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12. März 2008, 17:10 Movie Music

It's a free world

Christina Ruloff - Ken Loach – das soziale Gewissen Grossbritanniens – zeigt, was das Londoner Wirtschaftswunder kostet: It’s a free world ist ein erschreckender Film, der aufrüttelt und zum Hinterfragen der eigenen Lebensgewohnheiten anregt, und zwar ganz ohne zu belehren oder gar zu verurt...

Ken Loach – das soziale Gewissen Grossbritanniens – zeigt, was das Londoner Wirtschaftswunder kostet: It’s a free world ist ein erschreckender Film, der aufrüttelt und zum Hinterfragen der eigenen Lebensgewohnheiten anregt, und zwar ganz ohne zu belehren oder gar zu verurteilen.

Angie ist Mitte dreissig, energisch und erfolgreich in ihrem Job: Sie rekrutiert in Osteuropa billige Arbeitskräfte, die zu einem Hungerlohn in Grossbritannien auf Abruf die Drecksarbeit erledigen. Mit der Unterschrift auf Angies Papier verzichten sie auf all ihre Rechte und sind ihrer Vermittlungsfirma schutzlos ausgeliefert. Das geht solange gut, bis Angies Chef ihr im angeheiterten Zustand an den Hintern fasst und sich Angie wehrt: Sie wird fristlos entlassen, wegrationalisiert. Nachdem sie versucht hat, mit Billigjobs Geld zu verdienen und ihre Miete nicht mehr zahlen kann, beschliesst sie kurzerhand selbst eine Arbeitervermittlungsfirma zu eröffnen. Schliesslich ist sie eine Frau vom Fach und kennt sich mit den rauen Sitten im Business aus. Ihre Kollegin Rose kümmert sich um die Finanzen, im Hinterhof des Pubs findet der allmorgendliche Appell der Arbeiter statt, den Arbeitern vermietet man überteuerte Wohnungen (die sie selbst ja nicht mieten dürfen, weil sie nicht die richtigen Papiere haben), und Steuern zahlt man keine, versteht sich. Das Ganze geht eine Weile gut, doch dann häufen sich die Probleme...

Jamie möchte nicht ständig bei der Grosseltern wohnen - und sich auch nicht für seine Mutter schämen müssen. Aber Angie (grandios: Kierston Wareing) kann nicht anders.

Man kann kaum eine Zeitschrift öffnen, ohne auf eine Hymne auf das englische Wirtschaftswunder und den Finanzplatz London zu stossen. Die Konjunktur wächst, an der Börse geht es bergauf und alle sind glücklich und zufrieden. Alle? Nun, die weniger Glücklichen werden wohl einfach nicht gefragt, interessieren nicht. Sie leben in billigen Wohnblocks und winzigen Häusern ausserhalb des Zentrums, schuften von früh bis spät und können auch mit zwei Jobs ihre Familie mehr schlecht als recht durchfüttern, verschulden sich, sobald der Lohn ausbleibt oder die Krankenkasse bezahlt werden muss. Angie gehört zu den sogenannten Working Poor. Und es ist nur zu verständlich, dass sie ihrem Sohn auch einmal etwas bieten will, auch einmal ein Auto, einen Platz auf der Sonnenseite des Lebens haben möchte. Und um diesen kämpft sie mit allen legalen und illegalen Mitteln.

Es ist ein bekanntes Szenario, das, gerade weil so nachvollziehbar, umso mehr weh tut: Die Armen beuten die Ärmsten aus und kommen sich dabei auch noch heroisch und gönnerhaft vor. Als der Vater (gespielt von einem bekannten Gewerkschafter) Angie eben dies vorwirft (in ihrem Hinterhof geht es zu wie in einem antiken Sklavenmarkt), fährt sie ihn mit ihrem britischen Unterklasseenglisch an, er solle endlich mal aufwachen: Wir alle profitierten von günstigen Turnschuhen und billigen Lebensmitteln, die aus der Dritten Welt auf Kosten der Ärmsten herangeschafft würden. Man schluckt leer, es ist eine bittere Wahrheit. Und man ringt nach Luft, als Angie erklärt, sie würde alles tun, um erfolgreich zu sein. Man glaubt es ihr aufs Wort. Man hat miterlebt, wie die energische Frau zu einer amoralischen Betrügerin geworden ist, einfach so.

Das ist grosse Kunst Ken Loachs: Seine Filme zeigen den Stand der Dinge an einer einfachen Geschichte mit glaubwürdigen Charakteren. It’s a free world ist ein bitterer Film, ein Must – ein Ken Loach - Film eben.

Bewertung: 5 von 5

Auch der Vater kann ihr nicht ins Gewissen reden: Es gibt nichts, was Angie nicht für ihren Erfolg tun würde - und tut.

* Titel: It’s a free world

* Land: UK

* Dauer: 96 Minuten

* Regie: Ken Loach

* Darsteller: Kierston Wareing, Juliet Ellis, Leslaw Zurek

* Verleih: Filmcoopi

* Start: 13.3.2008

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