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26. April 2011, 14:32 Kolumnen

Berufseinstieg (2): Das Bewerbungsgespräch

christian zweifel - Bewerbungsschreiben. Dieses ewige Anpreisen der eigenen Fähigkeiten, das riecht nach Prostitution. Es sind aber, was viel verwerflicher ist, keine Organe, die da verkauft werden, sondern Seelen. Von der nicht vorhandenen Berufserfahrung bis hin zur Freizeitbeschäftigung, alles wird dem geistigen Köf

Bewerbungsschreiben. Dieses ewige Anpreisen der eigenen Fähigkeiten, das riecht nach Prostitution. Es sind aber, was viel verwerflicher ist, keine Organe, die da verkauft werden, sondern Seelen. Von der nicht vorhandenen Berufserfahrung bis hin zur Freizeitbeschäftigung, alles wird dem geistigen Köfferchen entnommen, was zu entnehmen ist.

Der Personalverantwortliche hat den bedauernswertesten Job, den es gibt. In neunundneunzig von hundert Fällen spricht er sein Bedauern aus, und das von Berufs wegen: „Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass...“. Und wer bitte, ist wir ? Das wir meint die Firma, ein Gebilde mit einem Chef, seinen Untergebenen, deren Untergebenen und so fort. All diese Leute bedauern in neunundneunzig von hundert Fällen - das macht dann (x-1) hoch neunundneunzig bedauernde Arbeitnehmer (den CEO lassen wir weg). Jedenfalls sind das ein mächtiges Quantchen an Menschen, die da tagtäglich bedauern müssen, und davon wird niemand glücklich.

Wer es dennoch zu einem Vorstellungsgespräch geschafft hat, der hat schon viel, aber noch längst nicht alles erreicht. Mit einer ordentlichen Portion Herzklopfen stehe ich vor der Tür, die sich gleich öffnen wird. Zwei Herren sitzen zu Tisch. Die Herrschaften haben meinen Lebenslauf vor sich ausgebreitet wie eine Speisekarte. Man heisst mich Platz nehmen, der Frageapparat wird angeworfen. Während der eine gelangweilt mit dem Kugelschreiber spielt, blättert mein Gegenüber genüsslich in der Karte, sieht mich gegen Ende des halbstündigen Gesprächs herausfordernd an und meint: „Nach Lage der Dinge würden Sie wohl mehr von einem Arbeitsverhältnis profitieren als wir, meinen Sie nicht ? Nennen Sie mir spontan einen Grund, weshalb wir Sie trotzdem beschäftigen sollen“. Ich schlucke leer. Das wars. Aus. Vorbei. Ende.

Ob man mir die Reisekosten zurückerstatten würde ? Die beiden Herren zucken mit ihren Nasenflügeln: Welch Unverschämtheit, werden sie jetzt wohl denken. „Ist das so ?“, fragt lauernd der Kartenleser, dessen schmalwürfigen Augen hinter glitzernden Brillengläsern unentwegt hin und her rollen. Wahrheitsgemäss gebe ich zu bekennen, dass man mir nach meinem letzten Vorstellungsgespräch die Reisekosten zurückerstattet habe. Doch die beiden Herren schütteln nur den Kopf und begleiten mich zum Abschied nach draussen, nicht ohne mir eine Visitenkarte in die Hand zu drücken. Um eine Hoffnung ärmer und um eine Visitenkarte reicher geworden, fahre ich mit dem nächsten Interregio nach Hause und weiss: Diese Begegnung wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.

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