Unheilig: "Ich muss nicht direkt kotzen!"
Andreas Rohrer - Unheilig hat 2010 Europa im Sturm erobert. Wie immer wenn eine Szene-Band vor die grosse Masse tritt, sorgt Erfolg für Freud und Neid. "Der Graf," namenloser Unheilig-Frontmann und Baumeister des jüngsten Pop-Phänomens aus Deutschland, tummelt sich dabei unfassbar sympathisch ...
Students.ch: Gratulation zu Platin! Gutes Gefühl?
Der Graf: Was soll ich sagen, ich vergleich das jetzt mal mit einem Geburtstag. Alle feiern dich und gratulieren, und es ist ein schönes Gefühl, doch eigentlich ist alles immernoch das Selbe. Also mir gehts gut, ich freue mich, aber eigentlich hat sich für mich persönlich nicht viel verändert.
In der Schweiz taucht Unheilig aus dem Nichts auf. Musik machst du aber seit 10 Jahren. Erzähl mal von dir!
Ich hab vor 10 Jahren meinen Beruf als Hörgerätakustiker an den Nagel gehängt um Musik zu machen. Ich hab all diese Jahre wirklich gefeilt, mit mehr oder weniger Erfolg, und konnte mir die Musikszene und auch mein privates Umfeld etwas zurechtzimmern. Sprich Leute finden, denen ich vertraue. Darüber bin ich auch sehr froh, dass ich jetzt im Erfolgsfall weiss, wie es wirklich auch ist, ohne Erfolg Musik zu machen. Also so als Casting-Opfer mit urplötzlichem Riesenerfolg, ich wüsste nicht wie ich das schaffen würd.
Und jetzt stehst du plötzlich zwischen deiner Szene der Gothic- und schwarzen Wave-Musik auf der einen Seite und Bravo und The Dome auf der anderen.
Weisst du, ich mache Musik für alle Menschen. Sich einzuschränken find ich hohl. "Meine Musik ist für Leute die schwarz tragen", oder pink, oder was auch immer.. Das ist Schwachsinn. Ich komme aus der schwarzen Szene und hab da auch mein Umfeld wo ich mich wohl fühle, aber sich da etwas zu verbauen im Erfolgsfall bringt doch nichts. Ob jetzt bei The Dome, Big Brother oder dem Mera Luna (Festival)...
Was bei dir ja witzig ist: Du nennst dich "Der Graf", deine Band heisst "Unheilig" und du machst düstere Musik. Und jetzt musst du losziehen und allen erklären, dass du eigentlich ein ganz lieber bist!
(lacht) Schön gesagt! Ich glaube mittlerweile ist es eher so, dass die Leute "Geboren um zu Leben" (die aktuelle Single) kennenlernen und sich dadurch erst mit meiner ganzen Musik und auch dieser wunderbaren Institution namens "Schwarze Szene" auseinandersetzen. Ich bin mächtig stolz darauf, dass ich aus dieser Szene komme, wo Musik noch handgemacht ist und grossartige Künstler etwas erschaffen. Und wenn sich Menschen durch meine Musik mit dieser Szene beschäftigen, find ich das super.
Dein Name Unheilig ist aber durchaus als Statement zu verstehen.
Ja klar. Also es ist so, dass ich ein extrem gläubiger Mensch bin und auch an Gott glaube. Ich halte aber grundsätzlich alle Religionen für falsch. Ich bete aus meinem Keller raus und brauch dafür keine Religion. In dem Sinne ist das aus Sicht der Religion eben eine unheilige Einstellung.
Sag mal, dein Albumtitel "Grosse Freiheit" erinnert an die Hafenstadt Hamburg, dein Plattencover zeigt ein Schiff und deine Songtitel und Texte reflektieren eine Seereise. Bist du seefest?Also ich kann ein Schiff besteigen und muss nicht direkt kotzen! (lacht) Ich hab lange in Hamburg gelebt, aber das Album ist nicht eine Hommage an die Stadt. Die Seereise ist eine Metapher für die lange Reise, die wir als Leben kennen - "Die grosse Freiheit" als Mensch leben zu dürfen mit allem was dazu gehört.
Und deine Reise führt bald wieder in die Schweiz!
Ja, auf bald! Ich und auch die ganze Band kommen immer wieder gerne. Die Schweiz gibt uns immer das Gefühl, dass man uns gerne auf der Bühne sieht. Wunderbar. Viele liebe Grüsse an alle!
- Unheilig Live:
- One By One Festival, Volkshaus Zürich (Sonntag, 19. September 2010)
- Aktuelles Album: Grosse Freiheit (Universal)
- Der Graf im Web: Unheilig.com