Interview mit Bela B
Dominik Mösching - Es ist 18.30 Uhr. Im Schweizer Sony-Hauptquartier begrüsst mich ein wie immer hervorragend gekleideter Bela B mit kollegialem Handschlag und bittet mich freundlich, Platz zu nehmen. "Willkommen in der guten Stube", lacht er. Auch nach einem langen Promo-Tag in der Schweiz, nach ...
Bela, lass uns ein bisschen über Rollen und Identität sprechen. Wenn wir nämlich das Cover deiner zweiten Platte "Code B" betrachten, dann sehen wir Bela B, der eine Bela B-Maske abnimmt. Kriegen wir nun also den eigentlichen Bela zu hören? Jemanden, den wir nach fast drei Jahrzehnen die Ärzte noch nicht kennen?
(lacht) Nun, jein. Das Cover ist als Artwork entstanden, das an sich funktionieren und für sich selber stehen soll. Wir haben mit der aufwändigen Bela-Maske viele assoziative Fotos gemacht, die sich um Images und um die Frage drehen, was echt ist und was nicht. Das gefiel uns als Metapher sehr gut. Aber die Platte ist weder im Hinblick auf das Cover geschrieben, noch habe ich das Cover im Hinblick auf die Songs gemacht. "Code B" ist kein Konzeptalbum. Aber natürlich ist es ein anderer Bela B als denjenigen, den man von den Ärzten kennt. Zum einen lasse ich musikalisch andere Sachen zu, und zum anderen ist es ein ... (überlegt) offenerer Bela als bei den Ärzten. Ich gebe als Texter mehr Einblicke in meine Seelenwelt, wenn man das so hochtrabend formulieren will. Insofern kann man das Cover schon auch so deuten, ja.
Die Songs sind in der Tat ernster und legen tiefere Schichten deiner Persönlichkeit frei als bei den Ärzten, wo ihr den Dadaismus zelebriert. Dort spielt ihr ja gerade mit verschiedenen Ebenen und Mehrdeutigkeiten, erzählt in ganz verschiedenen Rollen teilweise haarsträubende Geschichten. Ihr huldigt dem Unsinn mit dem Zweck, irgendwo auch eine Distanz zu sich selbst zu schaffen und sich nicht so ernst zu nehmen.
Gut, dass du Dadaismus sagst, genau so sehen wir das bei den Ärzten selbst auch. Der riesige Haufen Quatsch dient natürlich dazu, Erwartungshaltungen zu pulverisieren, was uns enormen Spass macht. Neben Dada, Gaga, Ironie und schwarzem Humor gehen da aber auch komplett ernste Sachen – gerade, weil der Ärzte-Mikrokosmos alles zulässt. Auf der anderen Seite erlaube ich mir auf meinen Soloplatten einen stärkeren roten Faden, sowohl musikalisch als auch textlich. (überlegt) Um auf den Dadaismus zurückzukommen: Beim letzten Stück auf "Code B", "Der Wahrheit", beziehe ich mich Kurt Schwitters – den grössten Dadaisten, den es je gegeben hat. Sein Essay über die Wahrheit hat mich zum Text inspiriert. Das ist eigentlich interessant: Ich bediene mich zwar auch Solo bei Dada, zelebriere es aber überhaupt nicht. Das Lied ist unglaublich bitter und würde deshalb bei den Ärzten so dann doch nicht auftauchen.
„Wir zimmern uns das eigne Ich“, heisst es im Song. Grundsätzlich tun wir das ja alle irgendwie, auch ohne bewusstes Lügen und Blenden, wie du das dort beschreibst. Gerade in der Jugend werden die Werte geprägt, die für die eigene Identität wichtig sind. So gesehen haben die Ärzte mit ihrer augenzwinkernden Weltsicht schon bei Generationen von jugendlichen Ärzte-Fans am Ich-Haus mitgezimmert.
Das macht uns natürlich immer wahnsinnig stolz, wenn wir solche Geschichten hören. Wir haben schon so viele Leute getroffen, denen wir in schwierigen Lebenssituationen durch unsere Songs etwas gegeben haben. Das war schon in den Achtzigern so, und inzwischen haben wir drei oder vier Generationen von Fans im Publikum.
Meine Mutter ist übrigens ein grosser Fan. Sie wird nächstes Jahr sechzig.
Ach echt? Wow! Das ist dann doch eher selten (lacht). Aber wir hatten tatsächlich sogar schon einmal eine achtzigjährige Frau im Publikum, die von ihrem neunzehnjährigen Hausmeister zum Konzert und in die erste Reihe gebracht wurde. Die ganze Halle hat applaudiert, und wir auf der Bühne auch. Sie stand dann auch ein Lied lang vorne. Wir haben versucht, nicht ganz so laut zu spielen (lacht).
Unterscheidet sich denn die tägliche Arbeit des Ärzte-Bela B von derjenigen des Solo-Bela B?
Ja, natürlich. Im Gegensatz zu den Ärzten, wo ich Teil eines Teams bin und die Geschmackspolizei aus drei Beamten besteht, bin ich bei der Solo-Platte der alleinige Boss. Es ist definitiv ein Ego-Trip, auch wenn ich natürlich mit Produzenten und Mitmusikern die Songs optimiere. Auf der zweiten Platte verwirkliche ich mich noch konsequenter selbst, weil ich im kompositorischen Bereich nun alles selber gemacht habe. Das war die richtige Entscheidung.
Trotzdem hast du natürlich Gäste auf der Platte. Zum Beispiel Chris Spedding, der bei "Ninjababypowpow" und "In Diesem Leben" Gitarre spielt. Besteht da zunächst die allgemeine Idee, zusammen zu arbeiten, oder existiert zuerst ein Song, der dich beispielsweise dazu bringt zu sagen "dieses Solo kann nur Chris spielen?"
Das ist unterschiedlich. Chris Spedding wollte ich schon beim ersten Album "Bingo" dabei haben, was nicht geklappt hat. Nun haben wir ihn glücklicherweise aus London einfliegen können. Welche Songs es dann werden sollten, haben wir erst im Studio entschieden. Aber es ist geradezu einfach, einen grandiosen Gitarristen irgendwo einzubauen. Auch bei Marcel Eger, dem schlagzeugspielenden Fussballer, und Filmmusik-Komponist Alessandro Alessandroni habe ich erst nach der Anfrage überlegt, wo ihr Beitrag liegen könnte. Beim Duett mit Emmanuelle Seigner lief es umgekehrt. Der Song "Liebe Und Benzin" ist als Duett geschrieben, und zum Glück hat sie dann zugesagt.
Hat sich dein Songwriting verändert, seit du neben dem Schlagzeug nun auch die Gitarre beherrschst?
Gut, nur weil ich auf der Bühne ein paar effektive Sachen spielen und am Lagerfeuer bestehen kann, reicht mein Gitarrenspiel nicht für eine Jam-Session mit echten Cracks wie Rodrigo und Farin (lacht). Aber die Beschäftigung mit der Gitarre hat mir für das Songwriting sicher sehr geholfen. Ich kann zum Beispiel Film-Sounds nacheifern oder schöpfe aus dem Nachspielen von Twang-Heroen wie den Ventures. Dadurch wage ich mich automatisch an neue Sachen ran. Aber klar, als Schlagzeuger kommt mir auch oft erst ein bestimmter Rhythmus in den Sinn, der dann als Basis für eine Melodie oder eine Parole dient. Der Song "Hilf Dir Selbst" ist so ein Fall. Nun, und dann setzte ich mich zuhause hin und die Fragmente zusammen. Aber aus einer guten Idee lässt sich halt nicht immer ein tolles Omelett backen, manchmal kommt nicht einmal Knäckebrot heraus (lacht).
Wie erkennst du, ob du gerade ein hitverdächtiges Omelett gebacken hast?
(Überlegt) Merken, was ein Hit ist, das kann und will ich gar nicht. Ich schreibe nicht im Hinblick auf eine Reaktion. Naja, beim Fanchor des prädestinierten Konzert-Openers "Rockula" hoffe ich natürlich schon, dass der dann beim Konzert am 28.11. in Zürich ganz spontan ertönen wird (lacht). Aber wenn du irgendwann aus Prinzip anfängst darüber nachzudenken, was erfolgreich sein könnte und was die Leute mögen könnten, dann fängst du an, dich zu verleugnen. Und das ist dann, glaube ich, die erste Stufe nach unten.
Aber wie merkst du denn für dich persönlich, ob der Song gute Musik ist?
Das hat mit meinem Zufriedenheitsgrad zu tun, damit, dass ich beim Anhören etwas spüre. Wenn es mich einfach erfüllt. "Code B" ist zum Beispiel eine Platte, die ich mir kaufen würde, das kann ich unterschreiben (lacht). Aber ob es über dieses Gefühlsmässige hinaus eine Regel für gute Songs gibt? Ich weiss es nicht. Es gibt viele Regisseure und Schriftsteller, die es wichtig finden, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten...
...um die gegebene Kreativphasen-Zeit möglichst effizient auszunutzen...
...genau. Das habe ich mir auch einmal vorgenommen, es aber einfach nicht hingekriegt. Naja, ich habe mich halt irgendwann entschlossen, keinen Nine-To-Five-Job zu machen. Bei aller Vernunft, die einem mit dem Alter zufliegt, kann ich jetzt nicht plötzlich fixe Arbeitszeiten zelebrieren, es klappt nicht. Ich muss halt einfach auf Eingebungen warten, die nicht immer kommen. So kann ich mich völlig unvernünftig die ganze Nacht hindurch bis um acht Uhr morgens mit einer kleinen Gitarrenmelodie aufhalten. Um dann ins Bett zu gehen und zu wissen: Dieser Tag ist gelaufen.
Gibt es Dinge, die du irgendwann geschrieben hast und die dich heute total nerven?
Bei den Ärzten gibt es das definitiv, was natürlich besonders schwierig ist, wenn es tatsächlich Leute gibt, die solche Songs noch hören wollen. Aber wir lassen uns von niemandem unter Druck setzen, von der Plattenfirma nicht und auch von den Fans nicht. Klar erfüllen wir bis zu einem gewissen Grad die Wünsche der Leute, aber wir wollen auch keine Oldie-Show sein. Ich glaube, die vollen Konzerte geben uns da recht. Aus der etwas unglücklichen Zwischenphase bei Depp Jones – das war in der Zeit, als sich die Ärzte zeitweilig aufgelöst hatten – gibt es natürlich auch Stücke, bei denen ich mich frage, ob das jetzt wirklich hätte sein müssen. Aber ich bereue lieber Dinge die ich nicht getan habe als Dinge, die ich getan habe. Insofern war das alles wichtig für meine Entwicklung und um mich zu dem Menschen zu machen, der heute hier sitzt. Und der hoffentlich ein Guter ist.
Und welchen Song auf der neuen Platte findet denn dieser gute Mensch, der heute hier sitzt, am besten?
Das kann ich im Moment nicht sagen, dazu ist "Code B" noch zu frisch. Es sind vierzehn Songs, die alle gleich geliebt werden von Papa Bela. Sie kriegen alle am Morgen ihr Müsli von mir gekocht, mittags ihren Brei und abends noch ein Stullchen.
Und da kriegen auch alle genau gleich viel ab?
Ja (lacht). Aber für die Konzerte müssen wir zwangsläufig auswählen. Da werde ich meine Vaterliebe dem einen oder anderen Song vielleicht ein bisschen entziehen müssen (lacht).
Aber vielleicht gibt es Stücke, die dir inhaltlich oder wegen der Entstehung näher stehen als andere.
Grundsätzlich stehen mir wirklich alle sehr nahe. Es gibt natürlich fiktivere Texte wie "Ninjababypowpow", eine Metapher für Unterwerfung und Sex. "In Diesem Leben" ist hingegen sehr persönlich. Vordergründig interpretiert man es als Freibad-Song, der das Leben zelebriert. Tatsächlich geht es um den Tod. Es gab einmal einen Moment, in dem ich knapp am Tod vorbeigeschrammt bin und eine Art Leichtigkeit empfunden habe, von der der Text handelt. Aber mir ist eigentlich lieber, wenn die Leute den Song – der wirklich sehr positiv tönt und davon handelt, dass man keine Angst haben muss – ohne düstere Assoziationen weiterhin als Sommerlied geniessen können. Oder auch Dinge wie "die grosse Liebe" hineininterpretieren können.
Du singst in diesem Lied, wie du die wärmende Sonne im Gesicht geniesst wie nie zuvor. Das habe ich tatsächlich auch ein bisschen als ironischen Bruch mit dem Ärzte-Bela wahrgenommen. Dem Grafen Bela also, der als dunkler Vampir- und Dracula-Fan die Nacht besingt und von der Sonne höchstens den Tod zu erwarten hat.
Okay, nun...nein (lacht). Aber siehst du, dafür sind Texte ja auch da. Dass die Leute sich damit auseinandersetzen und im besten Fall Dinge assoziieren können, die für sie stimmig und wichtig sind. Insofern möchte ich jeweils auch gar nicht zu viel über die Entstehung der Texte preisgeben, um die subjektive Interpretation nicht zu stark zu prägen.
Das wirft eine weitere Rollenfrage auf: Diejenige nach der Unterscheidung des öffentlichen Bela B von der Privatperson Dirk Felsenheimer. Darum dreht sich auch dein Song "1,2,3" vom ersten Album "Bingo". Gerade über persönliche Texte kann man ja schnell einmal das Gefühl bekommen, einen Künstler auch als privaten Menschen zu kennen.
Ich gebe in meinen Texten sicherlich sehr viel von mir preis. Insofern ist natürlich in Bela B viel Dirk drin. Bela, das bin ich. Ich habe mich mit neunzehn Jahren so genannt, und ich identifiziere mich auch komplett mit allem, was ich tue. Letztendlich hat ein Verkäufer, der acht Stunden am Tag zu allen Leuten nett sein muss, eine grössere Bürde zu tragen: Er muss sich in seiner beruflichen, quasi öffentlichen Rolle mehr verstellen als ich. Aber ich bin klar der Meinung, dass alles, was man über einen Künstler wissen sollte, in seinem Werk zu finden ist. Dinge, die ich nicht selbst in die Öffentlichkeit trage, will ich eigentlich auch nicht dort sehen. Zum Glück lenken Berufsprominente, die ein gesteigertes Interesse daran haben, öffentlich stattzufinden, stark von mir ab. In der ganzen Zeit mit den Ärzten habe ich erst zwei Paparazzi-Attacken erlebt, und die waren nicht besonders wild. Insofern bin ich froh, dass dieser Kelch so halbwegs an mir vorübergeht. Aber klar, ich werde häufig erkannt und die Leute haben höchst unterschiedliche Arten damit umzugehen. Gerade im Internet verbreiten sich gewisse Geschichten dann halt schnell. Das ist der Preis, den man zahlt. Da kann ich mittlerweile gut mit leben (lacht).
Gleichzeitig machst du auch ab und zu deine private Meinung öffentlich, wenn es um politische Themen geht – auch wenn sich du und die Ärzte angenehmerweise nicht in alle aktuellen Debatten einmischen.
Klar, aber da geht es dann nicht nur um Themen, die mich selbst betreffen. Natürlich: ich bin kein Politiker. Zu viel mehr als einer Parole reicht es meistens nicht. Aber wenn ich meine Bekanntheit nutzen kann, um dem einen oder der anderen vielleicht einen Denkanstoss zu geben? Da sehe ich mich schon in der Verantwortung. Ausserdem haben Organisationen wie Attac oder Kein Bock auf Nazis durch mich die Möglichkeit, mehr Leute zu erreichen.
Bela, ich danke dir für das Gespräch!
Wer Bela B nicht nur als überlegten Zeitgenossen, sondern auch in der Rolle als Rampensau erleben möchte, hat am Samstag, 28.11.09 Gelegenheit dazu. Er spielt dann mit seiner Band Los Helmstedt in der Alten Börse in Zürich. Das students.ch-Preview findest du hier.