. Davon haben wir uns immer abgehoben.
Serej: Ich bin meine Texte. Ich bin mich. Und wenn ich jemanden anderen hätte spielen müssen auf dem Album, dann hätte das für mich nicht mehr gepasst. Aber 80 Prozent der Rapper verstellen sich auf ihren Alben. Das ist schade. Wir nehmen uns hoch, wir streiten und versöhnen uns. Das ist Alltag, so sind wir gross geworden. Austeilen und einstecken. Dem andern eine Bluetgrätsche ine lah, weil er im gegnerischen Team spielt – das gehört für uns dazu.
Was auf dem Album fehlt, ist ein letzter Rundumschlag, eine Abrechnung.
Serej: Wozu?
Baldy: Es hat schon ein paar spitze Bemerkungen darauf.
Serej: Ich will doch keinen Abgang mit dem Stinkfinger in der Luft hinlegen. Ich bin 32 Jahre alt, was kümmern mich die andern? Was will ich mit denen? Ich reagiere höchstens auf Provokationen, wenn ich das Gefühl habe, dass der andere Rapper was auf dem Kasten hat.
Ein Bild aus alten Tagen: Wurzel 5 im Jahre 1999.
Ziehen wir Bilanz. Wie viele leere Whisky-Flaschen pflastern euren Weg?
Baldy: Nicht so viele.
Serej: Mit denen könnte man einen Weg nach Moskau pflastern.
Baldy: Wohl eher mit Cuba Libre. Oder haben wir viel Whisky getrunken?
Serej: In den ersten Jahren nur. Aber ich halte mich da eh raus. Ich trinke einfach Bier. Aber um auf die Frage zurück zu kommen, wir haben auf dem Rider schon immer zwei, drei Flaschen Whisky. Und von denen bleibt nie eine stehen.
Du meinst zwei, drei Kilometer, nicht Flaschen?
Serej: Das darfst du interpretieren wie du willst. Aber wir sind ja halt auch immer mit einer 50-köpfigen Crew unterwegs. Oder nicht? (lacht)
Wie viele gebrochene Herzen lasst ihr zurück?
Serej: Keine.
Auf wie viele hart umkämpfte Poker-Turniere blickt ihr zurück?
Serej: Diverse.
Baldy: Meistens haben wir vor den Shows und vor allem in der Freizeit gepokert. Wir hatten auch Phasen mit sehr grossen Buy-Ins. Aber mittlerweile spielen wir nicht mehr so häufig.
Wie viel Mobiliar habt ihr zerschlagen?
Baldy: Das ist ein Märchen.
Serej: Also ganz zu Beginn waren wir schon wild. Aber heutzutage wissen es die Veranstalter, jetzt befestigen sie immer alles im Backstage. Wo wir freundlich aufgenommen worden sind, haben wir nie etwas kaputt gemacht. Irgendwann wir man älter, da passiert sowieso weniger.
Wie viele Worte haben euch die Journalisten im Mund umgedreht?
Serej: 100'000. Ich habe mitgezählt.
YB wartet seit 22 Jahren auf einen Titel. Werden Wurzel 5 in die Bresche springen?
Serej: Und den Meistertitel in Form des ersten Platzes in den Charts holen? Wir haben den Meistertitel bereits geholt, weil wir das fertige Album in den Händen halten können. Die Verkaufszahlen sind sekundär. Ich schaue dir ehrlich in die Augen und kann dir sagen, dass ich das genau so meine. Mir ist es tausendmal lieber, wenn YB im nächsten Jahr Meister wird und wir halt auf der Nummer Neun in den Charts einsteigen. Whatever.