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28. März 2011, 20:51 Kolumnen

Seltsame Begegnung (4): Nachtzug

christian zweifel - Der Waggon des Nachtzuges Prag- Stuttgart schaukelte, leicht beschwipst wie er war, belustigt vor sich hin. Fünf wundervolle Tage einer Firmreise waren zu Ende gegangen, und der Alkohol machte seine Runden. Da ich aber noch keine sechzehn war, blieb nur das Abteil gleich nebenan des Pfarrers übrig,

Die von der Geistlichkeit verfügte Prohibition mutete etwas seltsam an, denn an den Messen hatte ich schon damals aus so manchem Kelch trinken müssen. Der Vorteil dieser Verfügung bestand allerdings darin, die Nacht nicht in einem der ausladenden Liege-, sondern komfortableren Schlafwagen verbringen zu dürfen. Die Hierarchie findet Eingang in die abgelegensten Wohnstuben. Das ist mit der Kirche nicht anders, und wenn man Glück hat, darf man auch mal mit oben stehen.

Das Zurückschlagen von Bettwäsche im oberen Liegebett riss mich aus dem Schlaf. Wir hatten die deutsch- tschechische Grenze hinter uns gelassen und lagen irgendwo vor Nürnberg. Zwei Damenfüsse mittleren Alters stiegen die Stufen der Verbindungsstiege hinab. „Wie sind denn die hier hereingekommen ?“, fragte das Weib in Kasernenhof gefärbtem Unterton. „Die müssten sich wohl viel mehr fragen, wie wir hier hereingekommen sind. Die waren nämlich schon vor uns da“, stellte eine Männerstimme fest. „Na so was“, pustete die Dame, „Hab' die gar nicht bemerkt“. „Doch doch, die waren schon drin“. Ich vernehme das Rascheln von Kleidern. Wie das wohl wäre, jetzt ein bisschen die Decke zurückzuziehen... „Nicht gucken, Du!“, bellte aus weisser Unterwäsche das Weib, dessen Dackelohren bedrohlich wackelten.„Woher seid ihr denn?“, fragte der Mann, sich die Hosen überziehend. „Aus Prag. Wir waren auf Firmreise.“ „Dieser Zug kommt aus Prag ? Von so weit her ? Das habe ich gar nicht gewusst“. Die Gürtelschnalle knackte. „Seid ihr aus der Schweiz ?“

Diese letzte Frage war nun längst keine Frage mehr, sondern eine Feststellung. Der Österreicher, solange er nicht aus Wien oder Kärnten stammt, ist in seiner Sprache nicht von einem Bayern zu unterscheiden. Nur der Eidgenosse nordöstlicher Prägung kann sich noch so sehr verstellen, seine “SCH“ und “CH“ bleiben ihm auf der Zunge kleben. Der Rheinländer lässt sich nichts vormachen, was seine Sprache betrifft. Wer einen Goethe sein eigen nennen darf, den kann man nicht täuschen. Also zugeben.

Zu meiner grossen Erleichterung leuchtete nun endlich das matte Licht der Bahnsteighallen durch das Fenster herein. Der Schaffner kündete Nürnberg an. Zwischenhalt. Die Schiebetüren der Abteile wurden entriegelt, schweres Gepäck aus seiner Verankerung gerissen. So schnell wie unsere beiden Mitreisenden gekommen waren, gingen sie, mit zwei dicken Tragtaschen beladen, wieder dahin. Das lederfarbene Braun ihrer Taschen passte zu ihnen. Und dass DIE in Nürnberg ausstiegen, auch.

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