Pascal Finkenauer
Michelle Ziegler - Finkenauers zweites Soloalbum ist seit zwei Tagen in den Läden erhältlich. Students.ch sprach mit dem deutschen Musikpoeten über (die) „beste Welt,“. Students.ch: Deine Musik lebt von den poetischen Texten, mit denen du sie speist. Schreibst du auch sonst? Ja, ich schreib...
Students.ch: Deine Musik lebt von den poetischen Texten, mit denen du sie speist. Schreibst du auch sonst?
Ja, ich schreibe Texte und Geschichten. Das ist meine Leidenschaft. Es macht mir Freude, mit Sprache umzugehen. Aber wenn ich Musikstücke schreibe, beginne ich immer mit den musikalischen Ideen. Diese bringe ich dann zusammen mit Fragmenten von Texten oder ganzen Gedichten, die schon zuvor bestanden haben.
Students.ch: Was dient dir als Inspiration fürs Schreiben?
Das kann vieles sein. Manchmal kleine Details wie jemand der vor mir sitzt, einen Finger bewegt, oder aber zum Beispiel, wenn neben mir eine Bombe einschlägt. Das hängt stark mit der Stimmung zusammen, in der ich gerade bin. Da nehme ich die Dinge unterschiedlich wahr, was wiederum in den Texten zum Ausdruck kommt.
Students.ch: In den Texten deiner neuen Platte „beste welt,“ tauchen Personen auf mit besonderen Charaktereigenschaften und Ansichten. Kannst du dich mit diesen Figuren identifizieren?
Wenn ich mit „ich“ spreche, dann kann ich mich schon mit der jeweiligen Rolle identifizieren. Wenn ich „du“ sage, handelt es sich nicht gezwungenermassen um eine Person. Es kann dann auch eine Personifizierung eines Objektes sein. Etwa in ich kann dir nicht widerstehen meine ich nicht unbedingt eine Person mit „du“. Oft lasse ich freie Lücken entstehen, die aufgefüllt werden können vom Hörer. Beim „du“ mag ich das Spiel mit den Beziehungen, Beziehungen zu Menschen oder zu Objekten.
Students.ch: Manchmal zwischen den Gebäuden“ handelt von einem, der nicht mitmacht im Alltag, der zwischen den Häusern steht und das Leben kommentiert. Kannst du dich mit dieser Beobachterrolle identifizieren?
Ganz klar. Ich habe auf der neuen Platte versucht, Dinge zu beschreiben, möglichst wertfrei, das quasi journalistisch anzugehen. An anderen Stellen kann „ich“ auch eine Person sein, die Dinge tut, die auf den ersten Blick etwas seltsam tönen. Darüber lächeln gewisse Leute dann im Konzert. Dann gehen sie nach Hause und machen etwas ebenso Beklopptes. Die meisten Leute machen dieselben verrückten Dinge. Das muss nicht „ich“ sein. „Ich“ kann jeder sein. Und ich bin Teil der anderen. Für dich bin ich schon ein anderer. Im Endeffekt bin ich wie die anderen und beobachte Dinge an den anderen, aber auch an mir. Ich bin weit davon entfernt zu wissen, wie man Dinge anders tun könnte.
''Ich' kann jeder sein!'
Students.ch: Deine neue Platte trägt den Titel „beste welt,“. Viele der Lieder sind doch aber enorm traurig...
... Es steht ja auch ein Komma nach „Beste Welt,“. Das Album heisst „Beste Welt,“ ohne Frage- und ohne Ausrufungszeichen, weil es sie nicht gibt, die beste Welt. Das glaube ich zumindest. Und es gibt auch keine schlechteste Welt. Ich spreche damit auf diese Diskussion an, die vor allem im religiösen Bereich geführt wurde. Das Dilemma wird anhalten. Und daraus entstehen Geschichten. Es gibt Momenten, da bist du glücklich, eine Stunde später ist alles der grösste Mist. Das versuche ich auszudrücken. Ich hoffe, dass all das weit entfernt ist von einem Zeigefinger, der sich entgegenstreckt. Weil diese erhobenen Zeigefinger kann man so gut wie nie gebrauchen.
Students.ch: In „Hab ich dir schon erzählt“ sprichst du von den unglaublichen Dingen, die passieren können. Du erzählst von den Leuten, die „nebenan das Vertrauen still in Kisten eingegraben haben“. Oder davon, „dass sie weiter drüben alle Wahrheit eingeäschert stumm zu Grabe tragen.' Da wird die Kälte zwischen den Menschen gänzlich spürbar.
Ja, es sind schon Protestlieder auf der neuen Platte, aber nicht im politischen Sinne, mehr im emotionalen. Ich selber bin davon aber nicht ausgeschlossen. Ich kann mich dabei ertappen, dass ich über lapidare Dinge daherquatsche, weil das da draussen von mir gefordert ist. Das prangere ich als Gesamtsituation an, die mich auch selber betrifft.
Students.ch: Ein starkes Bild sind im gleichen Stück die Leute, die 'stille Kinder züchten, fern von Ärger und von Flüchen.' Wie machst du das persönlich? Wie drückst du deinen Ärger aus? In der Musik?
In der heutigen Zeit sind für mich alle Grenzen so weit ausgeweitet, dass wir nicht mehr wissen, was damit anfangen. Die Wütenden wissen nicht mehr, wie sie ihre Wut ausdrücken können, wie sie den Leuten auf die Nerven gehen können. Das Gefühl verläuft ins Nichts.
Für mich ist die im Stillen geführte Auseinandersetzung die Konsequenz aus der Freiheit.
Students.ch: In „Mittendrin“ ist die Musik brutal, es gibt geschriene Stellen. Ist das ein Überbleibsel vom Punk, den du früher gemacht hast?
Für mich ist Punk schwer definierbar. Es geht um eine Haltung, nicht um das Iro- oder Lederjackentragen. Es ist eher eine Grundhaltung der Individualität.
Students.ch: Dagegen finden sich oft sehr romantische Bilder in deiner Musik. Wirst du manchmal kritisiert, dass die Bilder zu kitschig sind? Oder dass sie, wenn schon, nicht musikalisch genau so soft verpackt sind?
Ich hätte kein gutes Gefühl, wenn ich jedem gefallen würde. Denn ich mache die Musik, die ich machen möchte. Manchmal ist es schwierig, mich in deutscher Sprache auszudrücken, weil gewisse Wörter schon besetzt sind. Wenn ich eines benutze, das zu stark beladen ist, überlege ich und suche nach einem anderen. Doch dieses Wort drückt genau dies aus, was ich sagen möchte. Dann lasse ich es. Und stosse an bei den Leuten. Meinetwegen.
Students.ch: Den Leuten fällt es ja schwer, dich in keine Kategorie stecken zu können. Wie beschreibst du deine Musik selbst? Welches sind die Kategorien, mit denen du dich identifizieren kannst?
Ich kann und will mich nicht festlegen. Es gibt in meiner Musik so viele verschiedene Momente, die ich mit einem Stil gar nicht ausdrücken könnte. Zu einer wütenden Stimmung passt Punkrock, zu einer schwungvollen Bossa Nova.
Students.ch: Was magst du an der Musik des Punk?
Früher habe ich in einer solchen Band gesungen (mit Namen „Exhaust“, Anm.d.Red.). Das war progressiver Hardcore, der aber stellenweise so wie in meinen jetzigen Stücken war. Daran mag ich die Energie und die Unmittelbarkeit. Aber heute verwende ich davon nur noch Zitate, denn damals war ich sechzehn. Unterdessen habe ich Neues entdeckt.
Students.ch: Was magst du an Jacques Brel?
Er war auf der Bühne wie ein Punk. Er hat eine Dreiviertelstunde gespielt vor jenem bourgeoisen Publikum, hat ihm seine Beobachtungen und Verse um die Ohren gehauen, sich verausgabt. Es ist jene Verbindung aus Wut und Leidenschaft, Poesie und Schweiss, die mich inspiriert.
Students.ch: Was magst du an Miles Davies?
Er ist auch eine jener Personen, die Grenzen aufgebrochen haben. Er hat Dinge einfach so gemacht, ohne zu wissen wie die Menschen darauf reagieren. Und anscheinend hat er auf Knöpfe gedrückt, die etwas ausgelöst haben.
Students.ch: Deine neue Platte klingt etwas ruhiger als deine erste. Ist das bewusst passiert?
Nein, ich finde nicht. Sie ist sogar wütender.
Students.ch: Ja, in den Texten. Aber sie tönt hin und wieder sehr poppig.
Es war auf jeden Fall nicht beabsichtigt. Manchmal zwischen den Gebäuden ist vielleicht das poppigste Lied geworden. Wobei dort das Poppige Intention ist. Die Melodieführung erinnert an ein Kinderlied. Und damit führt es schon wieder weg vom Pop. Und übrigens, es gibt tolle Künstler im Popbereich!
Students.ch: Was ist für die Zukunft angesagt?
Erstmals gehen wir mit der neuen Platte auf Tournee...
Students.ch:... in der Schweiz.
Nein. Erstmals ist Deutschland angesagt.
Students.ch: Eine letzte Frage: Wo kaufst du deine Hüte?
(lacht) Es gibt tolle Hutläden in Hamburg, wo man sich die zusammenkaufen kann.