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22. März 2010, 00:00 Konzert Kultur Music Interview

Ein Abend mit Yeasayer

Philipp Ramer - Brooklyn muss ein fruchtbarer Boden sein für junge Musiker. In kaum einer anderen Stadt der Welt spriessen zurzeit die hippen Bands so zahlreich, gedeiht die alternative Musikszene so prächtig. Grizzly Bear, TV on the Radio, Vampire Weekend und MGMT bilden nur die prominente Sp...

Brooklyn muss ein fruchtbarer Boden sein für junge Musiker. In kaum einer anderen Stadt der Welt spriessen zurzeit die hippen Bands so zahlreich, gedeiht die alternative Musikszene so prächtig. Grizzly Bear, TV on the Radio, Vampire Weekend und MGMT bilden nur die prominente Speerspitze einer langen Reihe talentierter Gruppen, deren home base im New Yorker Stadtbezirk liegt. Zu den gefeierten Vertretern dieser Gilde zählt auch das Trio Yeasayer, das sich mit der Veröffentlichung seines zweiten Albums nach längerer Absenz soeben wieder ins Zentrum des Interesses katapultiert hat. Ich treffe die Band wenige Stunden vor ihrem ausverkauften Konzert im Zürcher Club Exil.

Abseits des Genredenkens

Vielschichtige Soundcollagen, komplexe Ethno-Rhythmen und mystisch klingende Kopfstimmengesänge zeichneten Yeasayers im Herbst 2007 erschienenes, bejubeltes Debutalbum All Hour Cymbals aus. Als «Middle-Eastern-psych-pop-snap-gospel» bezeichnete die Band ihre Musik damals. Auf der neuen Platte Odd Blood werden die sanft mäandernden, diffus-exotischen Klanglandschaften abgelöst von schnelleren, direkteren, leichtfüssigeren Stücken. Lieder wie Madder Red, Rome und insbesondere O.N.E. weisen mit ihren eingängigen Melodien und catchy Refrains sogar regelrechte Popqualitäten auf. Wie würde die Gruppe ihre Musik also heute beschreiben? «Oh man... I usually just don’t describe it», antwortet Sänger Chris Keating etwas unwillig, während er sich auf einem Sofa im stickigen Backstage-Raum des Exils fläzt. «And if you had to?», frage ich. «I don’t have to!», grinst er. Was er denn vom Begriff ‹World Music› halte, der oft im Zusammenhang mit Yeasayer falle, hake ich nach. «That’s fine», meint Chris. Die Bezeichnung sei zwar etwas dämlich, aber wenn die Leute möchten, dürften sie den Sound ruhig so nennen. Überhaupt gibt er nicht viel auf musikstilistische Zuordnungen: «Nennt uns Pop, World, Dance, whatever.» Am liebsten sei ihm vielleicht noch ‹Electronic music›, «a very broad, stupid genre». Auch Bassist Ira Wolf Tuton verwehrt sich gegen jegliche Schubladisierungsversuche: «I don’t want to be put into a box», erzählt er mir beim Abendessen in der Kantine des nahe gelegenen Schiffbaus. Man wolle sich auf nichts festlegen lassen und sich keine Limits setzen. «Psych-pop-snap-gospel» sei dereinst als bewusst trottelige Etikette gewählt worden, um die Sinnlosigkeit des Genredenkens vor Augen zu führen.

Aussen klar, innen obskur

Fest steht immerhin, dass das neue Album näher beim Pop angesiedelt ist als das erste. «Es war eine bewusste Entscheidung, in diese Richtung zu gehen», sagt Chris. «Wir wollten etwas Neues versuchen. Ich hatte das Gefühl, auf dem alten Album seien sich viele Elemente sehr ähnlich gewesen, die Songwriting-Ideen waren immer dieselben: Vers, Refrain, Hooks... Das neue Album ist ganz anders produziert worden, wir haben sehr viele verschiedene Sounds verwendet. Ein paar davon streiften wir mit der Zeit auch wieder ab, und die Leute reagierten sehr positiv auf die ‹Klarheit› der neuen Platte.» Bestimmt sind die neuen Songs zugänglicher als die früheren Stücke. Trotzdem sind es natürlich keine konformen Gassenhauer, die das findige Trio hier vorlegt; davor schützen die vertrackten Drumparts, der verzerrte oder hochgepitchte Gesang sowie haufenweise sperrige, schräge Samples. Vielleicht sind die neuen Lieder, betrachtet man sie in ihre Einzelteile zerlegt, sogar noch obskurer als diejenigen des Debuts. Ambling Alp beispielsweise setzt sich aus einem unbeständigen Eighties-Beat, unzähligen übereinandergestapelten Voice-Samples, disharmonischen Synthesizer-Soli und verqueren Stakkato-Bläsersätzen zusammen. Nur durch geschicktes Arrangement und Keatings Gesang formt sich die wilde Melange zu einem wohlklingenden, geschlossenen Ganzen.
Alles andere als angenehm klingt – für das Empfinden des hier Schreibenden zumindest – ein einziger Track auf Odd Blood: der Album-Opener The Children. Blecherne Beats, eine bis zur Unverständlichkeit verzerrte, träge Gesangsstimme und allerlei seltsame, disharmonische Sounds machen es zur gnadenlosen auralen Qual. Chris sieht es anders: «Ich mag das Lied. Im Grunde besitzt es eine ziemlich unkomplizierte Struktur, es klingt eben bloss etwas ungewöhnlich. Ich bin begeistert von den vielen Klängen, die wir dafür zusammengebracht haben. Für mich ist es einer unserer besten Songs. Wenn die Leute ihn nicht mögen, können sie ihn ja skippen.» Ira amüsiert sich über meinen Unmut dem Stück gegenüber. Auch er verweist auf den einfachen Aufbau der ‹Ballade›. Das Lied stünde zudem bewusst am Anfang der Platte, um zu zeigen, dass es für Yeasayer in eine neue Richtung gehe – «It’s like a smack in the face!», lacht er.

Segen und Fluch

Während die Band den Soundcheck durchführt, unterhalte ich mich mit Musiker Christopher Kline, einem langjährigem Freund der Band, der mit seinem Projekt Hush Hush das Vorprogramm des Abends bestreitet. Er erzählt mir, Yeasayer würden am liebsten noch mehr unorthodoxe Musik machen; Chris etwa träume von ‹Noise›-Collagen, die mit mehreren Lautsprechern in Dolby Surround angehört werden könnten. Natürlich müsse man aber auch radiotaugliche Songs machen, um Platten zu verkaufen. Kline findet, die Band habe einen guten Mittelweg zwischen den musikalischen Extremen gefunden.
Derweil es für Hush Hush bislang nur eine eilig zusammengestellte MySpace-Seite gibt, haben Yeasayer im Internet eine breite Präsenz. Einerseits auf der eigenen Homepage inklusive Blog und Twitter, andererseits auf unzähligen Musikblogs, die über sie berichten – und nicht zuletzt auch auf vielen illegalen Download- und Torrent-Portalen. Wie für alle angesagten Bands ist ihnen das Internet also zugleich Segen und Fluch. «Die Leute haben entschieden, dass Musik es nicht wert ist, bezahlt zu werden, und so läuft es nun einmal», sagt Chris zum Thema Musikpiraterie. «Ich weiss nicht, was das für die Zukunft der Musikindustrie bedeutet.» Für Ira ist klar, dass die Industrie selbst schuld an der Entwicklung ist: «Sie versuchten lieber die längste Zeit Napster zu verbieten, anstatt selbst auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Sie haben’s echt verbockt!» Aus seiner Sicht sind die illegalen Downloads eher ein Problem des Labels als der Band. Chris wie Ira geben zu, selbst ab und zu etwas herunterzuladen, betonen aber auch, dass sie immer noch Vieles kaufen.
Zu den Musikblogs, die der Band eine stets aktuelle, kostenlose (Werbe-)Plattform bieten, meint Chris: «I think it’s a good thing. Es muss nicht immer nur das ‹Rolling Stone›-Magazin sein, das die Meinung diktiert; auf Blogs können junge Leute ihre Meinung äussern und sich austauschen.» Ira denkt sogar, dass Internet und Blogs Yeasayer überhaupt erst den Weg zum Plattenvertrag geebnet hätten: «Vor fünfzehn Jahren wären wir als Band noch chancenlos gewesen.»

Kleine Bühne, grosses Konzert

Von Chancenlosigkeit kann heute wahrlich keine Rede sein; das belegen schon allein die zahlreichen Jugendlichen, die abends frierend vor dem Exil stehen und noch immer auf Tickets für das längst ausverkaufte Konzert hoffen. Kurz nach neun Uhr ist der Club schon rappelvoll. Christopher Kline steht am Verkaufsstand und ist etwas nervös – in einer halben Stunde beginnt seine Show. Ob das Zürcher Publikum denn nett sei, fragt er mich. Die Sorge wird sich als unbegründet erweisen: Klines hochironische R’n’B-Performance mit fetten Beats, schmutzigen Texten und skurrilen Moves kommt hervorragend an. (Dies sei sein bislang bester Auftritt gewesen, frohlockt er später.) Nun wartet man gespannt auf den Headliner. Um halb elf betreten Yeasayer, verstärkt durch einen Schlagzeuger und einen zusätzlichen Musiker, unter grossem Applaus die enge Bühne. Während die Band zu The Children ansetzt, leuchten die im Hintergrund platzierten, grossen Wandschirme auf. In der Live-Version und im Zusammenspiel mit dem wechselnden farbigen Licht erscheint der geschmähte Song gar nicht so entsetzlich. Und von jetzt an kann es nur noch besser werden. Fast alle Lieder des zweiten Albums werden durchgespielt, dazwischen kommen einzelne Tracks der ersten Platte sowie die Stand-alone-Single Tightrope zum Zug. Die Band harmoniert ausgezeichnet im Zusammenspiel wie im mehrstimmigen Gesang, die Lieder werden leicht variiert und bleiben doch ihrem Charakter treu. Höhepunkte bilden das sphärisch-entspannte Madder Red, eine schlichte Variante von Ambling Alp und, natürlich, der beinahe unheimliche Über-Hit O.N.E. Spätestens als er diesen Song beim Socken-Einkauf im H&M gehört habe, sei er sich bewusst geworden, wie gross Yeasayer inzwischen geworden seien, lacht Christopher Kline.
«Wir haben einfach etwas Zeitgemässes zu machen versucht, das sich richtig anfühlt», erklärt Ira das Erfolgsrezept des neuen Albums lapidar. Gelingt es der Band, weiterhin so nah am Puls der Zeit zu bleiben, wird sie zweifelsohne noch grösser. It's just a matter of, it's just a matter of, it's just a matter of time.
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