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1. August 2009, 00:00 Campus

Wohin führt uns ein Bachelor-Abschluss der ETH?

Brennstoffzelle R - „Im Bachelor-Studium steht Effizienz im Vordergrund. Die Bologna-Reform soll den Studierenden mehr Freiräume geben und damit die Entwicklung selbstorganisierter Persönlichkeiten fördern,“ dies steht im Strategieplan der ETH. Sind begrenzte Wahlmöglichkeiten vereinbar mit ...

„Im Bachelor-Studium steht Effizienz im Vordergrund. Die Bologna-Reform soll den Studierenden mehr Freiräume geben und damit die Entwicklung selbstorganisierter Persönlichkeiten fördern,“ dies steht im Strategieplan der ETH. Sind begrenzte Wahlmöglichkeiten vereinbar mit engagierten Persönlichkeiten? Wenn Studierende sich an der ETH immatrikulieren, geben sie nicht nur mit dem kleinen Finger die ganze Hand, sondern sich als ganze Menschen.Um diesen effizienten Bachelor-Abschluss zu gewährleisten, wurden die Lehrpläne gestrafft. Wo bleibt die Zeit, die neuen Informationen mit anderen Studierenden auszutauschen? Wo ist der freie Raum, um eigene Ideen entstehen zu lassen? Bachelor-AbsolventInnen 2007 in Umweltnaturwissenschaften geben in einer Befragung an, der Aufwand für das Studium sei sehr gross und es bleibe wenig Zeit für vertiefte Auseinandersetzung mit einem Thema.Laut Prüfungsstatistik haben 46% der Elektrotechnikstudierenden die Basisprüfung 2008 nicht bestanden. Im ersten Jahr wird je nach Studiengang die Hälfte der Studierenden selektioniert. „Es ist schon merkwürdig, dass alle 'zwäge Lüt' rausgefallen sind“, bemerkt ein Mitstudent im 3. Semester.

Die Ausbildungsinhalte sind im wesentlichen spezifisch auf die Forschung zugeschnitten worden. Die ETH bildet die Studierenden aus, um aus ihnen die besten Köpfe für die Forschung rekrutieren zu können und sich ihren Rang im internationalen Ranking zu erhalten.Studierende, die nur mit Theorie „abgefüllt“, sind für die an sie gestellten Anforderungen am Arbeitsplatz schlecht vorbereitet: „Der Masterabschluss zeigt mir bloss, was jemand in der Lage war, zu lernen. Wieviel Kraft die Person effektiv 'auf den Boden bringt', zeigt letztlich die Praxis. Die Fachkompetenz ist das eine. Mindestens so wichtig sind die indiviuduellen Persönlichkeitsmerkmale,“ meint Beat Lutz von Lutz und Partner AG.In der Arbeitswelt sind neben dem Fachwissen Praxisbezug, Teamfähigkeit, Innovationsfähigkeit und viele weitere Sozialkompetenzen gefragt. Wie sollen wir konfliktfähig werden, wenn alle nur auf ihre eigenen Kreditpunkte schauen müssen?

Die von StudienberaterInnen und ProfessorInnen gehörte Aussage „Es geht allen gleich“, bringt keine Erleichterung, sondern verdeutlicht die Anpassung ohne jede Kritik, das Hinnehmen dieser Ausbildungsform ohne Frage nach der Bedeutung des Abschlusses.

In Departementsevaluationen stellte sich heraus, dass die Studierenden weniger eigenständige Fragen stellen. Dadurch verlieren die ProfessorInnen ihren Spass am Unterrichten und die ETH könnte gerade so gut Podcasts zur Verfügung stellen.

Der Konkurrenzkampf unter den Studierenden ist seit der Studienreform deutlich gestiegen und wenn jemand nicht geradlinig dem vorgeschlagenen Studienplan folgt, sondern nebenan arbeiten muss, hat die Person anschliessend Mühe, wieder ein gutes soziales Umfeld im Studiengang zu finden. Auch alle, welche die Prüfungen nicht auf Anhieb bestehen und diese später wiederholen, sind von diesem Problem betroffen – und nur schon das sind wie schon erwähnt durchschnittlich die Hälfte aller Studierender!

Der durch die Bolognareform gestiegene Leistungsdruck zeigt sich auch in der Zunahme von psychologischen Problemen: Im Vergleich zum Jahr 2007 wurde die psychologische Beratungsstelle der Uni und ETH Zürich im Jahr 2008 von ETH-Studierenden um 30% mehr in Anspruch genommen, während die Gesamtzahl der Studierenden nur um 6.3% zunahm. Die Produktivität der Studierenden wird durch psychische Probleme rasch in Mitleidenschaft gezogen, Angst und Selbstzweifel nehmen zu, Lernstörungen häufen sich und gute Arbeits- bzw. Lernmethoden werden vernachlässigt. Dies betrifft rund die Hälfte derjenigen, die psychologische Hilfe aufsuchen. Bei weiteren 30% wurde ein depressives Syndrom festgestellt, 7.5% zeigten Suizidgedanken und 5% leiden unter Essstörungen. 23% der Fälle leiden unter Prüfungsangst, wobei die Angst während des Lernens einen stärkeren Leidensdruck erzeugt als die akute Prüfungsangst.

Studierende genauso wie ProfessorInnen müssen sich dieser Ausbildungsform beugen. Warum stellen wir nicht alle gemeinsam diese Reform in Frage? Warum gibt es immer nur Einzelne, die das System hinterfragen? Woher kommt dieser grosse Effizienzdruck auf die Forschung, Industrie und schlussendlich Ausbildung? Gibt es einen Zusammenhang zum exponentiellen Wachstumswahn unserer Gesellschaft, der uns gerade wieder einmal in eine Krise gebracht hat?

Die „Ausbildung“ der ETH hat grosses Verbesserungspotential als „Bildung“, die Wissen weitergibt, ohne dieses direkt an den Leistungsdruck der Arbeitswelt und wirtschaftliche Interessen zu koppeln. Freiwillige Angebote in diese Richtung gibt es bereits. Doch für die ETH ist höchste Zeit den Weg von der „Ausbildung“ zur „Bildung“ einzuschlagen.

Eine integrale Bildungsform bedeutet, allen Studierenden mehr Eigenverantwortung zu geben und darauf zu vertrauen, dass mit weniger gefüllten Lehrplänen die Studierenden sich im Arbeitsleben gut zurechtfinden werden. Die Konsequenz heisst, den Bildungsinhalt in eine ausgeglichene Mischung verschiedenster Kompetenzen aufzuteilen und eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Nach dem Mittagessen können Bewegungsübungen angeboten werden, um die Hirnhälften zu vernetzen und den menschlichen Biorhythmus zu respektieren, morgens und abends soll Raum zur Verfügung gestellt werden, um „die Seele baumeln zu lassen“, sei es durch Handwerk oder Meditation. Für Studierende, die dafür ausgebildet werden, tragende Aufgaben in der Gesellschaft zu übernehmen, ist eine Bildung im beschriebenen Sinne wesentlich. Diese Bildung wird dann tatsächlich die im Strategieplan der ETH erwähnte Entwicklung von visionären Persönlichkeiten fördern.

Kommentare
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dollarhyde 07.08.2009 um 01:35
Hm, die Frage ist jetzt, inwiefern da ETH und Uni zu vergleichen sind. Als Student der philosophischen Fakultät gefällt mir, dass ich unter einer Vielzahl von Modulen wählen kann und in der Zeitplanung sehr frei bin. Den Aufwand fand ich immer machbar, allerdings stimmt schon, dass die Jagd nach Kreditpunkten die nähere Auseinandersetzung mit bestimmten Themen zu verhindern droht.
Meissenberg
Meissenberg 03.08.2009 um 12:22
Das ganze hat ja ev. System. Immer mehr psychische Krankheiten generieren immer mehr Psychopharmaka und benötigen mehr Ärzte, Psychologen etc.
Leider ist auf der ganzen Welt dieser Trend so festzustellen.
bkhrista
bkhrista 03.08.2009 um 11:59
Das stimmt alles. Aber es gilt nicht nur für die ETH sondern ein allgemeineres gesellschaftliches Problem. Was uns vom handeln abhält ist auch in diesen artikel beschrieben,das ist das System selbst. Wir sind viel zu sehr mit unseren Leistungen beschäftigt, und wir werden von alles andere dadurch abgelenkt, wir suchen sehr schnell das Problem bei uns selber statt in System(Voltaire: Candide (Leibniz) wäre heutzutage wieder aktuell).
Wir sind dazu erzogen worden.
Ich komme aus einem Land was Weltspitzenreiter ist beim Selbstmordraten(auch in alkoholkonsum und Krebs übrigens, und hat ein sehr niedriges Lebenserwartung für ein Industriestaat) weil Jeder ein Misslingen als eigene Versagen ansieht beschuldigt man sich selbst und das verhindert das Handeln. So schliesst sich ein Kreis und es werden noch viele Genertationen so aufwachsen weil das hier und jetzt: "die beste aller möglichen Welten" ist und es könnte nicht besser sein.(Gottfried Wilhelm Leibniz)
helafinebam
helafinebam 02.08.2009 um 20:06
Sehr spannend geschrieben - Hier liegt wirklich ein wesentliches Problem. Es ist ein wichtiges Problem, obwohl ich vom kanadischen System herkomme, was deutlich mehr strukturiert ist. Ich durfte während meinen 5 Jahren nur 6 Vorlesungen selbst wählen. Sonst war alles inhaltlich bzw. zeitlich vorgeschrieben.... ein Horror!
schaer1987 02.08.2009 um 14:52
Gut geschrieben. Ich glaube aber wenn man sich gut einteilt hat man schon seine Freizeit