DVD der Woche: Wiedersehen in Howards End
Christina Ruloff - James Ivorys Meisterwerk von E. M. Forsters Roman gibt es endlich auf DVD, dazu noch in einer wunderbaren Edition: So sollten Literaturverfilmungen immer sein!London, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Magisch ziehen sich die Familien Schlegel und Wilcox an, dabei könnten sie kaum ...
London, zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Magisch ziehen sich die Familien Schlegel und Wilcox an, dabei könnten sie kaum verschiedener sein: Die Schlegels widmen all ihre Zeit der Kultur; ob Literatur, Kunst, Musik, intellektuelle Konversation, oder sozialkritische Diskussionsclubs – sie gehen in diesem Universum voll und ganz auf. Vor allem die jüngere der beiden Schwestern Helen sieht die Welt nur noch durch ihre vergeistigte Brille. Margaret ist weit mehr in der Realität verankert; sie freundet sich sogar mit den Wilcox an, obwohl diese so anders sind: Reich, praktisch, opportunistisch und selbstbewusst verkörpern sie den modernen, herrschenden Menschen. Nur die alte Mrs. Wilcox fühlt sich in dieser neuen Welt unwohl und sehnt sich nach Howards End – ihrem alten Landhaus mit dem grossen, schattigen Garten und den Steineichen, ihrer eigentlichen Heimat. Als Mrs. Wilcox stirbt, scheint der Kontakt zunächst abzubrechen. Doch dann macht Mr. Wilcox Margaret plötzlich einen Heiratsantrag und sie willigt zum blanken Entsetzen ihrer Schwester ein. Und Leonard Bast taucht wieder auf. Der Bankangestellte, der den Schlegels wegen seines sensiblen Charakters so gefallen hatte, ist nun arbeitslos und am Verhungern. Dabei hat er doch auf einen Ratschlag von Wilcox gehört...
„The poor are poor, and one's sorry for them, but there it is.“, erklärt Wilcox und das ist bezeichnend für ihn. Er sieht die Welt ausschliesslich aus seiner Perspektive, derjenigen des erfolgreichen Geschäftsmanns. Und er verfügt nicht über die geistigen, schon gar nicht aber über die seelischen Möglichkeiten sich in andere hineinzuversetzen. Anthony Hopkins aber spielt ihn derart charmant und ehrlich wohlmeinend, dass er einem in seiner Beschränktheit schon fast Leid tun kann. Jedenfalls – und das ist einer der grossen Vorteile der Verfilmung gegenüber dem grossartigen Roman – wird endlich klar, warum Margaret (Emma Thompson, grossartig wie eh und je) ihn heiratet. – Nicht weniger limitiert, sondern noch weltfremder und damit weit gefährlicher sind die Ansichten der Schlegels. Die Welt ist für sie eine Art Experimentierfeld ihrer sich jeweils ändernden intellektuellen Überzeugungen. Wie sie Leonard Bast zugrunde richten, nicht obwohl, sondern wahrscheinlich gerade weil sie die besten Absichten hegen und ihm doch helfen wollen, sich selbst zu verwirklichen, ein „Mensch“ zu werden – das ist ebenso grotesk wie zwingend.
James Ivory inszeniert den unausweichlichen Lauf der Dinge einfühlsam, aber vor allem lässt er Charakteren, Landschaften und Häusern (gerade dem Titel gebenden Howards End) Zeit, sich zu entfalten und sich schliesslich zu verändern. Die Bilder von diesem lange untergegangenen England sind herrlich, vor allem aber atmosphärisch stimmig. Sie zeigen, dass der Regisseur das Buch versteht und liebt und sich bemüht hat, es möglichst akkurat, das heisst dem Autor Forster treu, umzusetzen. Und das ist ihm – auch dank der herausragenden Schauspieler mehr als gelungen: Wiedersehen in Howards End ist ein fantastischer Film!