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21. Juli 2009, 15:36 Konzert Music Festivals

Review: Gurtenfestival 16.-19. 7. 2009

Philipp Ramer -

Schönes, ja strahlendes Wetter prägte den ersten und den letzten Tag des diesjährigen Gurtenfestivals – dazwischen aber herrschten apokalyptische Zustände: Markerschütternde Gewitter, sintflutartige Regengüsse und eisige Kälte suchten den Berner Hausberg heim. In der stürmischen Donnerstagnacht taten die meisten Festivalbesucher in ihren Zelten kein Auge zu. Den Konzerten am Freitag in strömendem Regen beizuwohnen, war alles andere als ein Zuckerschlecken. Am Samstag besserte sich die Situation zwar, dennoch war jeder zu bemitleiden, der keine warme Kleidung und Gummistiefel dabei hatte. So wechselhaft wie das Wetter gestaltete sich auch das musikalische Programm des Festivals, und auch hier gab es Höhen und Tiefen. Im Gegensatz zum Klima überwogen bei den Konzerten aber glücklicherweise eindeutig die Hochs.

Donnerstag, 16. 7.

Gleich am ersten Tag standen mit Bloc Party, Franz Ferdinand und Röyksopp drei grosse Namen auf dem Programm; ausserdem durfte man auf die heiss gehandelten englischen Newcomer White Lies gespannt sein. Das Konzert von Bloc Party erwies sich als die Enttäuschung des Abends. Obwohl die Band ein ausgewogenes Set spielte und alle obligaten Songs von Banquet über The Prayer bis Mercury vortrug (wobei Sänger Kele Okereke bei letzterem Lied mit dem Mikrofon ein Bad in der Menge nahm) wirkte der Auftritt uninspiriert. Die Gruppe spielte routiniert aber lustlos, und vermochte das Publikum nicht recht mitzureissen. Ein gelungenes Konzert boten hingegen wenig später die White Lies: Mit dramatischer Musik, düsteren Texten und starkem Gesang sorgten die jungen Engländer für eine schaurig-schöne Stimmung auf der Zeltbühne. Beschwingter – aber nicht minder überzeugend – gestaltete sich der Auftritt der Headliner Franz Ferdinand. Mit viel Energie, die sich vom ersten Moment an auf das Publikum übertrug, spielten sich die vier Schotten durch die zackigen Dance-Rock-Nummern ihres drei Alben umfassenden Repertoires. Songs wie Ulysses oder No You Girls von der (durchaus kontrovers diskutierten) jüngsten Platte Tonight: Franz Ferdinand funktionierten dabei genauso gut wie Klassiker à la This Fire oder Take Me Out. In der zweiten Hälfte des Gigs demonstrierte die Band im Weiteren ihre Freude an Synthesizern, elektronischem Gefrickel und allerlei Soundbasteleien. Frontmann Alex Kapranos vollführte akrobatische Sprünge und spielte die Gitarre in hendrixscher Manier auf dem Hinterkopf, musste sich den Status des Hinguckers jedoch mit Gitarrist Nick McCarthy teilen, der im Schuljungen-Outfit mit Pinguin-Shirt, Shorts und hochgezogenen Kniesocken glänzte.

Kurz vor ein Uhr nachts begann das norwegische Duo Röyksopp das letzte Konzert des Abends: ein zwischen sphärischen Soundlandschaften und Clubmusik changierendes, halb elektronisches, halb live gespieltes Set mit Gastsängerin Karin Dreijer Andersson (The Knife). Nebst Songs vom aktuellen, dritten Album Junior (The Girl And The Robot, This Must Be It) wurden auch frühere Hits wie Eple oder Poor Leno zum Besten gegeben. Auch wenn (oder gerade weil?) man sich als Zuhörer zum Teil an eine Retro-Rave-Party zurückversetzt fühlte, zeigte sich das Publikum hell begeistert.

Freitag, 17. 7.

Die Highlights am Freitag waren die Konzerte der australischen Rock-Band Eskimo Joe und des Berliner Sängers und Rappers Peter Fox. Eskimo Joe, die trotz ihres zwölfjährigen Bestehens in unseren Breitengraden noch als Geheimtipp gelten, überzeugten bei ihrem ersten Schweizer Auftritt mit Songs von stadiontauglichem Format. Insbesondere der Hit Black Fingernails, Red Wine und der sanfte Katersong Childhood Behaviour stachen hervor. Am 27. Oktober kehrt die Gruppe für ein Konzert ins Berner Bierhübeli zurück.
Peter Fox, dem mit seinem letztjährigen, ersten Solo-Abum Stadtaffe ein kometenhafter Aufstieg gelungen war (der ihm angeblich selbst so unheimlich ist, dass er überlegt, wieder zu seiner auf Eis liegenden Band Seeed zurückzukehren), verfolgte bei seinem Gig vor allem ein Ziel: die Leute zum Tanzen zu bringen. Mithilfe seiner mehrköpfigen Live-Band und den spektakulären Choreographien der ihn begleitenden Cold-Steel-Perkussionisten gelang ihm das spielend. Aberhunderte Fans bewegten sich, des strömenden Regens ungeachtet, zu den treibenden Rhythmen von Alles neu, Schwarz zu Blau oder dem Song mit dem bezeichnenden Titel Schüttel deinen Speck.

Samstag, 18. 7.

Am frühen Samstagabend bespielte zunächst die englisch-schwedische Rock-Band Razorlight die Hauptbühne, bevor sich so gut wie alle Festivalbesucher für die Headliner Oasis vor der Mainstage einfanden. Razorlight spielten netten Pop-Rock, Sänger Johnny Borrell wusste mit einer kraftvollen Stimme zu überzeugen; abgesehen von wenigen markanten Hits wie America oder Wire To Wire blieb das Set allerdings ziemlich unspektakulär. Oasis hingegen boten ein grosses Rockkonzert, das fast ausschliesslich aus Klassikern bestand: von Live Forever über Wonderwall und Don’t Look Back In Anger bis zu Stop Crying Your Heart Out wurde fast jeder Evergreen durchgespielt, den sich die Fans wünschen konnten. Was die Interaktion mit den Zuhörern angeht, zeigten sich die Gallagher-Brüder gewohnt distanziert, aber weniger arrogant als auch schon: Mehrmals wurde nach dem Befinden des Publikums (und nach einer Zigarette) gefragt, und nach dem letzten Stück, einer rauhen Cover-Version von I Am The Walrus, warf Liam seinen Schellenring in hohem Bogen in die Menge. Der anschliessende Gig der Schotten Glasvegas auf der Zeltbühne stellte – vor allem sound-technisch – eine Enttäuschung dar. Die ohnehin etwas einförmige Musik ging fast völlig im Dröhnen von Paul Donoghues masslos übersteuertem Bass unter. Während den ersten paar Lieder strömte das Publikum der vordersten Ränge gleich reihenweise aus dem Zelt ins Freie.

Sonntag, 19. 7.

Die Mundart-Gruppe Patent Ochsner hatte am frühen Sonntagnachmittag ein Heimspiel. Die solide Leistung der Band um Büne Huber wurde vom Publikum überschwänglich verdankt – und der Applaus mit der Zugabe W.Nuss vo Bümplitz belohnt.Mit halbstündigem Verzug begann um 17 Uhr das Konzert von Travis. Nach dem ersten Song entschuldigte sich Frontmann Fran Healy zunächst dafür, dass er kein «Swiss-Dutch» spreche (weshalb das Publikum mit seinem «Sco’ish» vorlieb nehmen müsse), dann für die Verspätung, welche die Band allerdings mit einem grossartigen Gig locker wett machte. Travis spielten ein erfrischend rockiges, energiegeladenes Set; ihre letzte, nicht gross beachtete Platte Ode To J. Smith hatte bereits auf eine Rückkehr zu den Brit-Pop-Wurzeln hingedeutet. Nebst vielen ‹Krachern› jüngeren und älteren Datums kamen aber selbstverständlich auch sanftere Hits wie Side oder Closer und Publikumslieblinge wie Sing oder Why Does It Always Rain On Me zum Einsatz. Healy demonstrierte die Nähe zu den Fans nicht nur in zahlreichen humorvollen Ansagen und Kommentaren, sondern ging auch ausgiebig auf Tuchfühlung mit ihnen: Singend kletterte er über die Brüstung ins Publikum, liess sich von Jungs auf die Schultern heben und tanzte charmant mit einem Mädchen. Als er die Zuhörer – auch diejenigen ganz hinten und auf der VIP-Tribüne – aufforderte, zum letzten Refrain von Why Does It Always Rain On Me das «grösste Pogo-Tanzen in der Geschichte des Gurtenfestivals» zu veranstalten, leistete jedermann Folge und trug zu einem kleinen Berner Erdbeben bei. Mit ihren Liedern, ganz besonders aber auch mit ihrer sympathischen, unprätentiösen Art, spielten sich Travis an diesem Nachmittag in die Herzen des Publikums.

Das letzte Konzert auf der Hauptbühne, der Auftritt der Kings Of Leon, darf als krönender Abschluss des Open-Airs gelten. Das Quartett aus den Südstaaten – die drei Söhne eines Wanderpredigers und deren Cousin – hat spätestens mit seinem vierten Album Only By The Night den Durchbruch in Europa geschafft. Alles drängte um halb acht Uhr zur Mainstage, um die jungen Rock-Helden spielen zu hören. Man wurde nicht enttäuscht: Von den frühen, rumpelnden Nummern (Molly’s Chambers, Taper Jean Girl) über die Prog-Rock-Songs vom dritten Album (Knocked Up, Charmer) bis zu den jüngsten Hits (Sex On Fire, Use Somebody) war alles dabei. Caleb Followill sang sich mit unverkennbar rauer, starker Stimme durch die nicht immer a priori massentauglichen Songs, die erfreulicherweise dennoch allesamt gleichermassen bejubelt wurden. Dies königliche Vergnügen im Schein der Abendsonne liess Regen, Schlamm und Strapazen der vorangegangenen Tage leicht vergessen.

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