Das Showbiz ist kein Ponyhof
Melanie Pfändler - //Katy Perry hat sich für ihre "California Dreams"-Tour eine Vorband ausgesucht, die ihre 14-jährigen Zuhörer etwas überfordern dürfte: Der britische New Young Pony Club ist zwar äusserst tanzbar, hat aber gegen wackelnde Hintern so einiges einzuwenden.// Katy Perry ...
Katy Perry ist in der Stadt. Und man kann es riechen. Das ist keine Metapher, sondern ein zuckerstangenharter Fakt: Stunden vor ihrem Auftritt ist das Hallenstadion bereits mit Schleckwarenduft vollgepumpt; man fühlt sich, als müsse man durch eine süsse, schweinchenrosa Suppe paddeln. Die Backstagesängerinnen scheinen immun (Glukose-Impfung?) und üben fleissig. Vor der Halle scharen sich pubertierende Fans und versuchen sich gegenseitig mit ihren Handyböxli zu übertönen.
Da würde kaum einer vermuten, dass im Backstage eine waschechte Brit-Undergroundband auf ihren Soundcheck wartet. Tahita „Ty“ Bulmer, die Frontfrau von New Young Pony Club, lümmelt in ihrer Garderobe rum. Während Miss Perry ihre Kurven gern in Catsuits zwängt, trägt Ty eine Art Pludder-Leoparden-Strampelanzug, wirre Haare auf dem Kopf und ein offenes Lächeln im Gesicht.
Ty, ich hab heute auf eurer Facebook-Page rumgestöbert: Eure Fans scheinen ja nicht gerade begeistert davon zu sein, dass ihr Katy Perry supported.
Manche Fans.
Einer schreibt, er habe sämtlichen Respekt vor euch verloren; ein anderer kann nicht verstehen, wie jemand der so cool sei wie ihr, einen solchen Scheiss unterstützen könne. Was hältst du davon?
Leider ist das Musikbusiness nicht mehr dasselbe wie vor zwanzig Jahren: Damals konnte eine Band sich weigern, ihre Musik für Werbekampagnen zu verwenden. Heute ist das anders. Wenn du dich nicht den Rest deines Lebens von Bohnen ernähren willst, musst du solche Chancen nutzen.
Ich würde wahnsinnig gern bei jedem einzelnen, der einen solchen Kommentar hinterlassen hat, an die Türe klopfen und seine Plattensammlung durchsuchen. Diese Leute behaupten zwar, unsere grössten Fans zu sein, aber unsere CDs kaufen sie trotzdem nicht. So sehr lieben sie uns!
Kommerziell oder hungrig – kotzt dich dieser ständige Seiltanz nicht an?
Aber natürlich. Die Bands, die ich früher vergöttert habe, haben sich ja genau gegen dieses System aufgelehnt. Aber wenn die Leute gratis Musik downloaden wollen, müssen sie eben damit rechnen, dass die Musiker neue Wege finden müssen, um ihre Stromrechnungen zu bezahlen. Aber letzten Endes machen wir ja immer noch die Musik, die uns gefällt. Trotz der offensichtlichen Vorteile sind wir bei keiner grossen Plattenfirma unter Vertrag. Da hocken keine Typen in Anzügen in unserem Nacken, die uns zwingen, am Laufband Hits zu produzieren. Es ist immer noch ein fantastischer Job. Viele Leute würden dafür töten.
Würdest du dafür töten? Jetzt, wo du weisst, wie es ist?
Ganz bestimmt.
Und ist es schon mal dazu gekommen?
(lacht) Ich habe zwar schon oft darüber nachgedacht, aber es war noch nie nötig. Und es gab auch Zeiten, wo ich kurz davor war, alles hinzuschmeissen und mir irgendeinen Normalo-Job zu suchen. Aber irgendetwas hat mich immer weitergetrieben und ich konnte nicht aufhören.
Was war deine erste Reaktion, als du gehört hast, dass ihr Katy Perry supporten könnt?
Ich fand es eigentlich ganz cool. Jede Entscheidung, egal ob du eine neue CD herausgibst oder dein Logo änderst, hat diesen Beigeschmack: Sollen wir das wirklich machen oder nicht? Aber am Ende haben die Vorteile überwogen: Es ist, als würden wir jeden Tag auf einem Festival spielen, vor tausenden von Leuten. Auf YouTube gibt es kein anderes Lied, das mit „F“ beginnt, das häufiger gespielt wird als Katy Perrys „Firework“. Unser Timing ist also ziemlich perfekt. Klar ist es cool, diesen Underground-Stempel zu haben, aber (hält ihren Backstage-Pass mit dem Gesicht von Katy Perry hoch) wenn dir jemand, dessen Gesicht in Klarsichtfolie eingeschweisst ist, sagt, dass er deine Musik mag und dich an Bord haben will, ist das auch nicht schlecht.
Aber privat hörst du Katy Perry nicht, oder?
"Firework" hab ich lustigerweise schon mal gehört! Sie hat den Song bei der britischen Version von X-Faktor live gespielt und ich muss zugeben, er ist ziemlich catchy! (Flüstert) Ehrlich gesagt singe ich manchmal sogar mit.
Das Publikum muss ganz schön anders sein, als bei euren anderen Gigs.
Es geht so! Das wechselt eigentlich eher von Land zu Land. In England kommen oft ganz junge Mädchen an unsere Konzerte, in Toronto, San Francisco und Melbourne hatten wir jede Menge Schwule.
Wie wichtig ist dir der Ruhm?
Für mich ist es eher ein unvermeidlicher Teil des Ganzen. Wenn es um Musik geht, fühle ich mich immer wie ein Pferd, das geritten wird – ich habe keine Kontrolle darüber, ich muss einfach Musik machen.
Die wenigsten Menschen haben eine so grosse Leidenschaft.
Ja, das ist ein grosses Glück. Aber zugleich auch ein Fluch: Denn wenn du nicht tun kannst, wozu du dich berufen fühlst, frisst dich dieses Gefühl von innen her auf.
Du selbst hast einmal gesagt, dass du nicht sonderlich scharf daran seist, radio-freundliche Songs zu schreiben.
Das kommt sehr auf an, woher du kommst. Wenn du in England radiofreundliche Lieder schreibst, heisst das, dass du Wegwerfware produzierst. Das englische Radio ist zur Zeit wirklich ziemlich dämlich – da läuft dauernd nur diese Autotune-R’n’B-Mucke. In Ungarn, Tschechien, Australien und sogar in den USA werden wir durchaus auf Mainstream-Sendern gespielt. Seltsamerweise tun die Engländer so, als seien wir irgendeine Avant-Garde-Band mit Glockenspiel und Choral-Gesängen.
Wenn man sich euren Ice-Cream-Clip anschaut, wird ziemlich schnell klar, dass das Lied vollgepackt ist mit Sex.
Sehr richtig.
Sängerinnen wie Katy Perry oder Rihanna verwenden Sex als ein Argument, um ihre Musik zu verkaufen. Du würdest sicher von dir behaupten, dass du das nicht tust.
Nein, sicher nicht. Das Ironische ist, dass ich furchtbar schlecht bin, wenn es um solche Sachen geht; ich kriege das nicht hin mit den Beziehungen und ich bin schlecht im Flirten. Dieser Song ist der Versuch, eine idealisierte Version von mir zu entforschen; jenes Mädchen zu sein, das sagt: „Hey du! Du kommst heute mit mir nach Hause!“. Dank „Ice Cream“ kann ich wenigstens fünf Minuten lang diesen heimlichen Traum ausleben.
Was denkst du über Musikerinnen, die diese Sex-Masche nicht als einmaliges Experiment sehen?
Ich schaue mir die an und denke, dass man als weibliche Künstlerin ein wenig mehr zu bieten haben sollte. Wenn du junge Mädchen aufforderst, genauso ein Sexobjekt werden zu wollen, drehst du das Rad der Zeit um vierzig Jahre zurück. Aber klar, die Menschen wollen doch ein einfaches Leben haben, oder? Und da ist das natürlich der beste Weg: Wenn du dein Zeug auf diesem Level verkaufst, kannst du sicher sein, dass die Leute es auch kaufen werden.
Kennst du den Videoclip zu „Skinny Genes" von Eliza Doolittle? Das ist nochmals ganz was anderes als Christina Aguilera oder so, aber auch ziemlich offensiv.
Eliza Doolitte wird 13-jährigen Mädchen als „Alternativ-Musikerin“ verkauft. Wenn du mich fragst, ist das genau dasselbe. Aber wie gesagt: Auch wir gehen gewisse Kompromisse ein, um über die Runden zu kommen.
Also lieber keine Bohnen, dafür 13-jährige Mädchen in der ersten Reihe?
Ich glaube, ich bin gar kein schlechtes Vorbild für 13-jährige Mädchen! Ich sage „Be empowered!“ statt „Shake your ass for a living!”.
Anscheinend habt ihr ein paar heilige Gebote für eure Musik festgelegt; irgendwas mit „Keine Kuhglocken!“ und „Kein Sexy Talk!“. Was gibt es dazu zu sagen?
Als wir unsere Band gegründet haben, waren wir Pioniere. Niemand hat diese Art von Musik gemacht. Und plötzlich, 2006 und 2007, schossen Bands wie Pilze aus dem Boden, die alle ein bisschen ähnlich klangen wie wir. Da wurde es langweilig. Also haben wir die offensichtlichsten Merkmale zusammengetragen, die diese Bands gemeinsam hatten, und schworen uns, komplett darauf zu verzichten. Das hat wirklich gut geklappt.
Gestern hatte ich ein Interview mit einer israelischen Musikerin, Keren Ann. Sie sagte, dass für sie die Lyrics genauso wichtig sind, wie die Melodie. Und dass sie nie eine Zeile aufnehmen würde, die keine tiefere Bedeutung hat.
(fährt dazwischen) Ja, absolut!
Eine Zeile aus „Lost a Girl“ heisst: “Lalala, word go too far. Why can’t we say when it’s done.” Steckt darin eine tiefgründige Aussage?
Mir bedeutet diese Zeile sehr viel. Das „Lalala“ verleiht ihr einen Schwung und dann - zack! - kommt der Bruch. Um ehrlich zu sein, sind mir die Lyrics fast wichtiger als die Melodie.
Was ist die Intention deiner Musik? Willst du die Leute zum Tanzen oder zum Nachdenken bringen?
Beides. Für mich gibt es nichts Aufregenderes, als wenn ich Musik höre und davon Gänsehaut bekomme. Wenn ich bei den Zuhörern solche physischen Reaktionen auslöse, ist es dasselbe, als würde ich sie mit meiner Hand berühren, obwohl wir uns vielleicht niemals im Leben über den Weg laufen werden. Das ist wunderschön.
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Hier gehts zum zweiten Teil des Interviews.