Un secret
Christina Ruloff - Von gestohlener Jugend, verdrängten Erinnerungen und verlorenem Glück: Claude Miller schafft ein intensives und eindrückliches Drama um eine jüdische Familie in Paris.Un secret beginnt in klassischem Schwarzweiss im Paris der Gegenwart. Der Psychologe François Grimbert erhä...
Un secret beginnt in klassischem Schwarzweiss im Paris der Gegenwart. Der Psychologe François Grimbert erhält einen Anruf: Sein Vater irrt, nachdem sein Hund überfahren worden ist, ziellos und verloren durch die Stadt. François macht sich auf die Suche und versucht zugleich zu verstehen, wie so etwas seinem Vater, dem starken und unnachgiebigen Sportler, passieren konnte. In seiner Jugend – nun farbig geschildert, weil die Vergangenheit die Gegenwart dominiert und diktiert: ein toller Einfall! – hat der schwächliche Junge immer unter seinen so anderen Eltern, der bildhübschen Schwimmerin und dem maskulinen Turner, gelitten – vor allem am Bewusstsein, für sie die grosse Enttäuschung zu sein. So erfand er sich seinen Doppelgänger, der all die Eigenschaften – Mut, Kraft, Offenheit, Spontaneität – verkörperte, die ihm so deutlich abgingen. Der perfekte Bruder trieb jedoch den Vater zur Verzweiflung... weil es ihn wirklich einmal gegeben hatte, in jener Vergangenheit, die zwar onmipräsent war, aber doch verschwiegen wurde. Früher, vor dem Krieg war der Vater schon einmal verheiratet gewesen, mit der Schwägerin seiner jetzigen Frau. Damals war er mit seiner Familie glücklich gewesen. Doch dann kamen die Nazis und er war nicht länger der französische Vorzeigeturner, sondern der Jude, der nicht mehr ins Schwimmbad durfte...
Flashbacks, verschiedene Zeitebenen und eine nichtlinerale Erzählstruktur sind in postmodernen, zeitgenössischen Romanen und vermeintlich anspruchsvollen Filmen in Mode. Diese Kniffe dienen jedoch üblicherweise lediglich dazu, Geschichten verschachtelter, komplizierter und komplexer dazustellen, als sie tatsächlich sind.
Er wird nie so sein können, wie sein Vater ihn sich wünscht. Aber dafür kann er nichts, und sein Vater eigentlich auch nicht...
In Un Secret sind die verschiedenen Zeitebenen, Erinnerungen an die tatsächliche Vergangenheit und Fantasien über die mögliche Vergangenheit die Voraussetzung und Ursache des Dramas. Der Regisseur Claude Miller setzt die verschiedenen Ebenen also sehr bewusst sein und zeigt so die inneren Zusammenhänge. Er ist nie auch nur versucht, den Zuschauer irre zu leiten, sondern führt ihn sicher durch die verschiedenen Wahrnehmungsweisen, die den Blick auf ein rein menschliches Unglück öffnen, das nicht mehr gelöst werden kann und doch alle Beteiligten, ja sogar die vermeintlich Unbeteiligten verfolgt und erdrückt.
Das hervorragende französische Schauspielerensemble um Cecile de France und Patrick Bruel bringt den unwiederbringlichen Verlust von Sicherheit und Glück und die subjektive Schuld dem Publikum nahe, ohne melodramatisch zu übertreiben oder in Klischees zu verfallen. Und der grossartige Regisseur Claude Miller beweist, dass jeder Roman (hier die autorbiographische Skizze von Philippe Grimbert „Un Secret“) adaptiert werden kann, wenn man das Buch wirklich verstanden hat. So wird Un Secret ein grosses Drama um gestohlenes und verlorenes Glück.
Bewertung: 4.5 von 5
Glückliche Hochzeit: Vor der Invasion der Nazis waren die Grimberts eine angesehene Familie.
- Titel: Un Secret
- Land: F
- Dauer: 110 Minuten
- Regisseur: Claude Miller
- Darsteller: Cecile de France, Patrick Bruel, Julie Depardieu
- Verleih: JMH
- Startdatum: 17. Januar