Applause @ Zurich Film Festival
Christina Ruloff - Der tiefe Fall einer Schauspielerin: Paprika Steen beeindruckt als eine Frau, die lernen muss, zuzugeben, dass sie ihr Leben nicht im Griff hat – und schafft grosses, quälendes Schauspielerkino.Die Martha im Drama „Who's Afraid of Virginia Woolf?“ ist eine ihrer Paraderoll...
Die Martha im Drama „Who's Afraid of Virginia Woolf?“ ist eine ihrer Paraderollen: Wenn sie sich von ihrem Mann George beschimpfen lässt, um es ihm mit gleichen Mitteln zurückzuzahlen, dann schallt ihr begeisterter Applaus entgegen. Die naive Theater-Assistentin kann sich von Bewunderung kaum einkriegen. Die über-reale Darstellung hat jedoch ihren Preis: Martha heisst in Wirklichkeit Thea Barfoed und ist jenseits der Bühne allein, verzweifelt, desillusioniert und wütend. Mit ihrer Alkoholsucht und ihren unkontrollierbaren Aggressionen hat sie ihren Mann und ihre Kinder von sich entfremdet. Nachdem sie auf dem Höhepunkt ihrer Krise gänzlich auf das Sorgerecht verzichtet hat, will sie nun wieder eine Beziehung zu ihren Söhnen aufbauen, und so etwas wie ein normales Leben führen... um jeden Preis.
Applause ist grosses, quälendes und emotional verzehrendes Schauspielerkino mit Paprika Steen in der Rolle ihres Lebens. Steen kämpft als Thea mit allen Mitteln darum, sich wieder in das Leben ihrer Kinder zu katapultieren – und jeder ihrer Versuche ist zum Scheitern verurteilt, weil diese Frau schlicht nicht im Stande ist, Verantwortung für irgendjemanden zu übernehmen. Sie selbst windet sich mit grössten Kraftanstrengungen durch die Tage und Nächte, immer versucht, zur Flasche zu greifen und überall auf der Suche nach Bestätigung und Lob. Anspruch und Realität klaffen immer weiter auseinander, je krampfhafter Thea sich zwingt, eine „Mutter“ zu sein. Wie sie sich mit einem viel zu teuren Geschenk die gute Beziehung zur neuen Partnerin ihres Exmannes erkaufen will, oder wie sie hilflos durch Toys’r’us jagt auf der Suche nach einem Geschenk für die Kinder, von deren Geschmack und Vorlieben sie keine Ahnung hat, – das ist grosses, weil wahres Kino. Martin Pieter Zandvliet gelingt es, auch dank der gnadenlos beobachtenden Handkamera, jedes Klischee zu umschiffen und das Drama der Thea zu einer allgemeingültigen Geschichte einer von Leben und Beziehungen überforderten Frau zu verdichten. Es ist schade, dass er den Dogma-Stil nicht durch den ganzen Film durchgehalten hat und es so zu Brüchen kommt. Und das gewollte, überdeutliche Ende passt nicht richtig zum restlichen stillen, starken Film.
Applause ist aber ein Kinoerlebnis – für alle, die die Nerven haben, Paprika Steen 90 Minuten auf ihrem qualvollen Weg zur Selbstbehauptung zu begleiten.
Weitere Vorstellungen: 28. September 18.30 Arthouse Le Paris