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10. Juni 2009, 00:15 Kolumnen

Zwischentief

Tian Hartmann - Hej Helsinki! Schönes Resümee eines akademischen Gastarbeiters. Bei mir dauert's noch. Derweil irre ich orientierungslos durch das Hochschulgebäude. Vor dem oberen Lesesaal huschen zwei Mädchen mit dicken Rucksäcken durch die Tür. Hier war ich noch nie, wo geht es hier rau...

Hej Helsinki! Schönes Resümee eines akademischen Gastarbeiters. Bei mir dauert's noch. Derweil irre ich orientierungslos durch das Hochschulgebäude. Vor dem oberen Lesesaal huschen zwei Mädchen mit dicken Rucksäcken durch die Tür. Hier war ich noch nie, wo geht es hier raus? Wenig später öffne ich die Glastür zum Computerraum. Die Monitore flimmern, die Luft ist abgestanden und klebt in meiner Nase. Lautstark diskutieren 4 Studenten in 3 verschiedenen Sprachen eine Projektarbeit. Der arme Kerl im grünen Pullover hat wohl seine Aufgabe nicht erledigt. Er sieht elend aus. Irgendjemand ruft meinen Namen. "Hey, Tian!" Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich das Gesicht im dunklen Kopf auszumachen und einzuordnen. Er hat kurze, braune Haare, modisch geschnitten, andeutungsweise gelockt. Dreitägiger Bartwuchs, lachende, braune Augen. Ein Allerweltsgesicht. Es sagt mir nichts. Verlegen werfe ich eine Begrüssung zurück. "Hey. Wasslos?" Dann setze ich mich an den letzten freien Platz und beginne mit dem Ausdrucken der Scripts.

Es ist nicht immer nur spassig, das Leben als Austauschstudent. Weil ich nicht vorhabe, am Schluss in die Verlängerung zu gehen und ein zusätzliches Semester anzuhängen, muss ich mich sputen, hier in Berlin. Stets darauf bedacht, bloss nicht zu viele der unsäglichen Punkte back home nachholen zu müssen, habe ich mich wie ein Geistesgestörter kreuz und quer durch alle Studiengänge und Semester eingeschrieben. Hauptsache studieren wie zuhause. Was in der Stadt verpönt ist, zählt an der Uni.

Natürlich ist es nicht nur schlecht. Ich habe schon viele Berliner Studentenzimmer gesehen, schreibe gerade an 5 Seminararbeiten und 3 Referaten mit 12 verschiedenen Leuten und habe viele nette Menschen kennengelernt. Aber da sind die Gesichter, die mir nach 3 Monaten und 2 gemeinsamen Vorlesungen pro Woche noch immer neu erscheinen, von Namen ganz zu schweigen. Dann kommt Nostalgie in mir auf und ich sehne mich einen Moment lang nach den Simons, nach Said und Lüc, nach Rose und Jeanine, nach vertrauten Gesichtern, die einen Namen haben. Und erlaube ich mir einen kurzen Heimaturlaub. Ich esse mit dem anderen Schweizer in der Mensa. Es gibt vegetarisches Cordonbleu. Ihm geht es genauso.

Punkte in Helsinki, Punkte in Berlin.

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