The Kite Runner - Im Sandkasten Afghanistans
Valerie Sauter - {de}Kabul. Afghanistan Anfang der 70er Jahre. Amir und sein Freund Hassan teilen die gemeinsame Leidenschaft fürs Drachenfliegen. Die beiden sind unzertrennlich, bis Amir zusieht, wie Hassan von älteren Jungs misshandelt wird. Doch anstatt Hassan zu helfen, flieht Amir. Die Sch...
Um ehrlich zu sein: Amir ist - auf Deutsch gesagt - ein richtiges Kollegenschwein. Er begeht sämtliche Sünden, die man in einer Freundschaft auch nur begehen kann. Trotzdem kann man ihm nicht böse sein. Die beiden Buben schliesst man sofort ins Herz und ist dementsprechend auch getroffen vom Bruch ihrer Beziehung. Während die beiden Jungschauspieler Zekira Ebrahimi (Amir) und Ahmad Khan Mahmoodzada (Hassan) ihre Rollen durchaus glaubwürdig rüberbringen, wirkt der grosse Amir (Khalid Abdalla) bisweilen teilnahmslos und nur sporadisch emotional. Eine wahre Freude ist es jedoch, Shaun Toub (L.A. Crash) als Freund von Amirs Vater zuzuschauen. Er ist der persische Al Pacino. Seine Würde und Güte dringt bis ins Rückenmark vor und durch den Kinosessel hindurch. Gnadenlos gut.
Beinahe gnadenlos gut ist auch der Thrill des Films. Forster schafft es bereits beim ersten Drachenwettkampf, eine dichte Spannung aufzubauen. Im zweiten Teil, als Amir sich auf das seine Integrität rettende Abenteuer begibt, wechselt er mit einer Selbstverständlichkeit vom melancholischen Zeitgeistdrama zum Nahost-Thriller. Schon lang nicht mehr so feste in die Plüschlehnen gekrallt! Und das Beste ist: Man erwartet in dem Film gar keine derartige Strapaze (der angenehmen Art): Das Filmplakat erinnert nämlich an einen mittelasiatischen Wüstenfilm. Stille Bilder. Lange Einstellungen. Zeit, die Landschaft zu geniessen. Trotzdem weiss der Kinogänger: Es ist ein Film von Marc Forster und weil der aus Hollywood kommt, wird der Film nicht auf wohldosierten Hochglanz verzichten. Dem ist dann auch so. Doch der stört eigentlich nicht. Es macht Spass, sich die schönen Bilder zu Gemüte zu führen, denn er hiesse nicht Marc Forster, wenn schöne Bilder nicht Ehrensache wären. Witzig sind denn auch die kleinen Luxus-Spielereien in der Austattung. So hat Amirs Vaters Auto rotierende Felgen, natürlich anständig poliert. Und nicht nur das: Da rennt doch tatsächlich ein Taliban mit einer goldumrandeten Sonnenbrille (Stil Ray Ban) rum. Ausrutscher oder versteckte Jokes? Hat da jemand von ‚Pimp my Ride’ mitgearbeitet?
Schlussendlich landet Amirs Neffe dann auch in den USA alias bessere Welt des Kapitalismus. Eine richtige Erleichterung, nach dem Horrortrip durch Afghanistan. Da darf man wieder mit so belanglosen Fragen auseinandersetzen wie „Gefällt dir dein Zimmer?“. Situational vollkommen irrelevant und Vorzeichen für das leider etwas übersymbolisch-kitschig geratene Filmende, in dem Amir erlöst dem geschnittenen Drachen hinterher rennt und seinem Neffen das Versprechen in den Wind schreit: „Für dich tausendmal!“. Trief! Etwas zu nett ist auch der arabische Begleitsong, beim Abschied von Kabul, wenn man das erste Mal ahnt, dass alles gut wird. Er wechselt nach einer Strophe vom Arabisch ins Englisch, damit auch der Rest der Welt die Message mitkriegt. Wirkt leider etwas pomadig. Ansonsten ist der Soundtrack von Alberto Iglesias (Volver, La Mala Education) toll anzuhören.
Fazit: Wenn man vom Schluss absieht, sehr schönes, durchwegs gespanntes Auf und Ab der Emotionen. Man darf durchaus ein Tränchen verdrücken, ohne gleich als Memme zu gelten.
Bewertung: 4 von 5. Einen Punkt Abzug gibt’s für die feinen hollywoodesken Kitscheinlagen.
- Originaltitel: The Kite Runner (Drachenläufer)
- Land : USA
- Dauer: 122 Minuten
- Regie: Marc Forster
- Darsteller: Khalid Abdalla, Atossa Leoni, Shaun Toub, Sayed Jafar Maihullah Gharibzada, Zekiria Ebrahimi, Ahmad Khan Mahmoodzada
- Verleih: Universal
- Kinostart: 17. Januar 2008