Die Bronx der Schweiz?
Antonio Fumagalli - Ein Saudi wird schwer verletzt in den Strassen Genfs aufgefunden, verprügelt mit einer Eisenstange. Oder doch nicht? Für Al-Arabiya ist auf jeden Fall klar, dass die Rhônestadt für arabische Touristen nicht mehr sicher ist. Eine Reportage aus der „Schweizer Bronx“. Am Ab...
Ein Saudi wird schwer verletzt in den Strassen Genfs aufgefunden, verprügelt mit einer Eisenstange. Oder doch nicht? Für Al-Arabiya ist auf jeden Fall klar, dass die Rhônestadt für arabische Touristen nicht mehr sicher ist. Eine Reportage aus der „Schweizer Bronx“.
Am Abend des 16. Juli dieses Jahres liegt vor einem Nachtklub an Genfs edler Rue du Rhône ein schwerreicher Saudi am Boden, stark blutend am Kopf. Der Mann, der seit zwei Jahrzehnten seine Sommerferien in Genf zu verbringen pflegt, wird ins Spital transportiert, wo er operiert wird und zehn Tage im Koma liegt. Doch von all dem erfährt die Öffentlichkeit erst am 7. August, als der arabische Fernsehsender Al-Arabiya – der zweitwichtigste Sender im arabischen Raum nach Al-Jazeera – in einer Reportage den Fall schildert und gleich auch pikante Details mitliefert: So erfahren wir, dass dem bemitleidenswerten Herrn eine Eisenstange über den Kopf gezogen wurde, dass der Täter maghrebinischer Abstammung war und dass dem Saudi gleich auch noch die Kreditkarte gestohlen und belastet wurde. Kurz: Genf sei „so gefährlich wie die Bronx“ und als arabischer Tourist müsse man „vorsichtig, vorsichtig, vorsichtig“ sein. Ein Polizeikommmandant liefert auch kurzerhand eine Erklärung für die anscheinend markante Steigerung der Kriminalität, so sei diese auf die „Öffnung der Grenzen“ und die damit verbundene Abschaffung der Personenkontrollen zurückzuführen.
Kaum ist der Fall öffentlich geworden, beginnt das diplomatische Tauziehen. Der saudische Botschafter kritisiert das polizeiliche Vorgehen scharf und scheut sich auch nicht, die Regierung an den Pranger zu stellen. Ein erstes Treffen zwischen ihm und Laurent Moutinot, dem Genfer Polizeivorsteher, hat bereits stattgefunden, ein zweites mit weiteren Würdenträgern ist in Vorbereitung. Man erklärt, stellt klar und beschwichtigt – trotzdem ist die Aufregung, die Behörden seit ein paar Tagen in Atem hält, mit Händen greifbar. Selbst dem Aussenstehenden wird schnell klar, dass es bei der Affäre um viel geht – insbesondere um viel Geld.
In der Tat stellen die Touristen von der arabischen Halbinsel für die Genferseeregion gerade im Sommer einen nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor dar. Sie kommen in Scharen und lassen sich in der Regel nur in den besten Häusern nieder. 20 Prozent aller Hotel-Übernachtungen in den Sommermonaten gehen auf das Konto der Saudis, ihre zumeist in teuren Boutiquen getätigten Ausgaben dürften – gemessen an den Gesamtausgaben der Touristen – noch um einiges höher liegen. Im obersten Preissegment hängt ein ganzer Wirtschaftszweig massgeblich vom arabischen Obolus ab. Luxuskarossen mit Nummernschildern eines Golfstaates (!) gehören im Juli und August ebenso zum Stadtbild wie Familien, die von Bodyguards eskortiert der Seepromenade entlang schlendern. Gerade die Leibwächter seien in Genf dank der vergleichsweise geringen Kriminalitätsrate bis anhin allerdings seltener zum Einsatz gekommen als in anderen europäischen Städten – ein klarer Standortvorteil, den die Kantonsregierung auf keinen Fall aufs Spiel setzen möchte.
Genfs Tourismusindustrie lebt also zu einem beträchtlichen Teil vom guten Ruf, den die Stadt bei zahlungskräftigen Gästen aus dem nahen Osten geniesst. Und dieser ist nun vorerst einmal angeschlagen. Da nützt es auch nichts, dass sich die ganze Geschichte mittlerweile als ziemlich überzogen herausgestellt hat: Wie eine Überwachungskamera des Nachtklubs festhielt, war der erwähnte Tourist an jenem Abend nicht nur sturzbetrunken – pikanterweise ein Gesetzesverstoss in seinem Herkunftsland – und hat mehrere Besucher belästigt, seine Verletzungen rührten auch nicht von den Schlägen einer Eisenstange, sondern vom unglücklichen Aufprall auf dem Boden her, nachdem der unbekannte Täter ihm eine heftige Ohrfeige versetzt hatte. Zudem betrafen die Aussagen des Polizeikommandanten gar nicht den vorliegenden Fall, sondern wurden im Zusammenhang mit einer anderen Operation aufgenommen.
Ein klassischer Fall also einer Geschichte, die mit Halbwahrheiten gespickt zuerst medial aufgebauscht wird und danach als genereller Stimmungsbarometer herhalten muss. Ob sich die Reportage aber tatsächlich auf die Bettenauslastung in Genf auswirkt, wird sich wohl erst im kommenden Sommer zeigen – bei der nächsten Invasion der Petro-Millionäre vom Golf.
*Antonio Fumagalli ist in Zürich aufgewachsen und zwecks Studium vor bald fünf Jahren nach Genf gezogen. Er berichtet einmal monatlich „aus der Romandie“.
Am Abend des 16. Juli dieses Jahres liegt vor einem Nachtklub an Genfs edler Rue du Rhône ein schwerreicher Saudi am Boden, stark blutend am Kopf. Der Mann, der seit zwei Jahrzehnten seine Sommerferien in Genf zu verbringen pflegt, wird ins Spital transportiert, wo er operiert wird und zehn Tage im Koma liegt. Doch von all dem erfährt die Öffentlichkeit erst am 7. August, als der arabische Fernsehsender Al-Arabiya – der zweitwichtigste Sender im arabischen Raum nach Al-Jazeera – in einer Reportage den Fall schildert und gleich auch pikante Details mitliefert: So erfahren wir, dass dem bemitleidenswerten Herrn eine Eisenstange über den Kopf gezogen wurde, dass der Täter maghrebinischer Abstammung war und dass dem Saudi gleich auch noch die Kreditkarte gestohlen und belastet wurde. Kurz: Genf sei „so gefährlich wie die Bronx“ und als arabischer Tourist müsse man „vorsichtig, vorsichtig, vorsichtig“ sein. Ein Polizeikommmandant liefert auch kurzerhand eine Erklärung für die anscheinend markante Steigerung der Kriminalität, so sei diese auf die „Öffnung der Grenzen“ und die damit verbundene Abschaffung der Personenkontrollen zurückzuführen.
Kaum ist der Fall öffentlich geworden, beginnt das diplomatische Tauziehen. Der saudische Botschafter kritisiert das polizeiliche Vorgehen scharf und scheut sich auch nicht, die Regierung an den Pranger zu stellen. Ein erstes Treffen zwischen ihm und Laurent Moutinot, dem Genfer Polizeivorsteher, hat bereits stattgefunden, ein zweites mit weiteren Würdenträgern ist in Vorbereitung. Man erklärt, stellt klar und beschwichtigt – trotzdem ist die Aufregung, die Behörden seit ein paar Tagen in Atem hält, mit Händen greifbar. Selbst dem Aussenstehenden wird schnell klar, dass es bei der Affäre um viel geht – insbesondere um viel Geld.
In der Tat stellen die Touristen von der arabischen Halbinsel für die Genferseeregion gerade im Sommer einen nicht zu vernachlässigenden Wirtschaftsfaktor dar. Sie kommen in Scharen und lassen sich in der Regel nur in den besten Häusern nieder. 20 Prozent aller Hotel-Übernachtungen in den Sommermonaten gehen auf das Konto der Saudis, ihre zumeist in teuren Boutiquen getätigten Ausgaben dürften – gemessen an den Gesamtausgaben der Touristen – noch um einiges höher liegen. Im obersten Preissegment hängt ein ganzer Wirtschaftszweig massgeblich vom arabischen Obolus ab. Luxuskarossen mit Nummernschildern eines Golfstaates (!) gehören im Juli und August ebenso zum Stadtbild wie Familien, die von Bodyguards eskortiert der Seepromenade entlang schlendern. Gerade die Leibwächter seien in Genf dank der vergleichsweise geringen Kriminalitätsrate bis anhin allerdings seltener zum Einsatz gekommen als in anderen europäischen Städten – ein klarer Standortvorteil, den die Kantonsregierung auf keinen Fall aufs Spiel setzen möchte.
Genfs Tourismusindustrie lebt also zu einem beträchtlichen Teil vom guten Ruf, den die Stadt bei zahlungskräftigen Gästen aus dem nahen Osten geniesst. Und dieser ist nun vorerst einmal angeschlagen. Da nützt es auch nichts, dass sich die ganze Geschichte mittlerweile als ziemlich überzogen herausgestellt hat: Wie eine Überwachungskamera des Nachtklubs festhielt, war der erwähnte Tourist an jenem Abend nicht nur sturzbetrunken – pikanterweise ein Gesetzesverstoss in seinem Herkunftsland – und hat mehrere Besucher belästigt, seine Verletzungen rührten auch nicht von den Schlägen einer Eisenstange, sondern vom unglücklichen Aufprall auf dem Boden her, nachdem der unbekannte Täter ihm eine heftige Ohrfeige versetzt hatte. Zudem betrafen die Aussagen des Polizeikommandanten gar nicht den vorliegenden Fall, sondern wurden im Zusammenhang mit einer anderen Operation aufgenommen.
Ein klassischer Fall also einer Geschichte, die mit Halbwahrheiten gespickt zuerst medial aufgebauscht wird und danach als genereller Stimmungsbarometer herhalten muss. Ob sich die Reportage aber tatsächlich auf die Bettenauslastung in Genf auswirkt, wird sich wohl erst im kommenden Sommer zeigen – bei der nächsten Invasion der Petro-Millionäre vom Golf.
*Antonio Fumagalli ist in Zürich aufgewachsen und zwecks Studium vor bald fünf Jahren nach Genf gezogen. Er berichtet einmal monatlich „aus der Romandie“.
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