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16. Januar 2008, 19:47 Interview Music

Tinu Heiniger

Silvan Gertsch - Nach der Heimat und den Seen besingt Tinu Heiniger nun die Berge und Täler. "Bärg u Talsänger" heisst sein neues Album.Ein Berg- und Talsänger: Ist das die schweizerdeutsche Version eines Singer-Songwriters?Tinu Heiniger: So habe ich mir das noch gar nicht überlegt. Nach mei...

Nach der Heimat und den Seen besingt Tinu Heiniger nun die Berge und Täler. "Bärg u Talsänger" heisst sein neues Album.

Ein Berg- und Talsänger: Ist das die schweizerdeutsche Version eines Singer-Songwriters?Tinu Heiniger: So habe ich mir das noch gar nicht überlegt. Nach meinen letzten Alben „Heimatland“ und „Am See“ wusste ich, dass im Titel meiner neuen CD der Begriff Berg vorkommen muss. Denn das "Nieselied" steht ja auch im Zentrum des Werks. Ich singe von den Bergen und den Tälern, deshalb passt das am besten. Dort bin ich zuhause.

Dein neues Album stellt den dritten Teil einer Trilogie dar. War das von Anfang an so geplant?Nein. Mit dem Swissair-Grounding 2001 wurde ein Stück Heimat beerdigt. Damals arbeitete ich mit Stephan Eicher zusammen und die Fragen, woher wir kommen und wo wir zuhause sind, wurden immer bedeutender. Wir lebten und arbeiteten in Paris. Je anonymer die Grossstädte sind, umso mehr sucht man nach der Heimat in sich.

Du bist musikalisch in einer Zeit gross geworden, in der die Protestsongs aufkamen. Davon spürt man aber auf dem neuen Album nichts. Ich kann mit dem Wort Protest nicht mehr so viel anfangen. Gegen etwas zu sein, ist ein Privileg der Jungen. Ich war jung und gegen das Establishment. Gegen die kapitalistische Gesellschaft. Aber wenn ich gegen etwas bin, dann muss ich ja auch für etwas sein. Für mich liegt die Betonung viel stärker auf dem. Vieles von dem, gegen das man früher war, hat man ja auch in sich selber: Den Spiesser und den Bünzli, den bin ich auch.

In „Vorem Chaschte“ singst du über einen Fussballfan, der mit grossem Enthusiasmus ein Spiel der Schweizer Fussballnati schaut. Bist das du?Diese Seite an mir kommt in solchen Situationen zum Vorschein. Aber es ist wahnsinnig wichtig, dass ich sie nicht so ernst nehme. Fussball ist letztlich immer ein Spiel. Ich habe kein Verständnis für Ausschreitungen. Es darf nicht über das Spiel hinaus gehen.

Im Song verliert die Schweizer-Nati ein Spiel. Wie schätzt du ihre Chancen an der EM ein?Ich bin Fan von Köbi Kuhn. Wenn er sagt, dass er Europameister werden will, dann ist das ein PR-Gag. Aber im Fussball kann jeder im richtigen Moment in einer „huere“ Form sein. Und es gehört auch viel Glück dazu.

Wie in der Musik? Wenn jemand wie du über 30 Jahre in der Musikszene tätig ist, braucht das sicher auch viel Glück.Es gibt halt jene, die den richtigen Riecher haben und in den entscheidenden Momenten die Tore schiessen. Bei der Musik ist es aber weniger eine Glücksache, als eine Beharrlichkeit. Man muss an sich glauben und sein Ding durchziehen. Die Herkunft hat mit Glück zu tun. Die Projekte meines Grossvaters waren der Bau eines Hauses und der Aufbau eines Geschäftes, mein Vater machte Erfindungen. Mein Projekt ist die Musik.

Du bist auch ein Erfinder.Man erfindet sich selber mit jedem Song neu.

Davon zeugt auch die Tatsache, dass du viele Kleinigkeiten und Spielereien in deine Songs einbaust.Musik besteht aus Rhythmus, Groove, Melodie, einem harmonischen Gerüst und dem Sound. Die Musik ist überall. Das sieht auch mein Produzent, Reyn, so. Auch er sucht nach einer eigenen Sound- und Geräuschwelt. Reyn entdeckte mich neu. Das ist wie frisch verliebt sein. Wir sind verliebt in die Musik. Diese Aufbruchstimmung gabs damals auch auf dem ersten Album mit Stephan und noch viel intensiver auf dem zweiten, weil sich unsere Beziehung intensivierte.

Wieso hast du nicht mehr mit Stephan Eicher zusammengearbeitet?Wir hätten auch dieses Album zusammen machen können. Ich bin aber ähnlich wie er. Ich hätte, um noch ein paar Jahre weiter zurück zu gehen, auch mit meiner früheren Band, dem Heimatland-Orchester, uralt werden können. Aber nach fünf, sechs Jahren hatte ich das Gefühl, dass etwas passieren musste. Man hat es sich im Tram bequem gemacht und es fährt und fährt. Ich musste etwas neues haben. Ähnlich verlief es auch bei der Zusammenarbeit mit Stephan Eicher. Hinzu kam meine Vorstellung, fürs neue Album ein Orchester zu integrieren. Dafür war Stephan der falsche Mann. Er kann ja nicht mal Notenlesen.

Deine experimentelle Seite lebst du auch aus, wenn du deine Songs in jazzigen Versionen spielst. Das ist ähnlich wie der Fussball, eine Leidenschaft. Fussball und Jazz sind unvorhersehbare Dinge. Man weiss nicht, wie der Match ausgeht und man weiss auch nicht, wo eine Improvisation hinführt. Man hat zwar im Jazz ein festes Gerüst, einen Teppich, auf dem man sich bewegen kann. Aber wie man sich darauf bewegt, ist ein Abenteuer. Das hat viel mit Intuition zu tun. Man darf nicht denken, man muss vorausspüren. Das ist also meine Abenteuerseite, die brauche ich unbedingt.

Auf deinem neuen Album hats zwei Songs, die ausgeprägt vom Sprechgesang leben.Das habe ich schon immer gemacht. Vergleiche ich mich mit einem Rapper, dann haben wir gemeinsam, dass wir eine Message rüberbringen wollen. Bei den Rappern fehlt mir aber oftmals das Musikalische. Ohne zu wissen, dass es Rap ist, habe ich bereits 1991 gerappt – auf dem Song „Ig e Chare, du e Chare“. Damals sprach noch niemand von Rap. Ich sage damit nicht, dass ich das erfunden habe. Doch wenn wir schon über Rapper sprechen, dann muss ich Stress erwähnen. Chapeau, das ist super, was er erzählt. Er ist auf dem Boden geblieben. Das könnte ein Nachfolger von mir sein (lacht).

Er ist ja auch noch jung und kann protestieren...Ja, aber er ist gleichzeitig gescheit und er sieht die Grenzen der Möglichkeiten. Die sahen wir damals nicht. Wir dachten, wir könnten die Welt verändern, haben das kapitalistische System aber schwer unterschätzt.

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