Stolze '10: Kummerbuben im Interview: „Es ist zu einfach, uns auf Tom Waits zu reduzieren.“
Patrick Holenstein - Gleich nach dem Auftritt am Stolze nahm sich der Sänger der Kummerbuben, Simon Jäggi, Zeit für Students.ch. Gemütlich im Schatten flanierend sprachen wir über die Anfänge der Band, wie erstaunt und erfreut die Truppe über den anhaltenden Erfolg ist und Jäggi erklärte, wa...
Ihr habt das erste Mal am Stolze Open Air gespielt. Wie war es für dich?
Es wäre super gewesen, wenn jemand das Licht ausgeknipst hätte. Es war relativ hell. Aber das Stolze ist ein sehr sympathisches Festival. Mir gefällt es immer sehr, wenn die Leute gemischt sind und hier ist vom kleinen Kind bis zur Oma alles vertreten. Es wirkt auf mich irgendwie szenig und doch sind nicht nur die Szene-Leute hier. Es scheint ein Fest für jung und alt zu sein und ich finde, das passt auch zu unserer Musik.
In euren Liedern verarbeitet ihr traditionelle Schweizer Gedichte und Verse zu Songtexten. Was braucht es, damit ihr einen traditionellen Text auswählt?
Häufig sind es ja Lieder, die alt sind, ca. 100- oder 150-jährig. Es muss etwas drin sein, das uns heute noch berührt, etwas Ergreifendes. Das kann melancholisch sein oder frivol, unverschämt oder poetisch. Wir haben da keine klaren Kriterien, es muss halt etwas auslösen bei uns.
So ähnlich wie beim Song Andermatt, wo ihr eine historische Begebenheit zu euren Gunsten umgeschrieben habt?
Dort hat es sich angeboten, dass wir die Geschichte als Berner Lied umdeuten. Das ist es natürlich nicht, sondern der Text handelt von Zürcher Oberländern, die die Stadt Zürich angreifen wollen und scheitern. Wir konnten uns aber so stark mit den Oberländern identifizieren, dass wir die Geschichte übernommen haben.
Ihr seid musikalisch stark mit Tom Waits verwurzelt. Was fasziniert euch an Waits?
Es wäre zu einfach, wenn man unsere Wurzeln nur bei Tom Waits sucht. Natürlich, wir haben angefangen mit der Musik von Tom Waits, aber schon damals waren andere Einflüsse in unseren Stücken. Als wir mit den Kummerbuben begonnen haben, waren die verschiedenen Vorlieben schon stark im Vordergrund. Tom Waits macht heute vielleicht noch einen Fünfzehntel in unserer Musik aus. Da sind inzwischen viele anders Dinge drin wie Balkanmusik oder amerikanische Musik, aber auch Bands wie Calexico oder 16 Horsepower. Ich könnte noch diverse Bands nennen. Wir werden gerne auf Waits reduziert, was verständlich ist, weil wir seine Songs gecovert haben, aber eigentlich spielt er für uns keine so wichtige Rolle mehr.
Hat euch selbst der Erfolg der Kummerbuben bzw. der Vertonung traditioneller Schweizer Texte erstaunt?
Ja, es hat uns schon erstaunt. So etwas hat es in dem Sinn zuvor nicht gegeben. Natürlich gab es schon Leute, die Volksmusik genommen und sie experimentell interpretiert haben. Aber das war dann oft im kulturell hochstehenden Kontext geschehen. In den speckigen Schweizer Rockclubs traditionelle Volksmusik zu spielen, das hat noch niemand gemacht. Von dem her war es sehr erfreulich, dass die Kummerbuben so gut funktioniert haben und es noch immer tun. Das beschränkt sich auch nicht nur auf die Schweiz. Wir haben kürzlich in Hamburg in einem Club auf der Reeperbahn gespielt und es hat herrlich funktioniert, auch wenn wohl die Wenigsten verstanden haben, was wir singen.
Es ist ja auch bei englischen Texten nicht so, dass alle Konsumenten jedes Wort verstehen.
Genau. Einen guten Vergleich finde ich die Balkanbands, die bei uns Erfolge feiern. Da versteht auch keine Sau etwas und doch funktioniert es, weil die Musik überzeugt.
Seit eurem Debüt, das 2007 erschien, habt ihr euch einen respektablen Namen gemacht. Wie hat sich euer Leben seither verändert?
Wir haben alle viel mehr familiäre Probleme. Alle haben ein starkes Zeitmanagementproblem bekommen. Und doch braucht es in der Schweiz viel, bis man von der Musik wirklich leben kann. Ich will nicht jammern, aber der Schweizer Markt ist schwierig und auch wenn man weit gekommen ist, läuft es, was das Finanzielle angeht, auf einer Stufe, die im Hobbybereich liegt. Man muss daneben arbeiten, egal ob innerhalb der Musikszene oder anderswo, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Zudem hat die Zeit uns alle ein bisschen bleicher, leichter und ärmer an Hirnzellen gemacht.
Ihr habt am 19. Juni eine ungewöhnliche Premiere in Bern. Ihr unterlegt eine Ballettaufführung mit eurer Musik. Kannst du etwas mehr davon erzählen?
Dieses Projekt ist uns sehr wichtig. Wir haben sehr lange daran gearbeitet und es ist eine Herzensangelegenheit. Wir haben die Möglichkeit bekommen, mit zwei Tänzerinnen, mit denen wir auch schon gearbeitet haben, eine Aufführung von einer halben Stunde Länge zu machen. Wir dürfen das Projekt im altehrwürdigen Stadttheater von Bern aufführen. Durch die Kombination aus Ballett, das so fein, ästhetisch und hochstehend ist, und unserem doch ruppigen und rumpelnden Sound, entsteht eine erquickende Mischung. Das wird hoffentlich eine schöne Sache. Die beiden Bereiche passen auch thematisch zusammen. Die Tänzerinnen sind allesamt aus der ganzen Welt, quasi Kultursöldnerinnen, die herumziehen, weil sie auf der suche nach einem Job sind und wir machen Lieder aus einer Zeit, in der es hierzulande ähnlich war. Damals zogen wir als Bauern, Söldner oder Abenteurer aus, um in der Welt das Glück zu finden. Dort haben wir thematisch einen gemeinsamen Nenner.
Konzerte (Auswahl):
- 19. Juni Stadttheater, Bern
- 24. Juli Blue Balls Festival. Luzern
- 13. August Festival im Fluss, Basel
- 20. August Kunsthaus-Fest im Aargauer Kunsthaus
- 4. November Restaurant "Blinde Kuh", Zürich
Für sämtliche Tourdaten und alles weitern Infos, einfach auf der Homepage der Kummerbuben reinschauen.
Bilder von Tabea Hüberli