Troubled Water
Christina Ruloff - Schuld und Sühne in Norwegen: Erik Poppes Film über ein Verbrechen und seine Folgen für alle Beteiligten ist stark an der Grenze dessen, was der Durchschnittszuschauer ertragen kann; dafür ist Troubled Water eine immense Bereicherung, mit einer starken visuellen Sogwirkung!Vo...
Vor acht Jahren soll Jan ein Verbrechen begangen haben; er war bei der Entführung eines Kindes beteiligt, das schliesslich auf mysteriöse Weise zu Tode gekommen und verschwunden ist. Nun wird der junge Mann aus dem Gefängnis entlassen und soll ein „neues Leben“ beginnen. Mit viel Glück findet er sogar eine Stelle als Kirchenorganist in seinem Heimatort. Die engagierte Jung-Pfarrerin scheint sich auch privat für ihn interessieren. Nur taucht plötzlich die Mutter des verstorbenen Kindes auf und will endlich Gewissheit haben, was an diesem Nachmittag wirklich passiert ist...
Darf sie ihm trauen? Und darf er sich selber trauen? Pal Sverre Valheim Hagen verkörpert die innere Zerrissenheit grossartig.
Kann man die Vergangenheit hinter sich lassen? Gibt es so etwas wie einen Schlussstrich? Enden Schuld, Selbsthass und Angst irgendwann? Kann man sich selber vergeben? Und können vor allem auch die anderen, die Opfer vergeben? Erik Poope stellt in seinem neuen Film viele, wesentliche und komplexe Fragen: Jan möchte ein sogenannt „neues Leben“ beginnen, er nennt sich nun Thomas und gibt sich Mühe alles immer richtig und korrekt zu machen. Doch hinter der sorgsam aufgebauten Fassade herrscht die nackte Angst, erkannt, ertappt, entdeckt, beschuldigt, hinterfragt und verurteilt zu werden. Tag und Nacht ringt er mit sich und seinem Verhalten an diesem einen verhängnisvollen Tag und kann die Bilder nicht verdrängen. Poope stellt seiner Perspektive die der Mutter gegenüber, die sich andauernd die gleichen quälenden Fragen stellt, ohne eine Antwort zu finden: Hätte sie ihren Sohn im Kinderwagen nicht (wie bislang immer) einen Moment vor dem Café alleine lassen dürfen? Wäre er noch am Leben, hätte nicht jemand Schokolade über ihren Pullover geleert und hätte sie diesen nicht auf dem Klo zu putzen versucht? Hätte, wäre, würde – die Gedankenkette ist endlos. Sie hindert die Frau daran, ein „normales Leben“ zu führen, sich ihrem Beruf, ihrem Mann und ihren beiden (adoptierten) Kinder vollständig zu widmen, zu leben. Die Selbstvorwürfe, das schlechte Gewissen, die Ungewissheit treiben sie an den Abgrund. Und ihre Empörung, dass Jan sich nun als gefeierter Orgelspieler eine neue Existenz aufbauen darf, während sie noch immer am Tag X hängt, ist mehr als nur nachvollziehbar. Aber haben nicht alle Menschen das Recht auf eine zweite Chance?
Wie können sie weiterexistieren? Ihre Ehe ist nur noch ein einziger Kampf, denn jeder denkt ununterbrochen an den Tag X und seine Folgen...
Troubled Water ist ein komplexer, anstrengender, quälender Film, aber zugleich ein enorm intensives, packendes und anregendes Filmerlebnis, das den Zuschauer für seine Geduld und Stehvermögen mehr als nur belohnt. Er liefert keine Antworten, ist nicht irreleitend oder gar plakativ und ergreift schon gar nicht Partei. Er spielt – in der Tradition der skandinavischen Filme, man denke nur an Ingmar Bergman – ein menschliches Drama durch, stellt Fragen und öffnet dem Zuschauer anhand des Szenarios die Möglichkeit, eigene Schlüsse zu ziehen. Vor allem die Exkurse in die christliche Theologie hätte sich der Film schenken können und auch sonst wirkt vieles etwas aufgesetzt und übertrieben. Das ändert allerdings nichts daran, dass Troubled Water eine enorme Bereicherung darstellt!
Bewertung: 4 von 5
- Titel: Troubled Water
- Land: Norwegen
- Regie: Erik Poope
- Darsteller: Pål Sverre Valheim Hagen, Trine Dyrholm, Ellen Dorrit Petersen
- Verleih: Look Now!
- Release: 28. Januar 2010