Interview mit Bombay Bicycle Club
Dominik Mösching - Freundlich verabschiedet sich der schmächtige junge Mann mit dem Bierbecher in der Hand: „Thank you for coming, thank you for the interview, see you next time“. Ein bisschen müde scheint Jack Steadman zu sein – keine Spur von Nach-Konzert-Aufgekratztheit, kein Überbleibs...
Auch etwas früher an diesem Abend macht der Nordlondoner, der mit seiner Truppe im Februar den „Best New Band“-Award des New Musical Express gewonnen hat, nicht den gestressesten Eindruck. Von Gitarrist Jamie MacColl dazugerufen, fläzt er sich auf eines der abgeschossenen Sofas im Umkleideraum des Fri-Son-Backstagebereichs. Während Bassist Ed Nash und Schlagzeuger Suren de Saram zusammen mit der Crew die neusten Konzertfotos und Berichte über Bombay Bicycle Club im Internet abrufen, stellen sich Jack und Jamie den Fragen von students.ch.
Students.ch: Die letzten ein, zwei Jahre müssen ziemlich aufregend für euch gewesen sein. Euer Aufstieg wurde soeben gekrönt durch den NME-Preis für den besten Newcomer-Act. Habt ihr manchmal das Gefühl, dass das alles viel zu schnell geht?
Jamie: In den letzten Monaten war es schon ziemlich extrem. Vorher fühlte es sich aber nicht so wahnsinnig irre an.
Jack: In England ist es ja einfach, schnell nach oben zu kommen – vielleicht siehst du einfach gut aus oder hast etwas an dir, das der NME so aufregend findet, dass er dich aufs Cover setzt. Im Vergleich zu anderen „New-Band“-Kandidaten spielen wir aber schon eine halbe Ewigkeit zusammen, nämlich fünf Jahre. Wir tourten viel und haben eher das Gefühl, dass sich das Ganze durch Mund-zu-Mund-Propaganda entwickelt hat.
In England habt ihr an jedem Konzert zweitausend Leute, auf dem Kontinent spielt ihr in Klubs. Hier im Fri-Son habt ihr euch für den kleinen Raum und gegen die grosse Halle entschieden...
Jack: ...klar mögen wir beides, aber wenn wir die Möglichkeit haben, in kleinerem Rahmen zu spielen, dann tun wir das sehr gerne. Die Energie mit den Fans zusammen ist einfach viel besser, wenn sie nicht zehn Meter von dir entfernt stehen.
Jamie: Die kleinen Konzerte fehlen uns in England schon ein bisschen. Aber den familiären Rahmen haben wir ja auch dort, wenn wir zurück nach Nordlondon gehen und mit unseren alten Schulfreunden abhängen. Das ist dann immer noch genauso wie damals.
Ihr habt euch und euer Umfeld durch den Aufstieg also nicht verändert.
Jack: Ich glaube, unsere Freunde haben sich mehr verändert als wir – die studieren nämlich jetzt alle (lacht). Nein, wir haben privat eigentlich kaum Kontakt zu Leuten aus der ganzen Musikindustrie...
Jamie: ...auch wenn wir, seit wir vor knapp zwei Jahren die Schule abgeschlossen haben, nur noch Musik gemacht haben.
Im Moment seit ihr auf Tour. Stimmt es, dass ihr in eurem Bus eine Art Studio habt, in dem ihr an neuen Songs arbeitet?
Jack: Wenn man die paar Mikrofone, die wir dort hineingestellt haben, als Studio bezeichnen will...
Jamie: ...und man einmal von den ständigen Motorengeräuschen im Hintergrund absieht...
Jack: ...dann haben wir ein Studio, ja (lacht). Wir schätzen die Möglichkeit, die Zeit unterwegs auch für einige produktive Sachen zu nutzen und ein paar Ideen festzuhalten. Naja, eigentlich nehmen wir vor allem Witze und Blödeleien auf.
Jamie: Zum Beispiel hat unser Drummer neuerdings entdeckt, dass er ein wahnsinnig toller Rapper ist. Ob sich das wohl gut anhört, wenn wir zuhause die Aufnahmen durchhören? (lacht)
Entstehen eure Songs also weniger in den Momenten, in denen ihr alle zusammen seid wie eben im Tourbus?
Jack: Nein. Wenn du persönliche und authentische Songs schreiben willst, dann musst du dies alleine tun. Vor allem natürlich, was die Texte angeht. Das ist meine Meinung. Ich sehe mich nicht als wahnsinnig talentierten Texter, der sich in andere versetzen kann und sich Geschichten komplett neu auszudenken vermag. Deshalb muss ich auf selber gemachte Erfahrungen zurückgreifen – und das kann ich eben nur auf mich selbst gestellt. Aber für die Musik sitzen wir natürlich schon auch zusammen und besprechen, was wir mögen und was weniger, was wir wie ändern müssen und so weiter.
Jamie: Das verändert aber nie den Kern des Songs, sondern dreht sich eher um den optimalen Ablauf und das Arrangement.
Dann bringst du, Jack, die Songs also schon auf dem Präsentierteller in die Bandproben?
Jack: Zuerst ist die Musik da. Die Texte entstehen immer sehr kurzfristig – meistens, wenn ein Konzert bevorsteht, an dem wir die neuen Songs ausprobieren wollen. Ich brauche diesen "Last-Minute"-Druck: Für mich ist es sehr schwer, Texte ohne eine zeitliche Deadline zu schreiben. Manchmal stehe ich noch eine Stunde vor dem Showbeginn ohne fertigen Text da.
Jamie: Wir tüfteln aber auch nicht unbedingt monatelang an der Musik herum. Ob etwas gut ist und weiterverfolgt wird oder ob es nicht gefällt und weggeworfen wird, entscheiden wir meistens sehr schnell. Obwohl ich nie gedacht hätte, dass "Always Like This" so einschlagen würde. Das hat mich echt überrascht. Da war doch nur diese kleine Gitarren-/Bass-Melodie...
Jack: Klar, manchmal ist es auch schwer, sich vorzustellen, wie der fertige Song schliesslich wirken wird.
Jamie: Beim Schreiben und beim Aufnehmen hörst du den Song so häufig, dass du ihn gar nicht mehr unvoreingenommen geniessen kannst.
Jack: Manchmal lade ich einen neuen Song in ein Zufallswiedergabe-Programm auf dem Ipod. Nach ein paar Tagen hast du das Ganze vergessen, sitzt im Bus oder im Park und denkst: Wow, was ist das plötzlich für Musik? Das ist eine gute Taktik, um die Wirkung eines Songs zu testen.
Du testest also deine Songs, indem du eine Situation simulierst, in der sich einer eurer Fans auch befinden könnte. Denkst du auch beim Texten an dein Publikum?
Jack: Ich glaube nicht. Sonst würde ich in den Texten vielleicht nicht so viel von mir selber preisgeben. Naja, immerhin ist ein Song eine nette Art, jemanden etwas über mich zu erzählen.
Wenn man eure Videos und Plattencovers anschaut, dann wirken diese durchaus speziell. Achtet ihr besonders auf die Wirkung solcher Dinge?
Jack: Nein, wir denken nicht über unser Erscheinungsbild nach. Wir kommen zum Beispiel immer so auf die Bühne, wie wir sowieso schon den ganzen Tag gekleidet sind.
Jamie: Wir denken nicht, dass wir eine sehr stylische Band sind. Aber die Artworks interessieren uns auf jeden Fall.
Für eure re-releaste Single Evening/Morning habt ihr jedes Cover der vierhundert Vinyl-Exemplare eigens gestaltet.
Jamie: Genau, das war sehr witzig, wir sassen die ganze Nacht da und gestalteten die Covers. Ein Re-Release ist nun ja nicht sehr kreativ. Da wollten wir der Sache eine eigene Note geben. Ich habe keine Ahnung mehr, was wir da alles gezeichnet haben...
Jack: ...vielleicht müssen wir uns einige kaufen, um zu sehen, was wir da eigentlich gemacht haben, oh Gott (lacht).
Dass ihr Wert legt auf Vinyl und eine individuelle Gestaltung der Covers zeigt, dass ihr Musik nicht einfach als digitales Gut seht. Ist eine solche Strategie auch dafür da, die Leute zum Kaufen der Tonträger zu bewegen?
Jack: Daran haben wir nicht gedacht. Aber klar: Man muss den Leuten in diesen Tagen einen Zusatzwert geben, damit sie sich Musik auch physisch besorgen. Ich denke aber, dass Fans, die längerfristig an eine Band gebunden sind, immer noch interessiert daran sind, sich eine CD ins Regal zu stellen.
Welche Musik steht bei euch momentan auf eurer Playlist, die ihr den Leuten für ihr Regal empfehlen könntet?
Jack: Momentan sind wir total von Folk und Bluegrass angefressen und spielen viele solche Songs im Tourbus. Grossartig ist zum Beispiel das Traditional "A Man Of Constant Sorrow", das die Jungs um George Clooney im Coen-Film "O Brother, Where Art Thou" singen.
Jamie: Auch Two-Step und Dub-Step ist gute Musik für unterwegs, etwa "Memories" von Pangaea. Wir mögen auch UK Garage sehr.
Jack: Trotzdem eignet sich niemand besser als Billie Holiday, um auf langen Autofahrten aus dem Fenster zu schauen und den Gedanken nachzuhängen.
Jack, Jamie, vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Sarah Züst