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1. Juli 2009, 00:57 Kolumnen

Heimaturlaub

Tian Hartmann - Helsinki ist tot. Berlin lebt!Als Austauschstudent lebt man in einer Welt ohne Regeln. Vorübergehend nur ist man zu Gast und so lebt der durchschnittliche Punktsammler im Ausland als gäbe es keinen Morgen. Nur eines gilt es zu vermeiden, gleich dem ominösen, unantastbaren Apfe...

Helsinki ist tot. Berlin lebt!

Als Austauschstudent lebt man in einer Welt ohne Regeln. Vorübergehend nur ist man zu Gast und so lebt der durchschnittliche Punktsammler im Ausland als gäbe es keinen Morgen. Nur eines gilt es zu vermeiden, gleich dem ominösen, unantastbaren Apfel im Paradies, und natürlich habe ich mich darin verbissen, daran gelabt: Der Heimaturlaub.

Nirgendwo ist das Leben süsser und der Himmel blauer als in der Fremde. Das Leben davor, das niemals Anlass zur Klage gegeben hatte, scheint aus der Ferne plötzlich öd, überteuert und grau. Die eigenen Landsleute sind auf einmal bieder und verstockt; fast schon schämt man sich seiner Wurzeln. Das Gras ist halt noch immer grüner auf der anderen Seite. So geniesst man den Aufenthalt, die kurzfristige Flucht in die fremden Stadt, die ach so cool und hip und so-genau-mein-Stil ist und schenkt den Daheimgebliebenen ein überheblich müdes, bemitleidendes Lächeln.

Dann ist der Austauschstudent plötzlich wieder da, wo alles angefangen hatte. Heimaturlaub, für ein kurzes Wochenende nur. Weil sich weit weg von Zuhause die Wahrnehmung seltsam verschoben und verquert, hat man urplötzlich Lust auf ein Speckbrötli im Manorrestaurant. Man fährt also auf dem Fahrrad durch die Bahnhofstrasse. Und dann fühlt man, gleichwie Eva, den augenöffnenden Biss in die verbotene Frucht der Weisheit: Zürich ist viel zu teuer. Zürich ist rosarotes Poloshirt. Zürich ist zu sauber zum Leben. Zürich ist bünzlig bis auf die Knochen. Zürich ist tiefstes Aargau.

Doch all diese Erkenntnisse, die schlagartig und unwiderruflich feststehen und wohl beliebig weitergeführt werden könnten, sind nicht annähernd so schmerzhaft wie die eine Wahrheit, die mich, den Austauschstudenten wie ein Blitz trifft und endgültig aus dem ewiggrünen Paradies der Illusion vertreibt: Ich bin Zürich.

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