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5. November 2007, 08:41 CD / Vinyl Music

Die Ärzte - Jazz ist anders

Dominik Mösching - Artist: Die ÄrzteAlbum: Jazz ist andersRelease: 02.11.2007Label/Vertrieb: Hot Action Records/PhonagNicht alle von uns wissen es: Es gibt ein Paralleluniversum. Es gibt einen Ort, an dem Naturgesetze, Sprachregeln und andere Einschränkungen der Freiheit wenig gelten. Wo alles er...

Artist: Die Ärzte

Album: Jazz ist anders

Release: 02.11.2007

Label/Vertrieb: Hot Action Records/Phonag

Nicht alle von uns wissen es: Es gibt ein Paralleluniversum. Es gibt einen Ort, an dem Naturgesetze, Sprachregeln und andere Einschränkungen der Freiheit wenig gelten. Wo alles erlaubt ist, weil nichts stört, und wo die Frage nach dem Sinn sinnlos anmutet. Die Rede ist vom Kosmos der Die Ärzte. Hier werden Bandnamen nie gebeugt. Hier heissen CDs Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer, DVDs Die Band, die sie Pferd nannten und Biografien Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf. Auf der offiziellen Website (bademeister.com; wie sollte sie sonst heissen?) kommt es vor, dass schon mal jede Referenz auf den Schlagzeuger verschwindet, als ob dieser nie existiert hätte. Oder Die Ärzte heissen für ein paar Wochen die Köche, wobei noch jede unbedeutende Single in der Web-Discografie einen feinschmeckerischen Namen verpasst bekommt. Ein Höllenaufwand. Einfach so.

Temporäre Besucher im Ärzte-Kosmos nehmen solche Abstrusitäten schulterzuckend zur Kenntnis, Fans kringeln sich vor Lachen. Auch bei den CD-Verpackungen: Nach der hellblauen Plüschhülle oder der Stahlbox dürfen wir uns heuer über den adrett-trashigen Pizzakarton von Jazz ist anders freuen (Da sind sie wieder, sowohl der kulinarische Webseiten-Gag als auch der Verrückte-Plattennamen-Humor). Das ungefähr zwanzigste Album der Besten Band Der Welt steht dabei für eine Art Rückbesinnung auf alte Tugenden, denn die letzten Jahre waren schwierig. Sie brachten neben einem Doppelalbum mit mächtigem Stadionrock, aber wenig Band-Spirit (Geräusch) und der Erkenntnis, dass Musik auch auf Solo-Pfaden ausserhalb der Die Ärzte Spass macht, sogar beinahe die Bandauflösung.

Den Ausweg aus der Krise sahen Farin Urlaub, Bela B. und Rod Gonzales in der Strategie „Gemeinsamer. Trilogischer. Selbstgemachter.“ Auf Jazz ist anders gibt es zum ersten Mal seit 1984 keinen Produzenten ausser Belafarinrod, es gibt weder Bläser, Streicher, Gastsängerinnen noch sechzig Gitarrenspuren wie bei Geräusch, und sogar der Bandfotograf musste dem Selbstauslöser weichen. Dieser wieder entdeckte Purismus prägt die Platte und tut den Dreien gut. Jazz ist anders ist eine sehr gute Ärzte-Scheibe: Ohrwürmer, Rock, Witz, Botschaft, ein Phil-Collins-Schlagzeugwirbel (Suchen Sie selber!), Pizza-Verdura-Design.

Lasse redn ist eine herrliche Spitze in Richtung tratschende Nachbarn und die allseits um sich greifende Banalisierung in den Medien („Angst, Hass, Titten, Wetterbericht“) – ausgerechnet in schlagerndem Gewand. Brat mir nen Storch, wenn das nicht die nächste Single wird. Lebenshilfe Marke Urlaub bieten auch Himmelblau – der Opener glänzt mit einem schönen Indie-Riff – und Vorbei ist vorbei. Sie repräsentieren allerdings den anderen, nachdenklichen Farin, der sich spätestens auf Geräusch angekündigt und das zweite Solo-Album (mit dem programmatischen Titel Am Ende der Sonne) eindeutig geprägt hat.

Bei den Songs, die die Beziehung zwischen den Geschlechtern wie immer aus allen Perspektiven beleuchten, sticht die Mörderballade Nur einen Kuss hervor. Der traditionelle Ausflug in musikalisch ungewohnte Gefilde führt diesmal zum Red-Hot-Chili-Peppers-Funk der frühen Tage (Deine Freundin). Weiter überzeugen die Burnout-Psychogramme Allein (betrifft Karrieristen), Living Hell (betrifft Rockstars: „Zu viel Sex, zu wenig Schlaf – wofür werd ich denn nur bestraft?“) und Licht am Ende des Sarges (betrifft Vampire). Letzteres wird Liebhabern der 80er-Ärzte sehr, sehr gefallen und stammt natürlich aus der Feder von Dunkelfürst Bela, der mit Perfekt eine schöne Komposition mit tollem Rockabilly-Solo abliefert.

Zunächst zum Schreien, danach aber der Skip-Kandidat Nummer eins ist Tu das nicht. Hier wird das Lamento der Musikindustrie, wonach illegale Downloads die Kreativität töten, durch grotesk schlechtes Einspielen und holprigen Text ironisiert. Nun denn. Aber die Bizarrerien sind halt immer eine Gratwanderung zwischen B-Seite und Klassiker: Lieder wie Kopfhaut, Meine Ex(plodierte Freundin) und N 48.3 sind in ihrem anarchisch-ironischen Charme unerreicht. Das wissen wohl auch Belafarinrod, die den absehbaren Vorwurf „früher wart ihr viel lustiger“ mit einer Drei-Song-Bonus-CD im Tomaten-Oregano-Design kontern. Der dritte der selbstreferenziellen Knaller, Rods klagende Pianoballade Wir sind die Lustigsten („Humor nehmen wir todernst“), ist dabei ganz grosses Tennis.

Und was ist mit dem „früher wart ihr viel punkiger“-Vorwurf? Nun, Jazz mag zwar anders sein, Die Ärzte sind aber immer noch Die Ärzte. Mach dein Ding, steh dazu, heul nicht rum, wenn andere lachen: Das ist seit 25 Jahren die Botschaft an das werte Publikum und der gemeinsame Nenner des Outputs einer Band, die schon alles gemacht und sich dabei nie an irgendwelche Normen gehalten hat. Wenn man Punk also durch diese Attitüde und nicht unbedingt musikalisch definiert, dann ist das Fazit ganz klar: Die Beste Band Der Welt ist die punkigste Band des Universums. Wahrscheinlich auch noch in hundert Jahren.

http://www.bademeister.com

P.S.: Auch diese CD-Kritik kann nicht ohne Postskriptum enden.

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